Übersetzung in eigener Sache
Älter Arbeitnehmer*innen haben einen reichen Erfahrungsschatz, der nur auf die richtige Art an den potenziellen neuen Arbeitgeber weitergegeben werden muss. Foto: © Leonardo.Ai

Übersetzung in eigener Sache

Wer sich als Ü-50-Fachkraft beruflich nochmal neu orientieren will, hat ein dickes Brett zu bohren. Hilfreich ist es, die eigene Berufsbiografie so aufzubereiten, dass das Bild einer unerwarteten Bereicherung für die neue Einsatzstelle entsteht.

Text: Krischan Ostenrath

Zu den vermeintlich unstrittigsten Erfahrungen des Älterwerdens zählt wohl die Einsicht, dass die Zahl der offenen Türen und Wege kleiner wird. Mit vierzig noch mal studieren? Theoretisch möglich, praktisch vielleicht etwas schwierig mit der individuellen Lebenssituation zu vereinbaren. Jobwechsel mit fünfzig? Heutzutage keine Seltenheit, gleichwohl immer noch besonders begründungsbedürftig. Familiengründung mit sechzig? Auch nicht ausgeschlossen, aber wohl eher die Ausnahme als die Regel. Die Welt – sei es die intellektuelle, die berufliche oder die private – steht mit ein paar Jahrzehnten auf dem Buckel jedenfalls nicht mehr ganz so offen, wie sie es früher einmal war.

An dieser Stelle taucht regelmäßig das Schlagwort Altersdiskriminierung auf, auch Ageismus genannt. Und natürlich hat der Rückgang beispielsweise der beruflichen Möglichkeiten mit fortschreitendem Alter tiefgehende und bis heute unaufgelöste strukturelle Gründe. Doch dieser Befund wird denjenigen, die sich trotz der unbestreitbaren Probleme jenseits der fünfzig beruflich noch mal neu erfinden wollen, nicht viel nützen. Man wird wohl oder übel damit umgehen und sich individuelle Auswege überlegen müssen. Und es gibt diese Strategien, gerade wenn man sich die Fähigkeiten vor Augen hält, die man im Laufe von zwei oder drei Jahrzehnten im Job gesammelt hat.

Auch eine Frage der Perspektive

Wer die Stellenanzeigen im WILA Arbeitsmarkt regelmäßig studiert, dem wird nicht entgangen sein, dass die berufliche Erfahrung die am stärksten nachgefragte Sekundärqualifikation auf dem offenen Stellenmarkt ist. Das ist eine Erkenntnis, die wiederum den Berufseinsteiger*innen zu schaffen macht, die aber in der Natur der Sache liegt. Ausgeschrieben werden nun mal vor allem Stellen, die nicht mit Fachkräften frisch von der Hochschule besetzbar sind. Genau hier haben dann auch die älteren Jobsuchenden die Nase vorn, denn sie sind es, die den für die Besetzung von Leitungs- oder Spezialstellen notwendigen Erfahrungshintergrund mitbringen. Altersdiskriminierung kann man hier mit Blick auf die fortgeschrittenen Semester nun wirklich nicht unterstellen. Allerdings ist dies auch für Wechselwillige in der Mitte ihres Lebens der der gangbarste Weg: Passgenaue Bewerbung mit Betonung auf den nachgefragten Kompetenzen aufsetzen und dann Daumen drücken, dass die Konkurrenz nicht ganz so gewaltig ist.

Sich beruflich neu zu erfinden, ist aber ja gerade nicht die Fortsetzung der ohnehin eingeschlagenen Richtung nur auf einem neuen Pfad. Berufliche Neuorientierung heißt ja eher, die eingetretenen Wege zu verlassen und zu überlegen, an welcher Stelle sich die bisher gewonnenen Fähigkeit ebenso gut einsetzen lassen. Und das ist auf einem Arbeitsmarkt, der sich stur an formalen Qualifikationen und biografisch belegbaren Erfahrungen orientiert, noch einmal eine neue Qualität. Und bis heute ungewöhnlich.

Nicht erklären, sondern übersetzen

Interessanterweise machen hier ältere Akademiker*innen häufig denselben Fehler wie ihre jüngeren Kolleg*innen: Sie stellen im Bewerbungsprozess ihre Motive und Wünsche in den Vordergrund, sprechen also vor allem darüber, was sie sich bei ihrer arbeitsmarktlichen Neuerfindung eigentlich gedacht haben. Das ist aber nun gerade nicht das, was die adressierten Personaler*innen und künftigen Kolleg*innen wirklich interessiert. Ja, natürlich stellt sich jede*r die Frage, warum man nach zwanzig Jahren im Job noch mal was Neues machen will. Aber die viel wichtigere Frage ist, ob man das den Bewerbenden eigentlich zutraut.

Und damit ist man bei der Frage, ob sich aus der bisherigen Berufsbiografie Fähigkeiten ableiten und belegen lassen, die auch außerhalb des ursprünglichen Arbeitsfelds nützlich sind. Die schlechte Nachricht: Hier braucht es Überzeugungsarbeit, selbst wenn der oder die umworbene Arbeitgeber*in grundsätzlich offen auch für Bewerbungen von Quereinsteiger*innen im fortgeschrittenen Alter ist. Die gute Nachricht aber ist: Diese Übersetzungsarbeit ist in ganz vielen Fällen ziemlich leicht, wenn man sie denn am Konkreten und möglichst orientiert an künftigen Aufgaben betreibt.

Je konkreter, desto besser

Berufliche Erfahrung ist also kein Selbstzweck, sondern der Ausgangspunkt für die Überzeugungsarbeit in eigener Sache. Wer darauf verweisen kann, regelmäßig in heterogenen Teams gearbeitet zu haben, kann damit die Befürchtung von intergenerationellen Verwerfungen aushebeln. Wer biografisch belegen kann, sich in ein- und derselben Position immer wieder neue Themen- und Aufgabengebiete erschlossen zu haben, belegt damit sowohl Flexibilität als auch Innovationsfähigkeit. Wer regelmäßig in interdisziplinären Arbeitsgruppen gewirkt hat, räumt von Anfang an mit dem Mythos der Fachidiotie auf. Wer gut auch in wechselnden Funktionen und Hierarchieebenen funktioniert, vermeidet den Eindruck, hier würde ein geborener Häuptling ein neues Team an Untergebenen suchen. Und wessen letzten berufliche Erfolge nicht schon zehn Jahre her sind, vermeidet den Eindruck, hier würde sich jemand vorstellen, der in einer beruflichen Sackgasse angekommen ist.

Man mag sich im Stillen darüber ärgern, dass man als Arbeitnehmer*in mit den ersten grauen Haaren unter einem besonderen Begründungszwang steht. Doch auch die aufgeschlossensten Arbeitgeber*innen – und es ist recht gut belegt, dass die Zahl der Unternehmen steigt, die gegenüber den Bewerbungen Älterer offenen sind – müssen einerseits von der individuellen Passung überzeugt und andererseits in ihren Zweifeln abgeholt werden. Statt sich also selbst dadurch aus dem Rennen zu nehmen, indem man sich und anderen etwas von Überqualifizierung erzählt, sollte man lieber auf die Frage des Matching abstellen. Denn kluge Arbeitgeber*innen wissen sehr wohl, was sie von älteren Fachkräften mit Blick auf belegbare Lösungsorientierung, Pragmatismus, Ressourcenbewusstsein und soziale Kompetenzen erwarten können. Aber so wertvoll gerade auch externes, fachfremdes Know-how für eine Unternehmensentwicklung „out of the box“ ist, müssen diese Potenziale nicht nur theoretisch, sondern eben sehr konkret ausgesprochen werden. Nein, das löst das strukturelle Problem der Altersdiskriminierung ganz sicher nicht. Aber gezielte Hinweise zur Übertragbarkeit der bisher bewiesenen Kompetenzen auf einen neuen Zusammenhang helfen, leicht geöffnete Türen weiter aufzustoßen.

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