Emotionen gegen Fakten
Wenn Forscher*innen öffentlich kommunizieren, kann ihnen von Ablehnung über Verleugnung bis hin zu Hass viel Negatives entgegenschlagen. Eine Befragung zeigt, wie weit verbreitet das Phänomen der Wissenschaftsfeindlichkeit ist.
Text: Anne Mittmann
Spätestens seit der Coronapandemie erfahren kommunizierende Forscher*innen im öffentlichen Raum zunehmend Hass und Aggression. Gerade in den sozialen Medien sind beleidigende und bedrohende Postings schnell verfasst. Statt einer sachlichen, faktenbasierten Debatte werden Forschende beleidigt, diffamiert und lächerlich gemacht. Neben der emotionalen Belastung kann Wissenschaftsfeindlichkeit zur akuten, persönlichen Bedrohung werden, wenn private Daten, beispielsweise über den Wohnort, weitergegeben werden.
Ein gemeinsames Projekt verschiedener Wissenschaftsinstitutionen und Forschungseinrichtungen –koordiniert vom Alexander von Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) – befasst sich auf verschiedenen Wegen mit Wissenschaftsfeindlichkeit. Der Titel des Projektes lautet KAPAZ, kurz für „Kapazitäten und Kompetenzen im Umgang mit Hassrede und Wissenschaftsfeindlichkeit“. Im Rahmen von KAPAZ wurde unter anderem der Helpdesk Scicomm Support für betroffene Forschende und Fachleute der Wissenschaftskommunikation ins Leben gerufen. Zudem wird das Ausmaß von Wissenschaftsfeindlichkeit erforscht. Dazu hat einer der Projektpartner, das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), eine repräsentative Befragung von Forschenden in Deutschland aus allen Statusgruppen und Disziplinen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden Mitte 2024 unter dem Titel „Anfeindungen gegen Forschende“ veröffentlicht.
Bewusst verletzende Kritik
Laut dieser Umfrage haben 45 Prozent der Befragten mindestens eine Ausprägung von Wissenschaftsfeindlichkeit erlebt. Am häufigsten genannt wurden folgende Formen der Aggression: „Herablassende Äußerungen/Anzweifeln der Kompetenz als Wissenschaftler*in durch herabwürdigende und bewusst verletzende Kritik“ (35 Prozent), „Unangemessene Reaktion auf wissenschaftliche Erkenntnisse in öffentlichen Diskussionen (beispielsweise durch Trolling)“ (28 Prozent) sowie „Aktive persönliche Diskriminierung von Forschenden, z.B. aufgrund der Hautfarbe, Herkunft, sexueller Orientierung (12 Prozent). Am unteren Ende der Befragungsskala rangieren „Zielgerichtete Beschädigung von Gegenständen, Eigentum“ (2 Prozent), „Rechtlich relevante Taten, beispielsweise Androhung physischer Gewalt oder Todesdrohungen“ (2 Prozent) und „Verbale Drohungen“ (6 Prozent).
In Bezug auf das Geschlecht werden meist nur geringe Unterschiede in der Form der erlebten Anfeindungen deutlich. Den einzigen Unterscheid macht hier der Tatbestand der „Aktiven persönlichen Diskriminierung“ aus. Dieser Form der Wissenschaftsfeindlichkeit wird häufiger von Frauen (12,6 Prozent) erlebt als von Männern (8,8 Prozent).
Betrachtet man Wissenschaftsfeindlichkeit getrennt nach Fachbereichen, zeigt sich ebenfalls ein weitgehend gleichförmiges Bild mit einer Ausnahme: Während in den Ingenieur-, Natur-, Lebens- und Sozialwissenschaften zwischen 41 und 46 Prozent der Befragten Anfeindungen erlebt haben, waren es bei den Geisteswissenschaften 51 Prozent. Die Forscher*innen vermuten, dass das teilweise mit einer geringeren öffentlichen oder medialen Präsenz mancher Fächer zusammenhängt.
Telefonische Beratung und Schulung
Die Befragung des DZHW macht deutlich, dass das Phänomen der Wissenschaftsfeindlichkeit in allen Fachbereichen und Hierarchieebenen erlebt wird und damit potenziell jede*n Forscher*in treffen kann. Was also tun? Unterstützung für Betroffene leistet unter anderem der bereits erwähnte Scicomm Support. Der Helpdesk hat neben einer telefonischen Beratung an 365 Tagen im Jahr einen Leitfaden für den Umgang mit Angriffen und unsachlichen Konflikten in der Wissenschaftskommunikation im Angebot. Grundsätzlich rät der Helpdesk, jede Drohung ernst zu nehmen und sich Hilfe zu holen. Je nach Bedrohungslage sollten Vertrauenspersonen, Kolleg*innen oder gar die Polizei miteinbezogen werden. Für den Fall eines Rechtsstreits empfiehlt es sich, Nachrichten zu archivieren über Ausdrucke oder Screenshots. Wer sich schulen lassen möchte im professionellen Umgang mit Wissenschaftsfeindlichkeit, kann das unter anderem in der einer Summer School des HIIG vom 23. bis 24. September 2024 in Berlin tun.
Ende 2021 bezogen 31 Menschen aus Wissenschaft und Öffentlichkeit gemeinsam bei „Zeit Online“ Position gegen Wissenschaftsfeindlichkeit und damit „für Freiheit, Unabhängigkeit und den Zusammenhalt in der Gesellschaft“. Dabei wurden unter anderem diejenigen kritisiert, die wissenschaftliche Aussagen verkürzt, verfälscht oder außerhalb des Kontexts darstellen und auf diese Weise die jeweiligen Forscher*innen diffamieren. „Wenn Besserwisserei in Hass gegen Wissenschaft und populistische Polemik umschlägt, ist die Demokratie in Gefahr. Als Klimaforscher bin ich es gewohnt, dass mir mein Friseur und mein Heizungsmonteur erklären, wie es wirklich mit dem Klima ist – nämlich anders als ich als Experte es weiß. Wenn aber große Medienunternehmen, populistische Parteien oder andere Wortführer in der Öffentlichkeit Emotionen gegen Fakten stellen, so stellen sie sich damit gegen alles, was eine kluge, aufgeklärte Gesellschaft ausmacht“, so Wolfgang Lucht, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung in Zeit Online. Wissenschaftsfeindlichkeit bedroht demnach die Demokratie und betrifft somit nicht nur einzelne Forschende, sondern die gesamte Gesellschaft.