Digitaler Stress, lass nach!
Smartphone, Tablet, Notebook – und auf allen sind berufliche Messanger- und Chattools, E-Mailprogramme und Sharepoints installiert. Kein Wunder, dass es ständig überall blinkt und piepst. Das kann allerdings mit der Zeit auf die Gesundheit schlagen. Wir erklären, wie Sie digitalen Stress reduzieren können.
Text: Anja Schreiber
Die Augen sind trocken und gereizt, der Schulter-Nackenbereich verspannt – ganz zu Schweigen von der innerliche Unruhe, die sich in einem breit macht, weil man seit einer halben Stunde versucht, eine Pressemitteilung zu schreiben und immer wieder vom „Sie haben Post“-Sound des Mailanbieters, Anrufen und Messangernachrichten unterbrochen wird. Fachkräfte aller Branchen arbeiten zunehmend täglich mit Technologie unterschiedlicher Art. Dies kann jedoch zu sogenanntem digitalen Stress führen, der sich – wie „normaler“ Stress auch – negativ auf die Produktivität, das Wohlbefinden und die eigene Gesundheit auswirken kann. Zu letzterem zählt beispielsweise eine deutliche Zunahme gesundheitlicher Beschwerden wie etwa psychischer Belastungen und Störungen sowie Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems.
In der repräsentativen Studie „Gesund digital arbeiten?!“ aus dem Jahr 2019 gab mehr als jede*r Achte an, von „starken oder sogar sehr starken Belastungsfaktoren bei der digitalen Arbeit“ betroffen zu sein. Die Studie wurde vom Forschungsprojekt „Prävention für sicheres und gesundes Arbeiten mit digitalen Technologien“ (PräDiTec) des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (baua) und des Betriebswirtschaftlichen Forschungszentrums für Fragen der mittelständischen Wirtschaft durchgeführt.
Gründe für digitalen Stress sind vielfältig. Das hängt zum einen vom individuellen Umgang sowie der eigenen Affinität mit Technik zusammen. So fühlen sich manche Beschäftigte von digitalen Technologien überfordert. Sie haben den Eindruck, dass sie den Erwartungen und Anforderungen diesbezüglich nicht gerecht werden. Zum anderen spielt auch der Um- und Zugang des Arbeitgebers beziehungsweise des Arbeitsplatzes zur Digitalisierung eine Rolle, ob Fachkräfte von Technik gestresst sind. Manche Arbeitnehmer*innen fühlen sich durch den ständig möglichen Informationsfluss und die permanente Erreichbarkeit gestört, weil diese vermehrt zu Ablenkungen oder Unterbrechungen führt. Digitale Technologien erwecken bei Arbeitnehmer*innen zudem das ungute Gefühl, dass sie überwacht werden und ihre Privatsphäre verletzt wird. Außerdem sorgen sie auch dafür, dass Privat- und Berufsleben – ins besondere im Homeoffice – immer mehr ineinanderfließen, was ebenfalls als Stressor wahrgenommen werden kann.
Wissen, wann’s zu viel wird
Für Fachkräfte ist Reflexion das A und O, um digitalen Stress zu vermindern. Dabei gilt es zunächst, die eigenen Grenzen und Fähigkeiten diesbezüglich kritisch zu hinterfragen. Denn, was mache*n stresst, sehen andere ganz entspannt. Ein hilfreicher Schritt für die Reflexion kann beispielsweise ein sogenanntes Medientagebuch sein. In dieses können Fachkräfte vermerken, welche digitalen Technologien sie im Laufe ihres Arbeitstags genutzt haben. Falls möglich, gilt es dies in regelmäßigen Abständen zu tun, zum Beispiel stündlich, damit direkt hinter einen Eintrag wie „Notebook + Smartphone“ der Vermerk „gestresst“ oder „müde“ gesetzt werden kann. So lassen sich ungesunde Muster erkennen. Fachkräfte können so verstehen, wann die Nutzung von Technik auf ihre Stimmung und Konzentrationsfähigkeit schlägt. Außerdem machen sie auf diese Weise körperliche Symptome für sich selbst sichtbar, die sonst unter Umständen unter den Tisch fallen würden.
Wer sich der krampfigen Schultern, der knirschenden Zähne oder den trockenen Augen bewusst ist, sollte kurze mentale Pausen nutzen. Diese kann vom Schließen der Augen beim Trinken bis hin zum kurzen Spaziergang reichen. Auch angeleitete Atemübungen auf Youtube oder Achtsamkeitsübungen können dafür sorgen, dass der Puls wieder runtergeht und der Körper sich entspannt. Ist beispielsweise Müdigkeit dem Gefühl der Überforderung geschuldet, kann es helfen, die aktuelle Situation in einen Kontext zu setzen. Sprich: Fachkräfte können sich an Situationen erinnern, in denen sie Herausforderungen in Bezug auf digitale Technik meisterten – obwohl sich diese ähnlich unmöglich anfühlten wie der aktuelle Moment. Dadurch praktizieren sie das Konzept der Selbstwirksamkeit und machen für sich den Spielraum sichtbar, den sie trotz dem hohen Einsatz an Technologie in dessen Umgang haben.
Klassische Methoden zur Stressreduzierung helfen ebenfalls, den digitalen Stress abzubauen. Dazu gehört allen voran Bewegung. Das kann die regelmäßige körperliche Aktivität wie Schwimmen, Rad fahren oder Spaziergehen sein, aber auch kleine Bewegungseinheiten in Büroalltag wie das Treppensteigen. Zeitmanagement reduziert ebenfalls digitalen Stress, weil es die Mitarbeiter*innen durch Planung und Priorisierung dabei unterstützt, ihre Aufgaben strukturiert zu erledigen. Dadurch sinken das Stresslevel und die Wahrscheinlichkeit, dass die digitalen Technologien „nerven“. Auch digitale Tools selbst können dabei helfen: So erlaubten Fokus-Apps die Nutzung bestimmter Anwendungen nur für einen vorher festgelegten Zeitraum am Tag.
Eine gemeinsame Lösung
Beschwerden wie Herzrasen, Schweißausbrüche und Magenkrämpfe sollten hingegen nicht ausschließlich „weggeatmet“, sondern medizinisch abgeklärt werden. Sie können ein wichtiges Anzeichen sein, dass der tägliche Nutzen von Technologie dringend reduziert werden muss und eine bestimmte Grenze der Belastung überschritten wurde. Diesbezüglich haben Fachkräfte allerdings nur einen begrenzten Spielraum. Deshalb ist die Minimierung digitalen Stresses nicht allein die Aufgabe der Mitarbeiter*innen, sondern auch der Arbeitgeber. Sie sollten und müssen sogar ein gesundes Arbeitsumfeld schaffen: Dazu kann zum Beispiel eine betriebliche Pausenkultur gehören, die den Wert der Arbeitsunterbrechung schätzt, weil sie zum Projekt- oder Unternehmenserfolg beitragen.
Auch der betriebliche Austausch kann digitalen Stress minimieren, wenn es zum Beispiel im Team klare Kommunikationsregeln hinsichtlich Erreichbarkeit und Schnelligkeit von Rückmeldungen gibt. Die Etablierung von analogen Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten im Arbeitsumfeld – zum Beispiel durch eine Sofa- und Kaffeeecke – kann sich ebenfalls positiv auswirken, genauso wie ein offener Austausch über das Thema „digitaler Stress“. Außerdem sollten Arbeitgeber ihren Mitarbeiter*innen präventive Weiterbildungsangebote ermöglichen wie etwa Trainings zu den Themen Stress-, Selbst- und Zeitmanagement, agiles Arbeiten, Resilienz und Achtsamkeit.
Dass diese Angebote wirken, zeigt die PräDiTec-Studie „Prävention von digitalem Stress in der Praxis“ aus dem Jahr 2021. In diesem Rahmen entwickelte PräDiTec Präventionsmaßnahmen, die bei drei kleineren und mittleren Unternehmen getestet und evaluiert wurden. Dabei zeigte sich zum einen, dass ein maßgeblicher Erfolgsfaktor für die Implementierung von Präventionsmaßnahmen ihre breite Akzeptanz unter den Beschäftigten sei. Zum anderen käme es aber auch auf die Unterstützung durch Führungskräfte und die Einbindung der Geschäftsleitung an. Die Fallstudien stellten gleichzeitig fest, dass sich digitaler Stress nicht langfristig mit einem einmaligen Workshop eliminieren lässt. Es braucht ein dauerhaftes Engagement der Arbeitgeber.