Viele Monate bis zum Ziel
Ein guter Abschluss, überzeugende Bewerbungsunterlagen, mehrere Einladungen zu Vorstellungsgesprächen – und dennoch gibt es Fachkräfte, die auch damit über lange Zeit keinen Job finden. Was macht das mit einem? Und welche Strategien können helfen?
Text: Christine Lendt
Mehr als 140 Bewerbungen in einem Jahr, rund 40 Vorstellungsgespräche bei Arbeitgebern von Stuttgart bis Berlin – und am Ende eine einzige Zusage für eine Stelle bei einer Stiftung, die aufgrund von Elternzeit auf ein Jahr befristet ist. Dies ist die Bilanz unermüdlicher Bemühungen von Daniella Alejandra Ramírez Paz. Dabei können sich ihre Qualifikationen sehen lassen: Sie hat zwei Bachelorabschlüsse in Ökologie und Politikwissenschaft aus ihrem Geburtsland Kolumbien mitgebracht. Dort war sie fünf Jahre lang erfolgreich und mit guten Ergebnissen für eine NGO tätig und koordinierte hier Umweltbildungsprojekte. In Deutschland erwarb sie ihren Masterabschluss in Regionalwissenschaft und Raumplanung am renommierten Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Bei der Stellensuche fokussierte sich die Geisteswissenschaftlerin auf den Bereich, der zu ihrer Berufserfahrung passte, also Umweltbildung und Klimaanpassung, nutzte unter anderem den WILA Arbeitsmarkt und andere Job-Portale wie Linkedin.
Die 35-Jährige kann sich nicht erklären, warum so viele Absagen kamen, trotz ihrer vielfältigen Kompetenz und der zahlreichen Bewerbungen. Sprachbarrieren gab es von Anfang an keine, auch ihr Zielland war ihr schon vertraut. „Als Kind hatte ich größtenteils deutschprachigen Unterricht an der Schule, war auch damals schon für zwei Jahre in Deutschland und später für drei Monate als Austauschstudentin.“ Gemäß dem Test „Deutsch als Fremdsprache“ (DaF) bringt sie ein fortgeschrittenes Sprachniveau auf dem Niveau C1 mit, punktet obendrein mit Spanisch als Muttersprache, guten Englischkenntnissen und ihren multikulturellen Kompetenzen.
Ähnlich wie Daniella Alejandra Ramírez Paz ergeht es vielen anderen hochqualifizierten Bewerber*innen in bestimmten Berufsfeldern, auch ohne Migrationshintergrund. Das weiß Heiner Nolte, Arbeitsvermittler für akademische Berufe bei der Agentur für Arbeit Bonn: „In Bereichen wie Umwelt, Naturschutz, Klimaanpassung verzeichnen wir einen immensen Überhang an Bewerberinnen und Bewerbern*innen.“ Was die Jobsuche dann noch zusätzlich erschwert: „Bei einem Quereinstieg konkurriert man immer auch mit Absolventinnen und Absolventen aus direkten Fachbereichen wie etwa Landschaftsökologie, Umweltwissenschaften, Biologie oder Geowissenschaft“, so der Fachmann. Anders als etwa bei Jobs für Architekt*innen ist hier also die Bandbreite an geeigneten Profilen wesentlich größer. Nach Kenntnis von Heiner Nolte können somit rund 10.000 Bewerber*innen jeweils um 1.000 Stellen konkurrieren. Bei anderen Jobs, die für Geisteswissenschaftler*innen in Frage kommen, sieht es besser aus. Je nach Stelle können aber auch dann die Bewerbungen im zwei- bis dreistelligen Bereich summieren, so die Bilanz des Arbeitsvermittlers.
Alleinstellungsmerkmale herausarbeiten
Welche Strategien können Arbeitssuchende also anwenden, um ihre Chancen zu verbessern – Berufseinsteiger*innen wie auch erfahrene Fachkräfte, die ihren Job verloren haben oder nach einer befristeten Anstellung wieder auf Stellensuche sind? Entscheidend seien das Gesamtpaket und Alleinstellungsmerkmale, wie Heiner Nolte erläutert: „Darum sollte ich in der Bewerbung deutlich machen, warum diese Stelle individuell ganz besonders gut zu mir passt. Um herauszufinden, was der Arbeitgeber genau erwartet, sollte man zum Beispiel auf detaillierte Aufgabenbeschreibungen achten und sich auch über das Inserat hinaus eingehend über die Organisation oder das Unternehmen informieren. Wird dort etwa eine multikulturelle Kultur gepflegt, ist es sinnvoll eigene Auslandserfahrung und Sprachkompetenzen in den Vordergrund stellen.“ Auch den Tonfall bei den Formulierungen gelte es anzupassen – je nachdem, ob das Unternehmen eher konservativ ausgerichtet ist oder den Stil „New Work“ pflegt, sollte dieser eher förmlich oder lockerer ausfallen.
Auch wenn es naheliegend erscheint, nach dem Gießkannenprinzip möglichst viele Bewerbungen innerhalb kurzer Zeit zu verschicken, ist es ratsam nach dem Motto „Weniger ist mehr“ vorzugehen und sich intensiver mit den dahinterstehenden Unternehmen zu beschäftigen. „Arbeitgeber erkennen relativ schnell, ob ein Bewerbungsanschreiben quasi eine Massendrucksache ist. Wenn zudem Werdegang und Qualifikationen einfach nur auflistet werden, kommen die persönlichen Highlights nicht deutlich hervor“, erklärt Heiner Nolte. Wie der Arbeitsvermittler betont, sollte das Anschreiben sozusagen „wie ein Liebesbrief“ die eigene Position und Leidenschaft für die ausgeschriebene Stelle widerspiegeln. Bezüglich des Werdegangs sollte das Schreiben all jenes hervorheben, was besonders interessant für diesen konkreten Arbeitgeber sein könnte. „Die Anforderungsprofile der Arbeitgeber sind äußerst umfangreich“, ergänzt Heiner Nolte. „Oft werden auch ganz spezielle Kompetenzen erwartet, die an den Hochschulen nicht unbedingt gelehrt werden. Um beim Beispiel Umwelt zu bleiben: Wer diese Stelle besetzt, möge auch Kenntnis über ‚Natura 2000‘ besitzen und sich mit den Fauna-Flora-Habitat-Richtlinien auskennen.“
Unterstützung durch Arbeitsagentur
Heiner Noltes Erfahrung zeigt auch, dass ein gewisser Fehler aus Unwissenheit vielen Bewerber*innen für Stellen im öffentlichen Dienst passiert. Er betrifft die Kopplung des Studienabschlusses an die jeweilige Laufbahnordnung. „In unserem Team erleben wir häufig, dass viele Absolventinnen oder Absoventen mit Masterabschluss oder Promotion sich auf Sachbearbeiterstellen bewerben und frustriert sind, weil sie immer wieder abgelehnt wurden. Dabei hat dies formalrechtliche Gründe, denn solche Stellen sind in der Tarifgruppe 9 bis 12 angesiedelt und den Bachelor- oder Fachhochschulabsolvent*innen vorbehalten.“ Master oder Promotion hingegen qualifizieren für den höheren Dienst, also für Tarifgruppe 13 und aufwärts. Solche Positionen sind in der Regel als Stellen für Referent*innen benannt. Deswegen ist unbedingt schon bei der Ausschreibung auf diese Kriterien zu achten – zumal es auch keinen guten Eindruck macht, wenn schon die Bewerbung zeigt, dass die jeweilige Person sich zu wenig mit dem Dienstgefüge auskennt. In ganz wenigen Ausnahmefällen, räumt Heiner Nolte ein, werde von diesen formalen Vorgaben abgewichen. „Wer also in einem Inserat seinen Traumjob sieht und denkt: ‚Zu 99 Prozent bin das ich‘, aber die Zuordnung als Sachbearbeiter*in passt nicht, könnte zum Telefon greifen und bei der genannten Kontaktperson nachfragen, ob eine Bewerbung trotz Masterabschluss aussichtsreich sein könnte.“
Die Arbeitsagenturen bieten auch von Anfang an Unterstützung im Bewerbungsprozess an. So dient eine Erstberatung dazu herauszufinden, wo die Bewerberin oder der Bewerber steht und wie vertraut die Person bereits mit den Gepflogenheiten auf dem Arbeitsmarkt ist. Hier lassen sich auch bereits potenzielle Fettnäpfchen ausmerzen – wie etwa eine falsche Interpretation von Stellenanzeigen im öffentlichen Dienst. Weitere Termine dienen dem Feintuning und Schärfen des eigenen Profils. „So lässt sich von Arbeitgeber*innen gewünschte Berufserfahrung nicht herbeizaubern, aber wir können in ausgewählten Fällen diese Lücke mit zielführender Weiterbildung füllen. Dort werden Kenntnisse erworben, die während des Studiums nicht vermittelt wurden, aber auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind, etwa Qualitätsmanagement oder bestimmte Anwenderkenntnisse im EDV-Bereich.“ Wer sich grundsätzlich bei Bewerbungen schwer tut, kann sich auch nach Rücksprache mit der Arbeitsagentur von einem externen Coach helfen lassen. Dieser kann entweder von der Arbeitsagentur vermittelt oder selbst ausgewählt werden – allerdings muss der Coach bestimmte Zertifizierungen vorweisen können. Die Kosten werden über ein Gutscheinsystem erstattet. Einen passenden Coach finden kann man unter anderem über den WILA Arbeitsmarkt, der enge Kooperation mit Berater*innen aus ganz Deutschland hat.
Langfristiges Networking gefragt
Auch Daniella Alejandra Ramírez Paz nutzte solche Möglichkeiten, um ihre Chancen zu verbessern. Sie nahm an Weiterbildungen und Workshops zum Thema Bewerbung oder Soft Skills teil und absolvierte unter anderem einen Volkshochschulkurs zum erfolgreichen Kommunizieren. Zudem legte sie eine systematische Excel-Tabellen an, um den Überblick über die vielen Bewerbungen und den jeweiligen Stand der Dinge zu behalten. „Bei den mehr als 140 Bewerbungen war das schon sehr hilfreich. Dadurch war ich auch besser auf die Vorstellungsgespräche vorbereitet, da ich genau unterscheiden konnte, welche die Aufgaben, Eigenschaften und Anforderungen der einzelnen Stellen waren.“
Networking und persönliche Kontakte sind bei der Jobsuche ebenfalls „immens wichtig“, weiß Heiner Nolte. „Im persönlichen Umfeld sollte bekannt sein, dass man auf Jobsuche ist oder einen Wechsel anstrebt. Es geht aber nicht darum, kurzfristig Kontakte zu knüpfen, um möglichst schnell zum Erfolg zu kommen. Vielmehr ist Networking ein längerer Prozess, der vielleicht auch erst in einigen Jahren weiterhilft. Idealerweise beginnt dieser bereits während des Studiums durch Praktika, Tätigkeiten als Werkstudent*in, Tutorien – auch der Kontakt zu einigen Professor*innen kann einen weiterbringen.“ Und auch wenn eine lange Arbeitssuche mit psychischen und emotionalen Herausforderungen verbunden sein kann, etwas Geduld sollte man schon mitbringen, so Heiner Nolte: „Es ist wichtig, nicht den Mut zu verlieren und Absagen nicht persönlich zu nehmen. Es ist nun mal ein Auswahlverfahren: Das eine Mal war vielleicht jemand anderes aus Sicht des Arbeitgebers passender. Aber wenn man gut qualifiziert ist und dranbleibt, tun sich an anderen Stellen ganz neue Türen auf.“