Streit mit dem Chef oder der Chefin
Bei Streit mit dem Chef oder der Chefin profitieren Fachkräfte in der Regel von einer frühzeitigen Auflösung des Konfliktes. Foto: © Leonardo.Ai

Streit mit dem Chef oder der Chefin

Unterschwellige Spannungen, toxische Reibereien – manchmal fliegen sogar die Fetzen: Auseinandersetzungen zwischen Vorgesetzen und Mitarbeiter*innen sind keine Seltenheit. Und Gründe, aneinander zu geraten, gibt es auf der Arbeit viele. Wir haben zwei effektive Deeskalationsmethoden zusammengefasst.

Text: Anja Schreiber

Es ist Montag. Die Luft, jetzt schon so dick, dass man sie schneiden könnte. Sei es, dass der Chef wieder nur auf Probleme und Fehler zeigt. Oder die Chefin die Leistungen des Teams wieder als selbstverständlich abtut – immerhin werden sie ja auch dafür bezahlt! Auch besonders perfektionistische Chef*innen provozieren oft Auseinandersetzungen, erwarten sie doch von sich und anderen 120 Prozent Leistung: Dann müssen zum Beispiel Präsentationen mehrfach überarbeitet werden und alles muss von oben final abgesegnet sein.

Aber auch ungerechte Führungskräfte sind vielen Arbeitnehmer*innen ein Dorn im Auge. Dabei geht es häufig um Verteilungsprobleme, zum Beispiel um die Vergabe von Arbeitsaufträgen oder Fortbildungsbudgets. Ist für Angestellte dann nicht transparent nachvollziehbar, wie die jeweilige Entscheidung zustande kam, entsteht schnell der Eindruck von Unfairness – und das lässt Frust aufkommen. Nicht immer aber sind die Führungskräfte allein für Konflikte verantwortlich. Fachkräfte, die im besonderen Maße Anerkennung brauchen, die durch eigene, unflexible Vorstellungen Arbeitsabläufe maßgeblich erschweren oder sich nicht an Vorgaben halten, tragen ihren Teil dazu bei.

Andere richtig verstehen

Vonseiten der Mitarbeitenden gibt es nur begrenzte Möglichkeiten, etwas in Konfliktsituationen zu verändern. Schließlich haben ihre Vorgesetzten ein Direktionsrecht – auch Weisungsrecht genannt. Dieses erlaubt Chef*innen, ihren Mitarbeiter*innen Anordnungen zu erteilen sowie den Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung genauer zu bestimmen. Andererseits hat der Arbeitgeber die Pflicht, bei sozialen Konflikten im Betrieb einzugreifen. Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet ihn zum Beispiel in Paragraf 3, 4 und 5, die Arbeitsbedingungen hinsichtlich der psychosozialen Belastungen zu regeln und diese zu minimieren. So kann er etwa interne oder externe Mediator*innen einsetzen, wenn sich eine Auseinandersetzung nicht durch die Streitenden selbst lösen lässt. Diese Maßnahme bedeutet in aller Regel aber auch, dass der Konflikt bereits eskaliert ist. Besser ist es natürlich, wenn es gar nicht erst so weit kommt.

Hält ein Konflikt über mehrere Tage an, ist davon auszugehen, dass die beiden Parteien auf mehreren Ebenen aneinandergeraten sind: fachlich, persönlich und systematisch. Grundsätzlich ist Konfliktmanagement immer Sache der Führungsetage. Aber es ist eben auch so: Wer geht schon gerne (mit einem flauen Gefühl im Bauch) zur Arbeit, in dem Wissen, dass der Chef oder die Chefin einen gerade auf dem Kieker hat?

Das Kommunikationsquadrat

Um für sich selbst mit der Auseinandersetzung besser umgehen und perspektivisch auch Lösungen einleiten zu können, stehen Fachkräften verschiedene Techniken zur Verfügung. Bei Streits, die vor allem auf Aussagen und eventuell Missverständnissen basieren, kann das sogenannte Kommunikationsquadrat nach dem Psychologen Friedemann Schulz von Thun hilfreich sein. Demnach kann eine Aussage auf vier Weisen wirken: als Sachinformation, Selbstoffenbarung, Beziehungshinweis oder Appell. Weiterhin spricht das Modell dem Sender – also der Person, die etwas sagt, – vier „Schnäbel“ zu, die den einzelnen Wirkweisen entsprechen. Der Empfänger – die zuhörende Person – hat im Gegenzug vier „Ohren“ mit der gleichen Einteilung.

Sagt beispielsweise der Chef: „Sie haben den Bericht nicht abgegeben.“ kann das auf der Sachebene bedeuten, dass der Bericht nicht rechtzeitig abgegeben wurde. Als Selbstoffenbarung bedeutet die Aussage, dass der Chef seine Unzufriedenheit über die Verspätung zeigen möchte. Auf der Beziehungsseite könnte die Aussage vermitteln, dass der Chef den verantwortlichen Arbeitnehmer für inkompetent hält. Und zuletzt meint die Aussage als Appell, der Arbeitnehmer solle in Zukunft den Bericht rechtzeitig abgeben. Nun ist es in diesem Fall am Empfänger, also dem Arbeitnehmer, die richtige Deutung dieser Aussage vorzunehmen. Allerdings hat der Arbeitnehmer ja die vier „Ohren“ – und das kann zu Konflikten führen. Hört der Arbeitnehmer vor allem das Gesagte als Beziehungshinweis, fühlt er sich unter Umständen persönlich angegriffen. Versteht er die Aussage als Appell, erkennt er den Wunsch des Chefs nach Verbesserung vermutlich richtig.

Das Wissen um das Kommunikationsquadrat kann Fachkräften helfen, die vor allem aufgrund von schlechter Kommunikation oder bestimmter Aussagen mit ihrem Chef oder ihrer Chefin in Konflikt geraten. Sich im Moment des Ärgers der verschiedenen Ebenen bewusst zu werden, kann dazu führen, ruhig bleiben zu können. Dann lässt sich die Sache besser als das abstempeln, was sie vielleicht einfach ist – ein*e Vorgesetzte, der oder die nicht deutlich sagen kann, was Sache ist.

Abwärtsspirale früh stoppen

Auch das Wissen über den Aufbau und Verlauf von Unstimmigkeiten kann hilfreich sein, um proaktiv auf diese einzuwirken. Der Konfliktforscher Friedrich Glasl definiert dafür in einem Modell drei Ebenen, die jeweils in drei Absätze unterteilt sind: Die erste Ebene wird Win-Win genannt. Sie stellt die Phase dar, in der der Streit noch für beide Parteien gewinnbringend beigelegt werden kann. Die Verhärtung des Konflikts führt zur Debatte, zu Taten und letztlich zur zweiten Ebene: der Win-Lose-Phase. Hier wird eine der beiden Parteien unzufriedener mit der Lösung sein als die andere. Es kann zu Koalitionen, zum Gesichtsverlust und zu Drohungen kommen.

Die Lose-Lose-Phase, die dritte Ebene, steht ganz im Zeichen von Destruktion, Zersplitterung und dem gemeinsamen Untergang. Denn auf dieser Stufe kann keine der beiden Parteien mehr gewinnen. Nun ist es wichtig, sich deutlich zu machen, dass Fachkräfte in einem Konflikt mit Chef*innen in gewissen Maß ohnehin den Kürzeren ziehen: Vorgesetzte haben mehr Macht im Arbeitsverhältnis und Arbeitnehmer*innen befinden sich in einer Abhängigkeit, da sie in der Regel auf Lohnzahlungen und die Anstellung angewiesen sind. Fachkräfte sollten sich mit Blick auf Friedrich Glasls Modell vor Augen führen, dass sie einen Konflikt mit der Führungsetage wahrscheinlich auf der ersten Ebene gewinnen können – je weiter der Konflikt voranschreitet, desto schlechter stehen ihre Chancen. Demnach sollten Arbeitnehmer*innen versuchen, den Streit schnellstmöglich in ruhige Bahnen zu lenken, zum Beispiel mit einem Kompromiss ihrerseits – wenn vielleicht auch unwillig.

Präventiv vorgehen

Ein Kompromiss bedeutet nicht, der dicken Luft aus dem Weg zu gehen, sondern Kosten und Nutzen abzuwägen. Den Chef oder die Chefin in einem emotionalen Moment zu unterbrechen, mag dem spontanen Impuls nachgeben, holt Fachkräfte aber vielleicht im Nachhinein ein. Diese Herangehensweise lässt sich als Konfliktfähigkeit bezeichnen und ist entscheidend, um Streitigkeiten frühzeitig die Schärfe zu nehmen. Zur Konfliktfähigkeit zählt auch das sogenannte Emotionsmanagement: Das reicht vom tiefen Durchatmen, über die Wahrnehmung körperlicher Symptome wie Zittern oder Schwitzen bis hin zu früh Feierabend machen und die Sache morgen in Ruhe nochmal angehen. Denn letztlich profitieren Fachkräfte davon, ihre Bereitschaft zur Problemlösung stetig zu signalisieren und Emotionen sowie das eigene Ego hintenanzustellen – auch wenn es schwierig ist.

Auch Chef*innen sollten mit ihrem falschen Verhalten konfrontiert werden – allerdings nicht im Rahmen eines hitzigen Streits. Feedbackrunden und Jahresgespräche setzen einen professionellen Kontext. Dadurch schließen die allgemeingültigen Bedingungen die Beziehungsebene aus dem oben genannten Kommunikationsmodell aus. Und so ist es für beide Seiten schwieriger, sich persönlich angegriffen zu fühlen. Hinzu kommt, dass Arbeitnehmer*innen laut Paragraf 84 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz ein Recht auf Beschwerde haben. Dieses ist dienlich beispielsweise bei Verteilungs- und Benachteiligungskonflikten, also wenn Arbeitnehmer*innen zum Beispiel wegen Unstimmigkeiten immer nur die „schlechten“ Aufträge bekommen oder denken diese zu bekommen. Für andere Beschwerdegründe, beispielsweise Diskriminierung, greift das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Auch dieses beinhaltet ein Recht auf Beschwerde. Darüber hinaus können und sollten Fachkräfte immer auf Unterstützung eines Betriebsratsmitglieds oder einer offiziellen Vertrauensperson setzen, um Konflikte mit Chef*innen zu lösen.

Verschiedene Konflikttypen in der Übersicht

  • Beziehungskonflikte: Man mag sich einfach nicht. Subtile Abneigung kann sich steigern und Ungereimtheiten werden schnell persönlich.
  • Kommunikationskonflikte: Schlechte, fehlende, verbale, non-verbale Kommunikation, die Raum für Missverständnisse lässt.
  • Verteilungskonflikte: Dienstwagen, das neue Einzelbüro, Homeoffice-Ausstattung und andere Ressourcen werden aus Sicht einer Partei unfair verteilt.
  • Rollenkonflikte: Unklar definierte Aufgabenbereiche gepaart mit (un)ausgesprochenen Erwartungen können zum Streit führen
  • Wertkonflikte: Ein Streit über das, was wichtig und richtig ist, ist auch auf der Arbeit schnell entbrannt.
  • Machtkonflikte: Wird die eigene Position in einer Gruppe infrage gestellt oder ist das eigene Ansehen gefährdet, bekommen sich Fachkräfte in die Haare.
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