
Eine Frage der Wahrheit
Sie haben sich in Ihrem Studium mit Platon, Kant und Heidegger beschäftigt – aber wie geht’s beruflich weiter? Für akademisch ausgebildete Philosoph*innen sind Stellen mit Fachbezug rar gesät. Aber es gibt sie – und dazu noch weitere berufliche Optionen.
Text: Anja Schreiber
Das Studium der Philosophie führt – wie in vielen Geisteswissenschaften auch – in der Regel nicht zu klar umrissenen Berufsbildern. Dennoch schafft es ein kleiner Teil dieser Akademiker*innen mit philosophischen Inhalten ihr Geld zu verdienen. Ein Begriff geistert in diesem Zusammenhang immer wieder mal durch die Medien: die sogenannten „Chief Philosophy Officers“ (CPOs). Dabei handelt es sich um Inhouse-Philosoph*innen, deren Aufgabe es unter anderem ist, die Unternehmenskultur kritisch zu reflektieren. Der Philosoph Sören E. Schuster war als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Wirtschaftsgestaltung (IfW) in Berlin diesem Berufsbild nachgegangen. Mittlerweile ist er dort Fellow und zusätzlich als selbständiger Berater tätig. „Die Idee eines Chief Philosophy Officers machte mich neugierig, zumal ich selbst einen Start-up-Hintergrund habe. Allerdings zeigte es sich, dass zu dem Zeitpunkt, als ich recherchierte, diese Chief Philosophy Officers entweder kaum vorhanden oder mir nicht zugänglich waren.“
Deshalb fragte sich der Wissenschaftler, der an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg promoviert und einen Lehrauftrag an der Freien Universität Bozen hat, wie so eine Aufgabe im Unternehmen konkret aussehen könnte. Dafür interviewte er verschiedene Expert*innen – unter anderem den in den Niederlanden lebenden Anil Sadhoeram, nach Sören Schusters Recherchen der erste offizielle CPO. Dieser beschreibt das Berufsbild folgendermaßen: „Die Rolle des CPO besteht nicht darin, Urteile zu fällen, sondern Fragen zu stellen, die dem Unternehmen einen Mehrwert bringen. Als CPO müssen Sie eine Atmosphäre schaffen, in der die Mitarbeiter tatsächlich Fragen stellen können.“ Anil Sadhoeram geht davon aus, dass durch die technologischen Entwicklungen die Relevanz von CPOs recht schnell zunehmen könnte. Sollte das Berufsbild des CPO Mainstream werden, würde er diese Aufgabe als eine Beraterfunktion definieren. Er selbst habe auch als Berater angefangen. Diese und weitere Aussagen zum Thema hat Sören Schuster 2023 in einem Buch mit dem Titel „Chief Philosophy Officer“ zusammengefasst.
Chief Philosophy Officer (noch) kein Mainstream
Die möglichen Aufgabenbereiche eines oder einer CPO können vielfältig sein. Sie entwickeln beispielsweise eine Unternehmensethik, arbeiten an Innovationsstrategien mit oder sind im Bereich Risikomanagement tätig. Dabei sind CPOs besonders der Wahrheit verpflichtet. Anil Sadhoeramim betont im Interview mit Sören Schuster: „Die Grundlage der Philosophie besteht nicht darin, die Welt so zu sehen, wie wir sie gerne hätten, sondern wie sie tatsächlich ist. Für den CPO läuft also alles auf die Frage nach der Wahrheit hinaus!“ Aktuell ist das aber alles in Deutschland noch Zukunftsmusik. Sören Schuster fasst zusammen: „Zurzeit ist die Rolle des CPOs in Unternehmen nicht etabliert. Allerdings kamen als Reaktion auf meine Recherchen und meine E-Book-Veröffentlichung schon Personen auf mich zu, die in einer solchen Funktion arbeiten oder sie in ihrem Unternehmen implementieren wollen.“ Es könnte sich also bald etwas verändern. „Zur Wahrheit gehört aber, dass es heute noch keine Stellenausschreibungen für dieses Berufsbild gibt.“
Auch jenseits des CPOs gibt es – so Sören Schuster – nur wenige Philosoph*innen, die aufgrund ihrer speziellen philosophischen Expertise angestellt wurden. „Grundsätzlich ist es zwar möglich, dass Philosoph*innen wegen ihres Fachwissens in der Wirtschaft oder in NGOs landen, aber das ist eher selten. Auch im Projektmanagement arbeiten sie nach meiner persönlichen Erfahrung eher vereinzelt“, erklärt Sören Schuster. Viel häufiger komme es dagegen vor, dass Absolvent*innen aufgrund ihrer überfachlichen Qualifikation eingestellt werden. „Sie sind dann zum Beispiel oft – wie andere Geisteswissenschaftler*innen auch – in den Bereichen Presse und Kommunikation tätig.“
Optionen im Bildungsbereich
Eine Möglichkeit, fachliche Expertise und sprachliche Fähigkeiten zu verbinden, bieten zum Beispiel philosophische Zeitschriften und Online-Portale. Neben den wissenschaftlichen Fachpublikationen existieren auch Magazine, die sich eher an ein breiteres Publikum wenden. Spezielle Fachverlage brauchen ebenfalls das Fachwissen von Philosoph*innen – besonders dann, wenn sie Bildungsmedien publizieren. So suchte neulich der C.C. Buchner Verlag einen „Redakteur (m/w/d) für die Fächer Ethik und Philosophie“. Voraussetzung war ein abgeschlossenes (Lehramts-)Studium in Ethik/Philosophie. Idealerweise sollten Bewerber*innen außerdem über praktische Zusatzqualifikationen wie zum Beispiel Unterrichtserfahrung oder redaktionelles Know-how verfügen.
Philosoph*innen mit pädagogischer Qualifikation kommen natürlich auch als Lehrkräfte an Schulen infrage. Neben dem Schulfach Philosophie ist es auch möglich, Ethik zu unterrichten wie zum Beispiel in Hessen. Allerdings gibt es inzwischen eigene Studiengänge für das Unterrichtsfach Ethik. Doch nicht immer brauchen Philosoph*innen ein Lehramtsstudium, um im Bildungsbereich arbeiten zu können. Das zeigt eine Ausschreibung des Internationalen Bundes (IB Süd). Das Unternehmen suchte einen oder eine „Dozent * Dozentin für Ethik“ für die beruflichen Schulen des IB Süd in Böblingen. Erwartet wurde ein abgeschlossenes Studium der Philosophie, die Fähigkeit zu selbstständigem Arbeiten, Teamfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Zu den Aufgaben dieser Lehrperson gehörten laut Stellenangebot der Unterricht, die Konzeption und Erstellung von Unterrichtsmaterialien, die Vorbereitung von Unterrichtseinheiten, die Durchführung von Prüfungen und die Beurteilung von Schülerleistungen. Die Teilnahme an Konferenzen und am Schulleben sowie die Durchführung von Schul- und Klassenprojekten waren ebenfalls Teile des Tätigkeitsprofils.
Ein klassischer Arbeitgeber sind die Hochschulen. Dort können Absolvent*innen Stellen in Lehre und Forschung finden, etwa als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen oder später auch als Dozent*innen. Typische Aufgaben sind die Analyse und Interpretation philosophischer Texte, die Durchführung wissenschaftlicher Studien und das Schreiben von Fachpublikationen. Philosoph*innen an Hochschulen beteiligen sich zudem an wissenschaftlichen Konferenzen und schreiben Anträge, halten Lehrveranstaltungen ab und betreuen und prüfen Studierende. Die Arbeit als Gutachter*in, in einer Ethikkommission oder einem Gremium aus Expert*innen kann ebenfalls Teil ihrer Aufgaben sein.
Logik und ganzheitliches Denken
Weitere potenzielle Arbeitgeber, welche die Expertise von Philosoph*innen benötigen, sind etwa (wissenschaftliche) Bibliotheken und auch Einrichtungen der Erwachsenenbildung. So veranstalten Volkshochschulen etwa Kurse in den Bereichen Philosophie, Ethik und Religion. Im Dienstleistungsbereich betreiben einige Philosoph*innen auf selbstständiger Basis zum Beispiel „Philosophische Praxen“ und bieten dort (philosophische) Lebensberatung an. Philosophische Praxen können außerdem Unternehmen und Organisationen beraten. Manche dieser Dienstleister*innen organisieren Veranstaltungen oder Seminare zu philosophischen Themen.
In der Regel ist es für Philosoph*innen jedoch eher die Ausnahme, dass sie sich im beruflichen Umfeld mit philosophischen Fragestellungen befassen. Das liege auch oft an der Studienausrichtung, berichtet Sören Schuster: „Im Studium ist es eher üblich alles, was mit Wirtschaft zu tun hat, kritisch zu sehen. Philosophische Beiträge beschränken sich oft auf moralische Perspektiven, von denen aus dann geurteilt wird.“ Der Experte erklärt weiter: „Die Kompromisse, die einige nach ihrem Studium eingehen, um beruflich Fuß zu fassen, stehen dann natürlich in einem gewissen Kontrast zur vorigen kritisch-moralischen Perspektive. So kann nach dem Philosophiestudium unter Umständen eine Ernüchterung einsetzen, wenn die Absolvent*innen mit der Realität der Berufswelt konfrontiert werden.“ Andere Absolvent*innen hätten ohnehin keine großen Erwartungen daran, die Philosophie zum inhaltlichen Gegenstand ihres Berufes zu machen. Dennoch ist sich Sören Schuster, der sich schon seit dem Studium mit wirtschaftlichen Themen befasst, sicher, dass Philosoph*innen besondere Eigenschaften fürs Berufsleben mitbringen: „Neugier zeichnet die Philosophie aus. Student*innen haben zudem gelernt, gut mit Komplexität umzugehen. Sie können logisch und ganzheitlich denken. Außerdem sind sie zu sprachlicher Präzision fähig.“ All diese Kompetenzen sind im beruflichen Kontext wichtig, ob man sich nun mit philosophischen Fragenstellungen befasst oder sich als Personalreferent*in, Redakteur*in, PR-Referent*in oder Marketingexpert*in mit nichtphilosophischen Themen beschäftigt.