Wertschätzende Haltung gefragt
Egal ob sich jugendliche Straftäter*innen ihres Vergehens bewusst sind oder nicht – die Zusammenarbeit mit ihnen erfordert viel Fingerspitzengefühl. Foto: © shootingankauf – stock.adobe.com

Wertschätzende Haltung gefragt

In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die eine Straftat begangen haben, sind verschiedene Fachkräfte vor allem mit psychologischem und (sozial-)pädagogischem Hintergrund gefragt. Was sie jedoch alle mitbringen sollten, ist ein hohes Maß an Empathie für ihre jungen Klient*innen.

Text: Daniela Knoll

Die Arbeit mit straffälligen jungen Menschen ist so abwechslungsreich wie die Personen an sich: Das können junge Erwachsene sein, die wegen illegaler Autorennen vor Gericht landen, Täter*innen, die sexuelle oder körperliche Gewalt ausgeübt haben oder gar strafunmündige Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren. Letztere können laut Gesetz nicht straffällig werden, sondern sind grenzverletzend. Für jede Zielgruppe haben Fachkräfte aus den Bereichen Psychologie, Therapie, Kriminologie, Pädagogik, Soziale Arbeit, Soziologie oder Medizin einen anderen Methodenkoffer.

Arbeiten mit jungen Sexualtäter*innen

Die Fachstelle für Gewaltprävention Niedersachsen, Bremen und Bremerhaven ist eine Opferschutz-Einrichtung, deren Hilfsangebote sich an Beschuldigte und Verursacher von körperlicher und sexueller Gewalt richten. Zu den Aufgaben der Fachstelle gehören Beratung und Therapie von Erwachsenen, geistig beeinträchtigten Personen sowie auch von Kindern und Jugendlichen. Die Arbeit mit den jungen Sexualstraftäter*innen und sexuell grenzverletzenden, strafunmündigen Kindern und Jugendlichen schließe immer auch deren Opfer ein, betont Geschäftsführer Christian Spoden: „Wir betreiben Prävention: Täterarbeit ist Opferschutz. In dem Sinne, dass wir an einem möglichen Rückfall arbeiten. Auch haben die Täter aus meiner Sicht eine Bringschuld gegenüber den von ihnen geschädigten Opfern. Sie müssen alles dafür tun, um der Heilung dieses Opfers zuzuarbeiten.“

Seit mehr als 30 Jahren ist der Sozialpädagoge, der zugleich auch Tätertherapeut und Therapeut für sexuell missbrauchte Kinder ist, in diesem Bereich tätig. Obwohl das nach seinen Worten ein „Schmuddelthema“ sei, mache ihm die multidisziplinäre Arbeit große Freude. Man arbeitet eng mit Polizei, Strafvollzug, Justiz, Bildung, Universitäten, Psychotherapie, Psychologie, Psychiatrie oder auch Jugendämtern zusammen. Die meisten Strafmündigen, also die ab 14 Jahren, würden vom Jugendamt geschickt. Therapeutisch würde dann analysiert, warum solch eine Tat überhaupt geschehen ist, „um dann eine genaue Tatrekonstruktion zu machen. Das wird im Detail und in Zeitlupe gemacht. Und dabei wird herausgearbeitet, dass die Jugendlichen an ganz vielen Stellen Entscheidungen getroffen haben, die zur Durchführung der Tat geführt haben.“ Hinter solchen Entscheidungen stecke Verantwortung. Auch Kinder wüssten ganz genau, dass es falsch sei, anderen Kindern auf der Schultoilette die Hose herunterzuziehen, so der Experte.

Interne Weiterbildungen

Anfang des Jahres suchte die Fachstelle für Gewaltprävention eine*n „Psychologe/Psychologin (m/w/d) für die ambulante Arbeit mit Sexual(straf)tätern“ in unbefristeter Teilzeit. „Man muss, um bei uns zu arbeiten, eine gewisse Berufserfahrung im Feld der Beratung, Therapie oder Psychotherapie mitbringen. Konkret sollte man mit Menschen an innerpsychischen Problemen gearbeitet haben. Zusätzlich wäre praktische Erfahrung in der Arbeit mit Sexualstraftätern wünschenswert“, erklärt Christian Spoden. Diese Grundqualifikationen auf Seiten der Bewerber*innen seien aber nicht immer gegeben: „Deswegen bekommen Mitarbeiter*innen, die bei uns anfangen, erst einmal eine Einführung in dieses Arbeitsfeld.“

In der Regel bringen aber vor allem Psycholog*innen sowie Fachkräfte aus der Sozialpädagogik und Sozialen Arbeit fachlich das grundlegende Rüstzeug mit, wie ein Blick in verschiedene Stellenausschreibungen und den dort gesuchten Berufen zeigt. So wollte etwa der Straffälligen- und Bewährungshilfe Berlin e.V. eine*n „Sozialarbeiter (m/w/d) mit handwerklichen Skills“ einstellen. Zu den Aufgaben gehörte es unter anderem gemäß Stellenbeschreibung mit Schulen, Justizvollzugsanstalten oder Fachberatungsstellen bestmögliche Angebote in der Straffälligenhilfe zu planen und umzusetzen. Präventiver Opferschutz wird auch bei der Behandlungsinitiative Opferschutz (BIOS-BW) in Karlsruhe großgeschrieben. Dort wurde für „die Durchführung von rückfallreduzierenden, psychotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen“ für Menschen, die eine Gewalt- oder Sexualstraftat begangen haben, ein*e psychologische*r Psychotherapeuten*in gesucht. Auch Sozialarbeiter*innen oder Sozialpädagog*innen finden dort ein interessantes Betätigungsfeld, indem sie Hilfestellung in schwierigen Lebenslagen geben oder bei der sozialen Integration unterstützen.

Arbeiten bei der Jugendgerichtshilfe

Mit jugendtypischen Delikten wie etwa Diebstahl, Körperverletzung, Beleidigung, Nötigung oder Betrug haben es Fachkräfte bei der Jugendgerichtshilfe (JGH) zu tun. Diese sind in der Regel den Jugendämtern zugeordnet, also im öffentlichen Dienst beschäftigt. Der therapeutische Gesprächsanteil ist bei Behörden im Vergleich zu freien Trägern zwar oft geringer, aber deren Arbeit ist dennoch unverzichtbar. Frank Schröder, Abteilungsleiter des Teams „Intervention & Prävention/Jugendgerichtshilfe (TIP/JGH)“ bei der Familien- und Jugendhilfe der Stadt Neumünster, erklärt: „Wir können auch begleitende Maßnahmen, also zum Beispiel Erziehungsbeistandschaften für die Jugendlichen mit einrichten.“ Ein Erziehungsbeistand soll das Kind oder den oder die Jugendliche*n bei Entwicklungsproblemen möglichst unter Einbeziehung des sozialen Umfelds und der Familie unterstützen.

Frank Schröder ergänzt: „Wenn wir gemeinsam in der Begleitung im Strafverfahren erfahren, wieso ist es dazu gekommen, zum Beispiel Langeweile, Unzufriedenheit, dann ist das oft keine ausweglose Situation. Aber es ist oft eine Situation, die die jungen Menschen nicht alleine lösen können. Und meine Kolleg*innen aus dem TIP/JGH-Team können hier verlässliche Hilfe zur Seite stellen: nämlich freie Träger im Rahmen einer Maßnahme ‚Hilfe zur Erziehung nach dem SGB VIII‘ beauftragen, die dann weitere Unterstützung anbieten. Und genau da kommen wir in den Bereich Rückfallprävention und Rehabilitation.“ Konkret sehe das beispielsweise so aus, dass man versuche, Mitarbeitende von freien Trägern zu kontaktieren, die sowohl vom Alter als auch vom Typ zu den Kindern und Jugendlichen passen könnten. Also vielleicht „einen jungen Mann zwischen 35 und 40. So dass ein junger Mensch, der gerade straffällig, gerade verurteilt wurde, der gerade dabei ist, eine Auflage zu erfüllen, Lust hat, mit diesem Helfer Kontakt aufzunehmen und mit dem auch zu arbeiten“.

Die Arbeitsgruppenleiterin des Teams TIP/JGH, Nele Bodtke – Sozialpädagogin mit dem Abschluss Bachelor of Arts – beschreibt den Arbeitsalltag: „Hier, speziell bei der Jugendgerichtshilfe begleiten wir junge Menschen im gesamtem Strafverfahren. Wir bekommen schon vorab eine Meldung der Polizei, dass ein Verfahren eingeleitet wird. Dann schicken wir ein Beratungsangebot raus, um darauf vorzubereiten, wie es jetzt weitergehen kann.“ Im Rahmen der Jugendgerichtshilfe werden viele Gespräche geführt oder man begleitet die jungen Menschen zu Gerichtsverhandlungen und darüber hinaus. „Wenn wir selbst die Anliegen nicht lösen können, vermitteln wir sie an andere Stellen weiter.“ Damit sind freie Träger gemeint, etwa Vereine oder gemeinnützige Organisationen, die Jugendarbeit anbieten oder im Gesundheitsbereich tätig sind. Ziel sei immer, betont Nele Bodtke, „die Bedarfe der jungen Menschen zu decken, um somit die Straffälligkeit zu vermeiden. Straffälligkeiten oder jugendtypische Verfehlungen geschehen oft aus Langeweile oder Unzufriedenheit im Elternhaus. Dann schaut man, wo man einwirken oder intervenieren kann, damit sie nicht weiter Straftaten begehen.“

Das sollten Fachkräfte mitbringen

Im Frühjahr 2024 hatte die Familien- und Jugendhilfe der Stadt Neumünster eine Teilzeitstelle für eine*n Sozialpädagog*in oder Sozialarbeiter*in zu besetzen. Das Besondere bei dieser Stelle war, dass man neben der intensiven sozialpädagogischen Betreuung von verhaltensauffälligen und delinquenten Kindern und Jugendlichen auch in Verfahren vor dem Familiengericht mitwirken kann. Hier kommt der Fachbegriff „Garantenstellung“ ins Spiel. Das meint die Pflicht einer Person dafür Sorge zu tragen, dass ein bestimmter Straftatbestand sich nicht verwirklicht. „Wir treten in unserer Tätigkeit als Vertreter des Staates auf“, erklärt Frank Schröder. Man müsse „vor Gericht bestehen können“. Um die Garantenstellung ausüben zu können, braucht man ein abgeschlossenes Studium der Sozialen Arbeit/Sozialpädagogik mit erworbener staatlicher Anerkennung (Anerkennungsjahr). Garantenstellung kommt beispielsweise in den Bereichen zum Tragen, in denen man nach „SGB VIII – Hilfe zur Erziehung“ arbeitet. Da freie Träger keine Garantenstellung ausüben, könnten etwa studierte Sozialarbeiter*innen oder Sozialpädagog*innen in der Jugendhilfe Berufserfahrung sammeln oder durch Weiterbildungen neue Bildungsräume für sich erschließen. Wer dann feststellt, dass er oder sie soweit in dem Thema drin ist, dass die Garantenstellung seriös, angemessen und verlässlich ausgeübt werden kann, hat damit gute Karten bei einer Bewerbung in einem Jugendamt.

Was allen hier im Berufsfeld vorgestellten Expert*innen gemeinsam ist, ist deren wertschätzende Haltung gegenüber den jungen Klient*innen. Christian Spoden von der Fachstelle für Gewaltprävention bringt es auf den Punkt: „Respekt und Achtung vor dem Menschen bei gleichzeitiger klarer Differenzierung zu der Tat, die zu verurteilen ist.“ Auch das Team von Frank Schröder beim Jugendamt in Neumünster nennt „Haltung“ als unverzichtbar in diesem Beruf und definiert es als gemeinsames Statement folgendermaßen: „Es ist absolut notwendig, dass jemand, der diese Arbeit macht, die Menschen trotz vermeintlicher Verfehlungen ‚in Anführungsstrichen‘ mögen, akzeptieren und schätzen kann. Es kann nicht funktionieren, wenn man Menschen, die sich genau mit solchen Verfehlungen Hilfe holen, geringschätzt oder verurteilt. Das heißt, es muss ein hohes Maß an Akzeptanz für die Menschen und ihre Einzigartigkeiten geben, wegen denen sie sich in den Hilfeprozess begeben. Jeder, der bei uns ist und Hilfe haben will, hat auch welche verdient.“

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