So gut bin ich doch gar nicht!
Menschen mit einem Impostor-Syndrom fühlen sich wie verkleidet: Sie glauben, andere Leute über den wahren Grund für ihren Erfolg zu täuschen. Foto: WILA Arbeitsmarkt/Leonardo.Ai

So gut bin ich doch gar nicht!

Sie sind sehr erfolgreich im Beruf oder Studium, glauben aber, dass das nur Glück und Zufall ist? Dass Ihr Erfolg nicht auf Ihre Ausdauer und hart erworbenen Kompetenzen zurückzuführen ist? Dann leiden Sie vermutlich am sogenannten Impostor-Syndrom.

Text: Elisabeth Werder

Das Impostor-Syndrom wird auch Hochstapler-Syndrom genannt. Menschen, die davon betroffen sind, halten sich selbst für Betrüger (englisch: impostor). Sie glauben, ihr Umfeld über den wahren Grund für ihre gute Arbeit zu täuschen. Als psychische Störung im klassischen Sinn wird es jedoch nicht gewertet. Es gilt vielmehr als eine Art Persönlichkeitsmerkmal und ist deshalb nicht im weltweit anerkannten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen (ICD) gelistet. Selten ist das Impostor-Syndrom jedoch nicht gerade: Eine 2011 von der thailändischen Psychologin Jaruwan Sakulku und ihrem australischen Kollegen James Alexander veröffentlichte Studie belegt, dass etwa 70 Prozent aller Menschen mindestens einmal im Leben Bekanntschaft mit dem Phänomen machen.

Statistisch gesehen sind Frauen häufiger betroffen und auch in bestimmten Berufsfeldern, zum Beispiel in der Wissenschaft und im medizinischen Bereich, tritt das Impostor-Syndrom häufiger auf. Betroffenen fällt es schwer, sich über Erfolge zu freuen oder Komplimente anzunehmen, weil sie diese nicht für gerechtfertigt empfinden. Das hemmt die persönliche Entwicklung und das Stärken des Selbstwertgefühls.

Karriere-Blockade

Mangelndes Selbstvertrauen ist ein zentraler Faktor, aber nicht allein ausschlaggebend für das Impostor-Syndrom: Menschen mit wenig Selbstbewusstsein zweifeln zwar schneller an ihren Fähigkeiten oder fühlen sich leicht von anderen angegriffen, stellen aber deshalb nicht gleich ihre (berufliche) Daseinsberechtigung in Frage. Stattdessen gelingt es ihnen hin und wieder, die Selbstzweifel zu überwinden und am Ende stolz auf ein erreichtes Ergebnis zu sein. Bei Betroffenen des Impostor-Syndroms ist das anders: Obwohl sie rein faktisch genauso viel arbeiten und leisten wie Kolleg*innen, können sie ihre Erfolge nicht als solche betrachten oder sich darüber freuen. Stattdessen leiden sie unter ständiger Anspannung und fürchten das Gefühl, eines Tages „aufzufliegen“.

Die Sorge vor Rückschlägen oder Kritik von Führungskräften wiegt schwer im Berufsalltag und wirkt sich nicht selten auch auf die Gesundheit von Betroffenen aus, körperlich wie mental. Verständlicherweise kann der ständige Anspruch der Überkompensation sowie die übertriebenen Erwartungen an sich selbst früher oder später zu einem Burn-out führen. Auch das entgegengesetzte Verhalten kann auftreten: Der Zweifel an den eigenen Kompetenzen führt dazu, dass Betroffene sich von vornherein gar nicht richtig anstrengen, weil sie sich den erfolgreichen Abschluss eines Projekts schlichtweg nicht zutrauen. Die logische Konsequenz, das Scheitern, wird wieder als Bestätigung der eigenen Unfähigkeit gedeutet. Anstelle von einem erfüllenden und produktiven Arbeitsalltag bestehen die Tage der Betroffenen dann aus Prokrastinieren und Selbstsabotage, was sich wiederum negativ auf den Selbstwert und das Arbeitsverhältnis auswirkt.

Das fehlende Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ist nicht der einzige Faktor, inwiefern das Impostor-Syndrom beruflichen Erfolg blockieren kann. Da Betroffene immer mit dem Gefühl leben, kaum ihre aktuelle Position verdient zu haben und erst recht keine Belohnung für ihre Leistung, kämen sie nie auf die Idee, Ansprüche zu stellen: zum Beispiel in Form einer Beförderung, Gehaltserhöhung oder anderer Privilegien im beruflichen Kontext. Das mag unter anderem auch ein Grund dafür sein, dass 2022 laut Statistischem Bundesamt nur knapp ein Drittel aller Führungskräfte in Deutschland weiblich war.

Erkenntnis ist der erste Schritt

Das Gefühl, nicht gut genug zu sein, kennen vor allem auch Mütter und andere Personen, die im Privaten stark eingespannt sind: Der ständige Balance-Akt, es im Job und im Privatleben allen recht machen zu wollen, zehrt an den Kräften und hat Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl. Weil diese Gefühle mit Scham behaftet sind, trauen sich viele Frauen nicht, darüber mit anderen Müttern zu sprechen. Tun sie es doch, stellen sie schnell fest: Es geht vielen anderen genauso! Das erdrückende Gefühl nicht genug zu sein kennen fast alle arbeitenden Mütter. Und diese Erkenntnis ist häufig schon der erste Schritt auf dem Weg zu mehr Selbstvertrauen und Akzeptanz. Auch ein Notizbuch, in dem Erfolge und Fortschritte festgehalten werden, kann dabei helfen: Wenn die Hochstapler-Gefühle aufkommen, kann man durch das Notizbuch blättern und sich seine Erfolge und gegebenenfalls das Lob dafür vergegenwärtigen.

Wichtig für Betroffene ist es vor allem, sich von Perfektionismus und selbst verursachtem Leidensdruck zu verabschieden. Misserfolge sollten nicht als Zeichen von Unfähigkeit gewertet werden, sondern als Lernfeld und schlichtweg etwas, das zum Leben dazugehört: Jede*r Kolleg*in, jede Führungskraft und jede*r Bekannte aus dem privaten Umfeld muss mit Rückschlägen und Niederlagen umgehen. Selbstzweifel kennt jeder Mensch – deshalb hilft vor allem der Austausch mit anderen, die negativen Gefühle zu überwinden. Wer seine eigenen Schwächen kennt und akzeptiert, kann sich damit arrangieren und sein persönliches Potenzial voll ausschöpfen, statt sich selbst im Weg zu stehen. Leidet jedoch jemand sehr stark am Impostor-Syndrom, und kommen unter Umständen noch psychische Erkrankungen dazu, wie Depressionen, sollte man sich professionelle Unterstützung holen. Der Hausarzt oder die Hausärztin ist dann die erste Anlaufstelle.

Anzeichen für ein Impostor-Syndrom

  • Mehrarbeit: Haben Sie den Eindruck, dass Sie ständig mehr arbeiten als Ihre Kolleg*innen in vergleichbaren Positionen? Und zwar nicht, weil Sie mehr Aufgaben haben, sondern weil Sie sonst das Gefühl entwickeln, nicht gut genug zu sein?
  • Anerkennung: Können Sie ein Lob ohne „Wenn und Aber“ annehmen und sich darüber freuen?
  • Abwertung: Spielen Sie Ihre eigene Kompetenz immer wieder vor anderen herunter? Ein typischer Hinweis darauf ist etwa, wenn Sie häufiger in Meetings sagen: „Das war nur so eine Idee von mir. Wer weiß, ob das funktioniert.“
  • Ansprüche: Streben Sie immer nach der absoluten Perfektion und sind übermäßig selbstkritisch? Auch das zeigt sich im Vergleich mit den Kolleg*innen.
  • Angst: Haben Sie schon mehr als einmal eine Aufgabe ausgeschlagen, nicht aus Zeitmangel oder zu geringerem Interesse, sondern aus Angst davor zu versagen?
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