Was tun bei sexueller Belästigung im Job?
Auch am Arbeitsplatz ist sexuelle Belästigung keine Seltenheit, das Gleichbehandlungsgesetz will Betroffene umfangreich absichern.

Was tun bei sexueller Belästigung im Job?

Ein Blick, eine Berührung, ein Spruch: Sexuelle Belästigung kennt viele Formen. Im Job (und auch anderswo) hat sie nichts zu suchen. Um dies durchzusetzen, sichert das Gleichbehandlungsgesetz Betroffene umfangreich ab.

Text: Stefanie Schweizer

„Das gefällt mir aber, wenn Sie vor mir knien.“ „An dich würde ich gerne mal ran.“ „Aber im Bett mag Frau D. es bestimmt heiß.“ Diese Aussagen von Kollegen und Chefs gegenüber weiblichen Fachkräften im Arbeitskontext, veröffentlichte Die Zeit bereits 2017. Von der Bildfläche des Arbeitsalltags ist diese Form der sexuellen Belästigung allerdings immer noch nicht verschwunden, wie die aktuelle Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt: Jede elfte erwerbstätige Person wurde in den letzten drei Jahren am Arbeitsplatz sexuell belästigt, unabhängig von der Branche und Unternehmensgröße.

Und dabei gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass noch lange nicht alle Fälle gemeldet werden. Denn für manche Fachkräfte ist es vor allem im Moment des unangenehmen Geschehens schwierig einzuschätzen: War der Spruch doch einfach ein Kompliment? Sehe ich das zu eng? War die Berührung vielleicht wirklich aus Versehen? Habe ich falsche Signale gesendet?

Wo Belästigung anfängt

Eindeutige Antworten auf Fragen wie diese bietet die Definition der Antidiskriminierungsstelle von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz: „Jedes sexualisierte Verhalten, das von der betroffenen Person nicht ­erwünscht ist. Dazu zählen nicht nur verbale und physische Belästigungen wie Sprüche und unerwünschte Berührungen, sondern auch non-verbale Formen wie anzügliche Blicke und das Zeigen pornografischer Bilder.“

Für betroffene Fachkräfte ist es hierbei wichtig, die Spannbreite zu erkennen: Nicht der sexuelle, körperliche Übergriff ist das Maß der Dinge, auch der Strich durchs Haar und die ungefragten Nackenmassagen sind – wenn negativ empfunden – sexuelle Belästigung und ohnehin höchst unangebracht am Arbeitsplatz. Am häufigsten komme es laut Antidiskriminierungsstelle zu sexualisierten Kommentaren (62 Prozent), zu unerwünschten Blicken, Gesten und Nachpfeifen (44 Prozent) sowie zu unerwünschten Berührungen (26 Prozent). Ebenfalls wichtig für betroffene Fachkräfte: Das Gesetz koppelt sexuelle Belästigung an die objektive Wahrnehmung der Handlung. Die Ausrede, das sei nicht ernst oder als Kompliment gemeint gewesen, zählt nicht.

Blickt man auf die Zahlen zu sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, zeigt sich, dass Frauen in der Regel doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Ein Rückschluss auf das klassische Täter-Opfer-Klischee sollte dennoch vermieden werden, denn es fehlten laut Antidiskriminierungsstelle allgemein präventive Maßnahmen und ­funktionierende Beschwerdestrukturen in Unternehmen. Deshalb kann man davon ausgehen, dass vor allem männliche Fachkräfte derartige Vorfälle nicht immer meldeten — aus Scham heraus oder, da sie tatsächlich einfach nicht erkennen, dass sie gerade sexuell belästigt wurden.

Denn tief verwurzelt ist vor allem das Bild vom scheinbar immer lustvollen Mann, dessen Grenzüberschreitung keine sexuelle Belästigung, sondern etwas Positives sei. Erzählt der Kollege also lachend, dass er an der Weihnachtsfeier von der Vorgesetzten die Hand in die Hose geschoben bekommen hat, sollten Kolleg*innen vorsichtig das Gespräch suchen und ihn auf die sexuelle Belästigung aufmerksam machen.

Das Recht an der Seite

Fachkräften, die einmal oder regelmäßig am Arbeitsplatz sexuell belästigt werden, stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um dagegen vorzugehen. In jedem Fall sollte immer das Unternehmen benachrichtigt werden. Führen Kolleg*innen die unerwünschten Handlungen aus, wäre der oder die Vorgesetzte die richtige Ansprechperson; geht sie von Vorgesetzten aus, sollten sich die Betroffenen an die nächsthöhere Leitungsperson oder den Betriebsrat wenden. Denn Paragraf 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) räumt Betroffenen das Recht auf Beschwerde ein, ohne dass ihnen dadurch Nachteile entstehen sollen.

Arbeitgeber sind daher laut Paragraf 12 des AGG dazu verpflichtet, Beschäftigte bei sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz zu schützen. Geschieht dies nicht im ausreichenden Maße, können belästigte Fachkräfte von Paragraf 14, dem Leistungsverweigerungsrecht, Gebrauch machen. Dieses ermöglicht, der Arbeit bei Bezahlung fernzubleiben. Im Idealfall wird dieser Schritt mit einer Fachperson des Arbeitsrechts vorab durchgesprochen.

Paragraf 15 räumt dann eventuell Anspruch auf Entschädigung und Schadensersatz für die betroffenen Fachkräfte ein. Übrigens gehe laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sexuelle Belästigung in 43 Prozent der Fälle von Personen der gleichen Hierarchiestufe aus, nur in weniger als ein Viertel seien es Vorgesetzte oder höher gestellte Personen.

Wie sollten Fachkräfte konkret im Moment einer sexuellen Belästigung reagieren? Deutliche Worte empfiehlt „Verdi hilft“ auf seiner Webseite für Betroffene in akuten Belästigungsfällen: „Machen Sie der betreffenden Person deutlich, dass Sie sich sexuell belästigt fühlen“ und „Sprechen Sie langsam und laut, das Umfeld soll Sie hören“. Befinden sich Arbeitnehmer*innen in der Situation, dass sich die sexuelle Belästigung durch eine Person oder mehrere wiederholt, sollten sie idealerweise bereits vorab tätig werden.

Kontaktstellen für Betroffene
● Hilfetelefon für Opfer von Kriminalität: www.tinyurl.com/weisser-ring-telefon
● Verdi hilft: www.tinyurl.com/beratung-tipps-verdi
● Juristische Beratung im Konfliktfall der Antidiskriminierungsstelle,
Anfragen auch in Gebärdensprache möglich:
wwww.tinyurl.com/beratung-antidis

Auf ihrer Website empfiehlt die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes, Beweise wie anzügliche Nachrichten und Bilder zu sammeln und Belästigungen mit Zeit, Ort sowie Inhalt zu protokollieren. Haben betroffene Fachkräfte zu Kolleg*innen ein gutes Verhältnis, können sie überlegen, diese zu bitten, die entsprechende Person in nächster Zeit zu beobachten. „Sich Zeugen verschaffen“ nennt das die Polizeiliche Kriminalprävention. Aber auch einmalige Ereignisse sollten, wenn möglich, dokumentiert werden. Legen die Fachkräfte dann offiziell Beschwerde beim Arbeitgeber ein, können Argumente vorgelegt werden und dem eventuell saloppen „Stellen Sie sich nicht so an“ zuvorkommen.

Nichts auf sich sitzen lassen

Doch um von den ungewollten Erlebnissen berichten, Beschwerde und gegebenenfalls juristische Schritte einleiten zu können, braucht es Mut. Für viele ist es erst einmal einfacher, anonym und per Telefon bei einer entsprechenden Beratungsstelle vom Erlebten zu berichten. Ein sensibilisiertes Arbeitsumfeld kann hierbei ebenfalls unterstützend wirken: Schulungen für Mitarbeiter*innen sowie Vorgesetzte, ein gutes und allen bekanntes Beschwerdesystem und eine Vertrauensperson sind wichtige Bausteine.

Und auch die Aufmerksamkeit der Kolleg*innen ist gefragt. Werden diese Zeug*in einer sexuellen Belästigung, sollten sie einschreiten und die belästigte Person aus dem Momentbegleiten. Es sollte sichergestellt werden, dass die betreffende Person psychisch stabil ist. Entsteht bei helfenden Kolleg*innen der Eindruck, dass dies nicht der Fall ist, sollten sie die Person fragen, wie sie ihr akut helfen können. Auch die Empfehlung einer psychologischen Beratungsstelle kann in diesem Moment angebracht sein. Denn wer im Job sexuell belästigt wurde, rückt nicht einfach die „Krone“ wieder gerade – so etwas kann, insbesondere bei Menschen, die bereits Erfahrung in dieser Richtung machen mussten, schwere Folgen haben.

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