Weniger Überstunden machen
Wer ständig über den Feierabend hinaus arbeitet, kann gesundheitliche Folgen davon tragen. Foto: © Leonardo.Ai

Weniger Überstunden machen

Wenn’s im Job ständig länger wird, sollten bei Fachkräften die Alarmglocken angehen. Denn ständige Überstunden können zu gesundheitlichen Problemen und Leistungsabfall führen. Wie erklären, wie Sie pünktlich in den Feierabend kommen.

Text: Anne Mittmann

Eine wichtige E-Mail, ein dringendes Telefonat und der Förderantrag muss auch noch fertig werden – Überstunden gehören für viele Arbeitnehmer*innen zum Alltag dazu. Dabei bezeichnet der Ausdruck jede Tätigkeit, die über die vereinbarte Arbeitszeit hinausgeht. 2023 haben Berufstätige in Deutschland insgesamt über 1,3 Milliarden Überstunden geleistet, davon rund 58 Prozent unbezahlt. Das gab die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, Anette Kramme, auf eine schriftliche Frage von Die Linke bekannt. Laut einer Statistik des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) entspricht das ausgehend von einer 38,5 Stundenwoche rund 835.000 Vollzeitstellen.

Die Anzahl der Überstunden steigt mit der Position im Unternehmen und der Höhe des Gehalts: Laut der Vergütungsplattform Compensation Partner leisten Fachkräfte hierzulande im Laufe ihres Berufslebens durchschnittlich 9.655 Überstunden, Führungskräfte liegen bei 15.000. Nur 14 Prozent der Arbeitnehmer*innen erhalten einen Überstundenausgleich, bei den Fachkräften sind es mehr als doppelt so viele. Zwar sind Arbeitnehmer*innen grundsätzlich verpflichtet, in begründeten Fällen Überstunden zu leisten, haben aber einen Anspruch auf Vergütung oder Ausgleich der geleisteten Mehrzeit. Genaue Regelungen diesbezüglich können individuell im Arbeits- oder im Tarifvertrag festgelegt werden. Daher spielen Betriebsräte und Gewerkschaften im Überstundenrecht eine wichtige Rolle. Sie vertreten die Interessen der Arbeitnehmer*innen und können bei Unstimmigkeiten vermitteln oder beratend zur Seite stehen.

Überstunden nach Wirtschaftszweig

Auch die Branche hat Einfluss darauf, wie oft Fachkräfte über den offiziellen Feierabend hinaus weiterarbeiten. In der Finanz- und Versicherungsbranche, beispielsweise in Unternehmensberatungen, waren laut Statista Überstunden im Jahr 2019 am weitesten verbreitet. Im Bereich Werbung und PR seien es von Juli 2018 bis 2019 fast 3,5 Überstunden, von denen ebenfalls 75 Prozent nicht ausgeglichen wurden. Im Hochschulbetrieb sind Überstunden unter wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen besonders verbreitet. Laut einer repräsentativen Befragung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) aus dem Jahr 2019 arbeiteten Nachwuchswissenschaftler*innen im Schnitt 12 Stunden pro Woche länger. Bei sogenannten Prädocs, also Wissenschaftler*innen ohne Doktortitel, waren es knapp 13,5 Stunden, bei Postdocs circa 10. Die meisten Überstunden machten männliche Nachwuchswissenschaftler in Teilzeit-Beschäftigung mit durchschnittlich 17,5 Überstunden pro Woche. Insgesamt übertrifft die Zahl der Überstunden von Nachwuchswissenschaftler*innen deutlich die der Gesamtbevölkerung.

Personalmangel, knappe Deadlines, ein hohes Arbeitspensum und Projektarbeit – Überstunden scheinen in manchen Arbeitskontexten fast unvermeidlich. Doch ein übervolles Arbeitszeitkonto schlägt früher oder später auf die körperliche und geistige Gesundheit von Fachkräften. Laut der Publikation „Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu Arbeitszeit und gesundheitlichen Auswirkungen“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua) wirken sich lange Arbeitszeiten von mehr als 40 Stunden in der Woche kurzfristig negativ aus. Sie können zu Schmerzen, reduziertem Wohlbefinden und krankheitsbedingten Arbeitsausfällen führen. Langfristig kann zu viel Arbeit schwerwiegende Krankheiten und psychologische Störungen fördern. Außerdem: Wer zu lange arbeitet, baut in Sachen Konzentrations- und Leistungsfähigkeit ab. Das erhöht das Risiko für Fehlhandlungen, Arbeits- und Wegeunfälle. Ruhezeiten und -pausen sind daher entscheidend für den Schutz von Arbeitnehmer*innen und deren Gesundheit. Maßstab sind dabei die aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen, sprich der Acht-Stunden-Tag, die 40-Stunden-Woche und eine Ruhezeit von 11 Stunden. Fühlen sich Fachkräfte dauerhaft überarbeitet, mit zu vielen Aufgaben bestückt und spüren die Belastung bereits körperlich, sollten sie sich hilfesuchend an den Betriebsrat, falls vorhanden, oder den beziehungsweise die Hausärzt*in wenden.

Eine erste, deutschlandweit oft noch vernachlässigte Stellschraube ist die lückenlose Dokumentation der geleisteten Arbeitszeit. Nach einem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom September 2022 sind die Unternehmen in Deutschland verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten zu dokumentieren. Diese offizielle Form der Zeiterfassung macht Überstunden sichtbar und schützt laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2022 vor Überlastung der Mitarbeiter*innen. Das gelte besonders für Zeiten im Homeoffice, da Beschäftigte dort bei einer Vollzeitstelle durchschnittlich 3,5 Stunden pro Woche mehr arbeiten als vereinbart.

Aus mehr wird weniger

Für Arbeitnehmer*innen bietet die Aufzeichnung der geleisteten Stunden eine gute Grundlage, um eine zu hohe Arbeitslast bei Vorgesetzten anzubringen – und damit perspektivisch für die Reduzierung der Mehrarbeit zu sorgen. Um einen strukturellen Mangel aufzudecken, können Fachkräfte auch mit Kolleg*innen sprechen und so gegebenenfalls im Personalgespräch oder vor dem Betriebsrat ein flächendeckendes Bild der Arbeitslage zeichnen. Grundsätzlich müssen Arbeitnehmer*innen aber auch nicht direkt ins Eckbüro marschieren, sondern können eine zu hohe Arbeitsbelastung auch klar und professionell im Alltag anzeigen, indem sie Grenzen definieren und weitere Aufgaben strikt ablehnen. Dabei geht es nicht um die Arbeitsverweigerung, sondern darum dem Arbeitgeber zu zeigen, dass man die eigene Konzentrations- und Leistungsfähigkeit für die bestehenden Aufgaben erhalten möchte, um diese gut zu erledigen.

Aber nicht immer müssen fehlende Kapazitäten der Grund sein, dass man mal wieder länger bleibt. Denn manchmal kann es auch die eigene Arbeitsweise sein, die einen in Zeitnot bringt. Wer beispielsweise dazu neigt, die unliebsame, aber wichtige Präsentation immer weiter nach unten auf der To-do-Liste rutschen zu lassen, muss unter Umständen dann eben mal den Feierabend nutzen, um diese noch zur Deadline fertig zu stellen. Die Methode „Eat a Frog“ könnte hier Abhilfe schaffen: Unliebsame Aufgaben sollten direkt am Morgen erledigt werden, denn da ist noch ausreichend vom Arbeitstag vorhanden und das „Schlimmste“ dann direkt geschafft. Sind Fachkräfte in einer Branche tätig, in der „es immer etwas zu tun gibt“, wie zum Beispiel der Kultur, sollten diese sich eine feste Endzeit innerhalb des im Vertrag festgelegten Stundenumfangs setzen. Wer Schwierigkeiten hat, diese dann auch einzuhalten, kann tricksen: Bestehen nach der Arbeit Pläne fürs Restaurant, Kino oder einen Sportkurs, muss rechtzeitig Schluss machen.

Sind fehlende Kompetenzen der Grund dafür, dass eine Aufgabe ständig aufgeschoben wird oder Fachkräfte länger als nötig für ihre Erledigung brauchen, sollte dies offen angesprochen werden. Die Lösung kann dann entweder die Zuteilung zu eine*m Kolleg*in mit entsprechender Qualifikation sein – oder aber Fachkräfte nutzen ihren Weiterbildungsanspruch, um das eigene Wissen diesbezüglich zu erweitern – ein gutes Argument dafür haben sie ja in der Tasche. Weiterhin kann ein realistischer Umgang mit der eigenen Arbeitszeit Überstunden vorbeugen. Denn sind Fachkräfte motiviert bei der Arbeit, greift manchmal ein persönlicher Perfektionismus um sich. Dann wird beispielsweise am Pitch Deck hier noch etwas gefeilt und dort noch eine verbessert, obwohl das Dokument für den jeweiligen Zweck bereits mehr als ausreichend gestaltet ist. Es gilt, von solchen Aufgaben immer wieder reflektierend zurückzutreten und sich zu fragen, ob und wie sich das Ergebnis verbessert, indem weitere Zeit darin investiert wird.

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