Im Beruf mit Long Covid
Erschöpfung, Müdigkeit und immer noch nicht ganz fit: Dennoch lässt sich der Arbeitsalltag gut gestalten.

Im Beruf mit Long Covid

Offiziell sind sie schon lange negativ, die Symptome und die Erschöpfung bleiben aber: Was bedeutet Long Covid für Arbeitnehmer*innen? Und wie können sie trotz der chronischen Erkrankung ihren Arbeitsalltag gestalten?

Text: Janna Degener-Storr

Karsten Georg ist 31 Jahre jung, liebt seinen Job und trainierte gerade für einen Halbmarathon, als Long Covid ihn aus der Bahn warf. Seine Coronainfektion vor einem guten Jahr verlief harmlos – nach zwei Tagen Fieber ging es wieder bergauf. Er arbeitete im Homeoffice und fühlte sich richtig fit, als er nach dem Joggen plötzlich völlige Erschöpfung empfand.

„Der Kopf war schwer wie Blei, ich wollte mich nur aufs Sofa legen. Später kam dann der Schwindel dazu. Ich fühlte mich wie auf einem Schiff und konnte schnellen Bewegungen im Fernsehen nicht folgen“, erzählt er. Es folgen Monate des Auf und Ab. Mal geht es ihm eine Zeitlang richtig gut, dann wieder ist er völlig k.o. – unabhängig davon, ob er sich körperlich angestrengt hat oder nicht. „Das Nervigste an dieser Krankheit ist, dass sie unberechenbar ist“, sagt er. Seine Blutwerte sind okay, sein EKG ist es auch. Der Rat der Ärztinnen und Ärzte lautet: abwarten.

Kopfschmerzen, Erschöpfung und Schwindel sind nur drei der typischen Symptome, die Long Covid mit sich bringt. Dazu können beispielsweise dauerhafte Müdigkeit, Atembeschwerden oder Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen kommen. Und selbst der Stoffwechsel, der Magen-Darm-Trakt sowie der Bewegungsapparat können betroffen sein.

„Covid-19 kann daher als eine neue Krankheit definiert werden, die alle Organe des Körpers betreffen kann“, steht in einem Diskussionspapier zu den Auswirkungen von Long Covid auf Arbeitnehmer*innen und Arbeitsplätze, das die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) veröffentlicht hat. Welche Mechanismen für diese Auswirkungen verantwortlich sind, sei noch unklar. Die meisten Symptome bessern sich mit der Zeit, einige können aber auch fortbestehen. Immerhin: Die meisten Menschen erholen sich innerhalb von sechs Monaten, nur sehr wenige sind nach zwei Jahren noch arbeitsunfähig.

Zehn bis zwanzig Prozent betroffen

Die offizielle Bezeichnung für Long Covid lautet gemäß der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „Post Covid-19 Condition“. Betroffen sein kann jede*r, der mit dem Virus SARS-CoV-2 in Kontakt gekommen ist, unabhängig von Alter oder Schweregrad der ursprünglichen Symptome. Die WHO definiert die Erkrankung als „das Fortbestehen oder die Entwicklung neuer Symptome drei Monate nach der ersten SARS-CoV-2-Infektion, wobei diese Symptome mindestens 2 Monate lang anhalten, ohne dass es eine andere Erklärung gibt.“ Etwa zehn bis zwanzig Prozent der mit SARS-CoV-2 infizierten Personen sind nach Angaben der WHO weltweit betroffen.

Natürlich ist das eine Belastung für die Menschen, auch und gerade im Beruf. Laut der Ini­tiative „Long Covid Deutschland“, die von Betroffenen und Angehörigen gegründet wurde, können viele Erkrankte nicht mehr arbeiten, ohne dass sich ihr Gesundheitszustand dadurch langfristig verschlechtert. 45 Prozent der Long-Covid-Erkrankten seien nach über sechs Monaten nicht in der Lage, Vollzeit zu arbeiten. 20 Prozent sind komplett arbeitsunfähig.

Was kann man tun?

Wenn betroffene Arbeitnehmer*innen den Verdacht haben, dass sie sich das Coronavirus im Job eingefangen haben, sollten sie klären, ob es sich in ihrem Fall um eine Berufskrankheit handelt. „In unserer Berufskrankheitenberatung haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Anerkennungsquote bei siebzig Prozent liegt“, sagt Kaarina Hauer, Leiterin der Rechtspolitik und -beratung der Arbeitnehmerkammer Bremen.

Bis zu sechs Wochen muss der Arbeitgeber bei Arbeitsunfähigkeit ohnehin das volle Gehalt zahlen, anschließend bekommen Betroffene Geld von der Krankenkasse. Nach spätestens 78 Wochen bekommen sie im nächsten Schritt Arbeitslosengeld, sofern sie keine Berufsunfähigkeitsversicherung haben. Darüber hinaus stellen sich Betroffene natürlich auch andere Fragen: Werde ich wieder vollständig gesund? Was, wenn ich nicht auf meine alte Stelle zurückkann? Kommen dann Umschulungen, Weiterbildungen oder eine Versetzung in Frage?

Das Diskussionspapier der EU-OSHA liefert einige Antworten: Viele Arbeitnehmer*innen, die sich von Long Covid erholen, sind demnach auf eine langsame, schrittweise Rückkehr zur Arbeit angewiesen, um nicht rückfällig zu werden. Die Einschätzung der Betroffenen, was sie leisten können und was nicht, ist dabei entscheidend. Wenn sie nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können, muss eine arbeitsmedizinische Untersuchung erfolgen, wobei auch häufig die Hausärztin oder der Hausarzt hinzugezogen wird.

Weiterarbeiten mit Long Covid

Doch das Beispiel von Karsten Georg zeigt: Nicht alle Betroffenen sind länger krankgeschrieben, und viele können in ihrem Beruf weiterarbeiten. Für sie stellen sich andere Fragen: Soll ich meinen Vorgesetzten und Kolleg*innen offen von meiner Erkrankung erzählen oder die Schwierigkeiten lieber für mich behalten? Kann ich erwarten, dass mein berufliches Umfeld mich entlastet, etwa durch flexible Arbeitszeiten, längere Ruhezeiten oder konkrete Hilfestellung?

Die Antworten unterscheiden sich von Arbeitgeber zu Arbeitgeber, von Stelle zu Stelle und von Arbeitnehmer*in zu Arbeitnehmer*in. Allgemein lässt sich aber sagen: Betroffene werden nur Unterstützung bekommen, wenn das Umfeld weiß, dass sie Unterstützung benötigen. Auch bei der Suche nach Informationen und beim Abwägen von Entscheidungsmöglichkeiten können Betroffene sich helfen lassen. Größere Arbeitgeber beispielsweise haben entsprechende Anlaufstellen, in denen geschulte Personaler*innen oder Mitarbeitervertreter*innen tätig sind.

Externe Beratungsangebote, etwa zu Mental Health, können ebenso weiterhelfen, teilweise arbeiten sie auch mit Arbeitgebern zusammen. Darüber hinaus können Hausärztinnen und -ärzte, spezialisierte Ambulanzen und Selbsthilfegruppen unterstützen. Für Karsten Georg war gerade der Kontakt zu anderen Betroffenen sehr wichtig. In einer ambulanten Reha, die sich auf Long Covid spezialisiert hat, lernte er Menschen kennen, die schon seit zwei Jahren mit der Erkrankung kämpfen und nicht mehr arbeiten können. „Der Austausch tat gut, denn natürlich hatte ich mich zu dem Zeitpunkt schon gefragt, ob ich mir das alles nur einbilde“, erzählt er.

Offen um Unterstützung bitten

Am Arbeitsplatz hatte Karsten Georg das große Glück, dass seine Kolleg*innen und seine Chefin ihn schon seit vielen Jahren kennen und in dieser schwierigen Situation unterstützen. „Ich bin von Anfang an offen mit der Krankheit umgegangen und auf viel Verständnis gestoßen“, sagt er. Bei wichtigen Aufgaben nimmt er von vornherein Kolleg*innen mit ins Boot – damit sie ihn im schlimmsten Fall auch kurzfristig vertreten können.

Manchmal arbeitet er im Homeoffice, wo er sich in der Mittagspause hinlegen kann. Karsten Georg hat durch seine Erkrankung auch gelernt, sich mehr Zeit zu nehmen, um zum Beispiel morgens in Ruhe zuhause zu frühstücken. „Ich habe meine Arbeit nie als stressig empfunden. Aber das gewisse Adrenalinlevel, das mir sonst immer gutgetan hat, verstärkt jetzt die Symptome“, erzählt er.

Es falle ihm nicht schwer, um Unterstützung zu bitten. Schwierigkeiten habe er aber damit, auf Tätigkeiten zu verzichten, die ihm Spaß machen: „Ich bin gerne unter Leuten, und es tut mir gut, produktiv zu sein“. So bewertet er es etwa im Rückblick als Fehler, dass er trotz Long Covid eine Geschäftsreise nach Japan antrat: „Die Firma hatte viel Geld investiert, es ging um ein wichtiges Projekt, und mit den Kollegen, die dabei waren, hatte ich vorher noch nicht viel zu tun gehabt. Als es mir vor Ort dann schlecht ging und ich viele Termine absagen musste, hatte ich Sorgen, das könnte schlecht ankommen.“ Letztlich seien ihm aber zum Glück keine Nachteile dadurch entstanden.

Lange Zeit hat Karsten Georg versucht, dahinterzukommen, woher seine Beschwerden kommen und wodurch sich die Symptome verschlimmern. Doch er stellte fest: Je mehr er sich damit beschäftigt, desto mehr Raum nimmt die Erkrankung in seinem Leben ein und desto größer wird auch die Verunsicherung. Deshalb versucht er jetzt einfach zu akzeptieren, dass sein Körper „manchmal komische Sachen macht“.

Literaturtipp:
Wie können Arbeitnehmer*innen damit umgehen, dass Long-Covid-Symptome noch lange nach der Diagnose auftreten und dass sich der Gesundheitszustand häufig von einen Tag auf den anderen ändert? Das beantwortet die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz in der Publikation „COVID-19-Infektion und Long Covid – ein Leitfaden für Beschäftigte“.
www.tinyurl.com/covid-19-infection
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