Wie aus Fehlern Erfolge werden
Vor allem in der Arbeitswelt werden Fehler lieber verschwiegen oder ignoriert, anstatt ihr Potenzial zu nutzen. Fachkräfte können an dieser Kultur jedoch etwas ändern.
Text: Anne Mittmann
„Das hast du falsch gemacht!“ – Fehler werden oft als Zeichen von Schwäche, mangelnder Kompetenz oder Intelligenz angesehen. Die meisten Menschen in westlichen Kulturen haben schon früh gelernt, dass ein „Versagen“ in der Regel negative Konsequenzen nach sich zieht. Bis in die 1990er-Jahren herrschte vorwiegend die Strategie vor, Fehler so gut es geht zu vermeiden. Wie ein Unternehmen mit unzulänglich erledigten Aufgaben, verpassten Deadlines und Missverständnissen in der Kommunikation umgeht, ist eine Frage der Fehlerkultur. Ist diese negativ ausgerichtet, werden Missgeschicke ignoriert, bestraft oder einander in die Schuhe geschoben. Die Frage „Wer war’s?“ ist gleichbedeutend mit „Wer ist schuld?“.
Aus Angst vor persönlichen Konsequenzen werden Fehlschläge nach Möglichkeit vertuscht, ohne die eigentliche Ursache ausfindig zu machen. Auf diese Weise verpasst das Unternehmen – oder auch die oder der einzelne Mitarbeiter*in – wertvolle Entwicklungschancen, da Fehlerquellen nicht ausgetrocknet werden können. Zum anderen erstickt die Angst vor Fehlern jede Innovation im Keim, weil die Risikobereitschaft für neue Ideen fehlt. Niemand wird gerne bloßgestellt oder gemaßregelt, wenn der erste Entwurf nicht funktioniert. Die Suche nach einem Sündenbock befeuert zudem das Misstrauen untereinander. Kolleg*innen werden im schlimmsten Fall zu Denunziant*innen, um selbst aus der Schusslinie zu kommen. Anstatt in einem kollegialen Brainstorming der Kreativität freien Lauf zu lassen – auch auf die Gefahr hin, dass sie sich verläuft – wird krampfhaft an alten Prozessen festgehalten, um keine Angriffsfläche zu bieten.
Eine positive oder produktive Fehlerkultur dagegen sieht den Schnitzer eines oder einer Mitarbeiter*in als Potenzial, Neues dazuzulernen und Prozesse zu optimieren. Sanktionsfreiheit gibt die Erlaubnis zum Scheitern und macht Mut, innovative Wege einzuschlagen. Falls es klappt – super! Falls nicht, profitiert das das Team oder die Abteilung von der Erkenntnis, weil der Misserfolg nicht vertuscht wird. Eine positive Fehlerkultur nimmt die Existenz von Fehlern als menschlich und damit als unvermeidlich hin. Tatsächlich ist der Mensch eine der häufigsten Ursache dafür, wenn etwas schiefläuft. So hat etwa der deutsche Arbeitspsychologe Michael Frese herausgefunden, dass jeder Mensch pro Stunde zwei bei fünf Fehler macht, inklusive Tipp- oder Flüchtigkeitsfehler. Die Gründe dafür sind so vielseitig wie die Lebens- und Arbeitsbedingungen der einzelnen Personen. Arbeitsüberlastung, mangelnde Kommunikation, Wissenslücken, Routinefehler oder Störungen im Arbeitsrhythmus können unter anderem dafür sorgen, dass die Zielvereinbarung nicht zu hundert Prozent erfüllt wird.
Regelmäßiges Feedback
Das A und O einer positiven Fehlerkultur ist daher eine offene Kommunikation. Es ist egal, wer dafür verantwortlich ist, dass etwas nicht geklappt hat. Hauptsache, die betreffende Person kommuniziert das so früh wie möglich und gibt den Prozess damit zur Dokumentation und Analyse frei. Was ist passiert, warum ist es passiert und wie kann es in Zukunft vermieden werden? Was können wir daraus lernen, wie können wir daran wachsen und effizienter werden?
Dabei können regelmäßige und konstruktive Feedbackrunden helfen. Diese müssen auch nicht zwingend mit dem Vorgesetztem oder der Teamleiterin stattfinden, sondern können – in Absprache mit der Führungskraft – auch im Kreis einiger Kolleg*innen ihren Platz finden. Die regelmäßige bewusste Reflexion sorgt dafür, dass konstruktive Kritik mit der Zeit als selbstverständlicher Teil des Prozesses wahrgenommen wird und keinen persönlichen Angriff darstellt. Feedback ist dabei immer eine Lernchance, solange es wertschätzend und konstruktiv formuliert wird. Werden dabei Wissens- und Ressourcenlücken deutlich, können diese aktiv verbessert werden, etwa indem man mit den Vorgesetzten über eine Weiterbildung spricht. Auch wenn sich die Kritik im ersten Moment negativ anfühlt: Tief durchatmen (oder eine Nacht darüber schlafen) hilft, den Stresspegel zu senken, die Kritik rational zu betrachten und einen Lösungsansatz zu konzipieren. Übrigens sollten in diesen Besprechungen nicht nur Fehlschläge analysiert, sondern auch Projekte oder Prozesse vorgestellt werden, die sehr gut laufen. Vielleicht können die Kolleg*innen aus diesen Best-Practice-Beispielen Transferwissen ableiten.
Eine positive Fehlerkultur bestärkt die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen und trägt so unmittelbar zum Erfolg des Unternehmens bei. Natürlich ist es für Fachkräfte einfacher, konstruktiv mit Schnitzern und Missgeschicken umzugehen, wenn im Unternehmen diese Art von Kultur gelebt wird. Letztendlich ist dabei die Führungsebene gefragt. Es bedarf dabei ein aktives Management, um eine Vertrauensbasis zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden aufzubauen, klare Prozesse zu etablieren und die Mitarbeitenden für einen neuen Umgang mit Fehlschlägen zu ermutigen. Gleichzeitig sind auch Führungskräften nicht frei von Fehlern und sollten diese offen kommunizieren, um als Vorbild zu dienen.
Angestellte können vielleicht den entscheidenden Anstoß zu einer Änderung geben, wenn sie ihr Erleben einer positiven (oder negativen) Fehlerkultur offen aus der Ich-Perspektive kommunizieren. Ein weiterer Denkanstoß, den Fachkräfte an die Vorgesetzten weitergeben können: Ein konstruktiver Umgang mit Fehlern kann den entscheidenden Unterschied zur Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens beitragen. Je länger ein Fehler unbemerkt die Prozesse verlangsamt, Kosten erhöht und die Atmosphäre verschlechtert, desto teurer wird er. Je früher er entdeckt wird, desto eher kann er beseitigt werden. Das ist etwa beim „Fail Fast“-Konzept aus der agilen Software-Entwicklung der Fall: Hier wird extra viel experimentiert, um möglichst schnell herauszubekommen, was erfolgversprechend ist und was nicht. Was nicht funktioniert, wird angepasst oder verworfen, und sorgt später nicht für böse Überraschungen. Und noch ein weiteres berühmtes Beispiel kann gute Argumente liefern: Der Support von Google Maps bestärkt Nutzer*innen aktiv darin, falsche Wegbeschreibungen, Daten- oder Inhaltsfehler zu melden, um Fehler zu beheben. Anstatt die fehlende Präzision zu vertuschen, pflegt Google einen offenen Umgang mit potenziellen Fehlangaben und profitiert von einer Aufdeckungsquote, die Mitarbeitende in dem Umfang niemals leisten könnten. So werden Kosten minimiert, die Kundenbindung verstärkt und das Produkt sukzessive verbessert.