Meinungsfreiheit auf der Arbeit
In Deutschland gilt Meinungsfreiheit. Doch wann hört diese im Arbeitskontext auf? Foto: WILA Arbeitsmarkt/Leonardo.Ai

Meinungsfreiheit auf der Arbeit

Schonungslos politische Ansichten äußern oder im Team verkünden, was man von der Bürokollegin hält? Auch in einer Demokratie ist längst nicht alles im Arbeitsumfeld erlaubt. Christian Solmecke, Fachanwalt für Internet und Medienrecht, erklärt, was geht und was nicht.

Interview: Christine Lendt 

WILA Arbeitsmarkt: Herr Solmecke, welche rechtlichen Regelungen und Gesetze definieren die Meinungsfreiheit am Arbeitsplatz? 
Christian Solmecke:Die Meinungsfreiheit am Arbeitsplatz wird indirekt durch das Grundgesetz (Artikel 5 Abs. 1), das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützt. § 75 BetrVG enthält zum Beispiel eine Vorschrift zum Schutz des Betriebsfriedens. Danach haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen frei von Diskriminierung behandelt werden – auch von Kollegen. Auch das AGG verbietet Diskriminierung unter anderem aufgrund von Religion oder Weltanschauung.   

Welche Grenzen gibt es für die Meinungsfreiheit von Mitarbeitenden im Unternehmen?
Direkte Beleidigungen und Schmähkritik, die nicht zur sachlichen Auseinandersetzung beitragen, sondern auf Diffamierung abzielen, sind von der Meinungsfreiheit überhaupt nicht gedeckt. Ebenfalls stets unzulässig sind strafbare Äußerungen wie zum Beispiel volksverhetzende Aussagen. Doch selbst, wenn eine Äußerung von der Meinungsfreiheit geschützt ist, gilt diese nicht unbegrenzt, sondern findet ihre Grenzen, wenn die Rechte anderer verletzt werden.  

Im Konfliktfall ist eine Abwägung der kollidierenden Interessen notwendig, wobei die Rechtsprechung den Kontext und die Umstände der Äußerung berücksichtigt. So kann insbesondere auch die Pflicht zur Rücksichtnahme aus dem Arbeitsvertrag die Meinungsfreiheit beschränken. Das umfasst etwa die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber, die Verschwiegenheitspflicht oder die Wahrung des Betriebsfriedens. Geschäftsschädigende Äußerungen oder die Diskriminierung von Kollegen sind demnach unzulässig. Schwierig wird diese Abgrenzung bei politisch kontroversen Meinungsäußerungen. Hier hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in den 1980er-Jahren zu Anti-Franz-Josef-Strauß-Plaketten entschieden, die jemand im Betrieb trug: Hierdurch werde der Betriebsfrieden gestört, wenn andersdenkende Mitarbeiter dadurch von der Arbeit abgehalten würden (Urt. v. 9.12.1982, Az. 2 AZR 620/80). Heutzutage würde das BAG wohl etwas weniger streng entscheiden – aber spätestens, wenn es um absichtliche und fortgesetzte Provokationen der anderen geht, dürfte eine Grenze erreicht sein.  

Gibt es Regelungen in Bezug auf Meinungsäußerungen in privaten Kanälen, zum Beispiel in Social Media? 
Bezüglich Meinungsäußerungen in privaten Social-Media-Accounts existieren zwar keine expliziten Regeln, doch auch hier lassen sich Grundsätze aus den allgemeinen Gesetzen und der Rechtsprechung ableiten. Was außerhalb der Arbeitszeit geschieht und im privaten Rahmen bleibt– etwa in privaten Gesprächenoder Gruppenchatssollte grundsätzlich vertraulich bleiben und wenn es doch nach außen dringt, keine arbeitsrechtlichenKonsequenzen haben.  

Ein Urteil des BAG aus 2009 unterstreicht dies hinsichtlich vertraulicher Gespräche unter Arbeitskollegen und -kolleginnen. Doch auch hiervon gibt es Ausnahmen: So entschied das BAG 2023, dass einem Mitarbeiter gekündigt werden durfte, der sich im Gruppenchat mit Kollegen in stark beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte äußerte (Urt. v. 24.08.2023, AZ. 2 AZR 17/23). Dabei urteilte das BAG, dass es für die Vertraulichkeitserwartung auch darauf ankommt, wie groß die Gruppe und was der Inhalt der Nachrichten ist. 

Wie sieht es bei privaten Äußerungen im Internet aus? 
Unbedachte öffentlich einsehbare Postings können das Arbeitsverhältnis beeinträchtigen, besonders wenn sie den Arbeitgeber oder dessen Ruf schädigen. Daher gibt es in der Praxis oft Streitigkeiten um Äußerungen in sozialen Netzwerken. Wer hier Geschäftsgeheimnisse ausplaudert, ruf- oder geschäftsschädigende Äußerungen über das Unternehmen verbreitet oder über Kollegen beziehungsweise Vorgesetzte hetzt, verstößt schon gegen den Arbeitsvertrag. Kritisch wird es auch, wenn das Posting oder das Profil einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters einen Bezug zum Arbeitgeber herstellt,zum Beispielbei LinkedIn. Wer hier Äußerungen tätigt, die den Ruf des Unternehmens schädigen oder den Betriebsfrieden stören können, kann mit einer Abmahnung beziehungsweise Kündigung rechnen.  

Gibt es auch in diesem Bereich rechtliche Grauzonen?
Schwieriger wird es bei privaten Äußerungen der eigenen – etwa politischen Meinung, wenn dabei kein direkter Bezug zum Unternehmen erkennbar ist. Zumindest in Extremfällen können aber sogar solche Äußerungen zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen. So entschied zum Beispieldas Landesarbeitsgericht Sachsen, dass einem Straßenbahnfahrer, der ausländerfeindliche Postings abgab, außerordentlich gekündigt werden durfte (Urt. v. 27.2.2018, Az. 1 Sa 515/17). Die Tatsache, dass man über ein Foto mit seiner Arbeitskleidung auf seinen Arbeitgeber schließen konnte, wurde nur erschwerend gewichtet. Der Bezug zum Unternehmen ist jedoch keine Voraussetzung dafür, dass man für besonders menschenverachtende Postings auch im schlimmsten Fall eine Kündigung riskiert. Im Ergebnis muss das Gericht immer in jedem Einzelfall abwägen, ob durch die private Äußerung auch die betrieblichen Interessen in einer Weise verletzt sind, die eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar macht.  

Rechtsanwalt Christian Solmecke, LL.M, ist Partner der Kölner Medienrechtskanzlei WBS.Legal (www.wbs.legal), LegalTech Unternehmer und Buchautor. Foto: WBS.Legal/ Tim Hufnagl.

Welche Handlungsoptionen stehen Vorgesetzten zur Verfügung, wenn Beschäftigte am Arbeitsplatz die Meinungsfreiheit missbrauchen oder gegen Unternehmensrichtlinien verstoßen? 
Wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin die Meinungsfreiheit missbraucht oder gegen Unternehmensrichtlinien verstößt, stehen Vorgesetzten verschiedene Handlungsoptionen zur Verfügung. Gerade aber bei Diskriminierungen dürfen sie nicht tatenlos zusehen, denn sie haben eine Schutzpflicht all ihren Mitarbeitenden gegenüber. Zunächst können sie die jeweilige Person abmahnen, auf ihr Fehlverhalten hinweisen und verlangen, dass sie gewisse Äußerungen künftig unterlässt. Bei schwerwiegenden Verstößen kann eine Versetzung in Erwägung gezogen werden, um den Betriebsfrieden zu wahren. Im Extremfall sind auch ordentliche oder außerordentliche Kündigungen möglich, wobei stets der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden muss. Bei besonders extremen Diskriminierungen kann ausnahmsweise auch direkt eine außerordentliche fristlose Kündigung zulässig sein. Zusätzlich können Vorgesetzte eine Anlaufstelle für Beschwerden einrichten, um Betroffene zu unterstützen und präventiv gegen Diskriminierung vorzugehen. 

Wie sollten sich Mitarbeitende verhalten, wenn einKollege oder eine Kollegin die Meinungsfreiheit missbraucht? 
Generell sollten Mitarbeitende zunächst das direkte Gespräch mit der betreffenden Person suchen und respektvoll darauf hinweisen, dass das Verhalten unangemessen ist. Falls das Gespräch erfolglos bleibt oder der Verstoß schwerwiegender ist, sollten sie den Vorfall dokumentieren und ihren direkten Vorgesetzten informieren, entweder mündlich oder schriftlich. Falls vorhanden, kann auch der Betriebsrat eingeschaltet werden, um als Vermittler zu agieren und Lösungen vorzuschlagen. Als Betroffener von beispielsweise sexistischer, homophober oder rassistischer Diskriminierung haben Mitarbeitende außerdem das Beschwerderecht bei den zuständigen Stellen (§ 13 AGG). Ultima Ratio – also wenn keine der anderen Möglichkeiten hilft – kann man als betroffene Person von strafbaren Äußerungen, zum Beispiel Verleumdungen oder Beleidigungen, direkt eine Strafanzeige bei der Polizei oder über einen Anwalt stellen. Außerdem kann man den Täter oder die Täterin auch zivilrechtlich mithilfe eines Anwalts abmahnen und gegebenenfallsvor Gericht gehen.  

Welche Rolle spielen interne Kommunikationsrichtlinien und Verhaltenskodexe bei der Regulierung der Meinungsfreiheit im Unternehmen? 
Interne Kommunikationsrichtlinien und Verhaltenskodexe spielen eine wesentliche Rolle bei der Regulierung der Meinungsfreiheit im Unternehmen. Denn sie legen klare Leitlinien für die Kommunikation fest und definieren häufig den angemessenen Umgang mit Meinungsäußerungen, insbesondere in internen Kanälen, aber auch extern, wenn ein Bezug zum Unternehmen gegeben ist. Beispiele sind etwa, wie man auf dem privaten Profil über das Unternehmen sprechen darf, ob zum BeispielWerbung erlaubt ist, welche internen Infos oder Fotos gepostet werden dürfen, was verlinkt werden darf etcetera.Dies stellt sicher, dass die Meinungsfreiheit respektiert wird, gleichzeitig aber auch die Unternehmenswerte und -ziele gewahrt bleiben. Diese Richtlinien dienen dazu, die Kommunikation strukturiert und effizient zu gestalten, während sie gleichzeitig den Schutz vertraulicher Informationen und das Mitarbeiterengagement fördern. 

Wie können Unternehmen eine offene und konstruktive Diskussionskultur fördern, ohne die Grenzen der Meinungsfreiheit zu überschreiten? 
Damit dies gelingt, sollten Unternehmen klare Kommunikationsrichtlinien etablieren, die den respektvollen Umgang und die offene Diskussion betonen. Führungskräfte sollten als Vorbilder dienen, indem sie eine offene Haltung gegenüber verschiedenen Meinungen zeigen. Regelmäßige Feedback-Runden ermöglichen Mitarbeitenden, ihre Ideen sicher zu teilen. Schulungen zur Kommunikation und Konfliktlösung verbessern die Kommunikationsfähigkeiten der Belegschaft. Moderierte Diskussionen gewährleisten eine faire Beteiligung aller und halten die Gespräche konstruktiv. Transparenz über Entscheidungsprozesse fördert das Verständnis, während Schulungen zur Konfliktlösung eine effektive Auseinandersetzung mit Meinungsverschiedenheiten ermöglichen. 

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