Mama ist (auch) Wissenschaftlerin
Kind(er) und Karriere als Forscherin an der Hochschule unter einen Hut zu bringen, kann oftmals eine große Herausforderung sein. Foto: WILA Arbeitsmarkt/Leonardo.Ai

Mama ist (auch) Wissenschaftlerin

Forschen und lehren an einer Hochschule ist selten ein Nine-to-Five-Job. Das hat zwangsläufig Auswirkungen auf die Organisation des Familienlebens – und zwar für Mütter und Väter. Jedoch sind es meist die Forscherinnen, welche den Spagat meistern müssen.

Text: Anne Mittmann

Die Kinder sind noch klein, die Weichen für eine Karriere werden gestellt und der Tag hat dennoch nur 24 Stunden: Nicht umsonst gilt die Zeit zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr bei Akademiker*innen als „Rush Hour“ des Lebens.Ina Weckop kann dazu Einiges erzählen. Sie arbeitet seit 2020 im Familien-Servicebüro der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und ist derzeit als Referentin in der Beratung tätig: „Ich bin die erste Anlaufstelle für alle Hochschulangehörigen, die Fragen zur Vereinbarkeit von Studium oder Beruf und Familie haben.“

Die Vereinbarkeit von Forschungstätigkeiten mit einem Familienleben sei dabei besonders herausfordernd: „Ich merke immer, wie viel Leidenschaft die meisten Forschenden für ihr Fach haben. Deshalb sind sie auch bereit, sehr viel unbezahlte Arbeitszeit in ihren Beruf zu investieren. Familie fordert aber ebenfalls sehr viel Zeit. Damit habe ich zwei große Bausteine in meinem Leben, die erwarten, dass ich rund um die Uhr für sie da bin. Der Tag hat aber nur 24 Stunden.“ Wissenschaftler*innen würden sich daher entweder sehr spät für eine Familie entscheiden, keine Kinder bekommen oder einen Karriereknick in Kauf nehmen – so wie bei Hanna (Name von der Redaktion geändert). Sie ist 32 Jahre alt, hat ihren Master of Arts in der Anglistik mit Auszeichnung abgeschlossen und anschließend eine Lehrtätigkeit mit Aussicht auf Promotion angenommen: „Ich habe eine 50-Prozent-Stelle und brauche diese Stunden für meine Lehrtätigkeit. Meine Dissertation und weitere Forschungsprojekte finden in meiner Freizeit statt, und da habe ich die Kinder. Mit nur einem Kind konnten mein Mann und ich uns gut abwechseln, aber mit zwei Kindern zu Hause kommen wir da auch an unsere Grenzen. Ich habe Kolleg*innen, die mit mir angefangen haben und jetzt ihr Post-Doc-Stellen antreten. Ich habe noch nicht mal angefangen zu schreiben.“

Befristungen erschweren die Planung

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) schafft dabei zusätzlichen Druck. Innerhalb von sechs Jahren muss die Promotion abgeschlossen sein, für die Habilitationsschrift gibt es weitere sechs Jahre. Die Verlängerungen, die pro Kind gewährt werden, bieten kaum genügend zeitlichen Ausgleich. Dazu kommen befristete Stellen, die die Familienplanung zusätzlich erschweren, oft weit entfernt vom Wohnort. Arbeitsverhältnisse quer durch die Republik sind in der Wissenschaft keine Seltenheit. „Ich bin durch meine Familie und die Arbeit meines Mannes an einen Ort gebunden, aber meine Fachrichtung gibt es nur drei Mal in Deutschland“, erzählt Hanna. „Wenn ich wirklich Karriere in der Wissenschaft machen will, muss ich eine befristete Stelle annehmen, die unter Umständen weit von meinem Zuhause entfernt ist, und in Kauf nehmen, dass ich meine Familie kaum sehe.“ Ein wiederkehrendes Thema, auch in der Beratung von Ina Weckop: „Eltern, die beide im Wissenschaftsbetrieb arbeiten, müssen Familienleben und Wohnsituation flexibel an die Anforderungen der Forschungstätigkeiten anpassen. Dann lebt die Familie beispielsweise in Kassel, die Mutter forscht in Köln und der Vater lehrt in Bayreuth. Das erhöht den Druck auf die Familie enorm.“ Noch dazu, weil Kinderbetreuung oft nicht gewährleistet werden könne und es für befristete Stellen von ein bis zwei Jahren nicht lohne, die Familie zu entwurzeln.

„Wir sprechen hier von einem hoch kompetitiven und ungewissen Arbeitsfeld“, stellt Ina Weckop klar. „Selbst wenn ich es geschafft habe, mit Kindern meine Promotion und vielleicht sogar die Habilitationsschrift innerhalb der Frist erfolgreich abzuschließen, habe ich danach keine Jobsicherheit.“ Die Konkurrenz in den Berufungsverfahren ist groß, und extracurriculare Tätigkeiten bringen Pluspunkte. „Die Qualität der Arbeit, die zusätzlichen Projekte, Konferenzen und eingeworbenen Drittmittel stehen häufig im Vordergrund. Verzögerungen und kürzere Publikationslisten aufgrund von Elternzeit und ähnlichem werden mittlerweile auch anerkannt, aber am Ende zählt, was man beruflich geleistet hat“, so Ina Weckop. Fachspezifika wie Exkursionen und Feldforschung, teilweise sogar im Ausland, seien da noch nicht mitgerechnet.

Gerade für Forschende mit Kindern und Pflegeverantwortung sind längere Dienstreisen und Auslandsaufenthalte kaum durchführbar. Es ist für sie somit schwer, diese Pluspunkte zu sammeln, daher sehen sich Forschende mit Kindern im Nachteil. Oft werde dies aber nicht dem System, sondern der eigenen Person zugeschrieben. „Ich erlebe viele Selbstzweifel in der Beratung“, erzählt Ina Weckop. „Viele fragen sich ‚Bin ich gut genug?‘, statt den Wissenschaftsbetrieb an sich zu hinterfragen.“

Care-Tätigkeit oft Frauensache

Dr. Maria Lau ist seit 2008 an der JGU tätig und leitet derzeit die Stabsstelle Gleichstellung und Diversität. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine wichtige Säule der Gleichstellungsstrategie der JGU. „Wir möchten neben der Förderung auf der individuellen Ebene auch institutionell mehr erreichen“, so Maria Lau. „Wir versuchen als Universität beispielsweise das Kinderbetreuungsangebot auszubauen, und arbeiten derzeit aktiv an der Sitzungsgestaltung, sodass sich auch Beschäftigte mit Familienaufgaben besser einbringen können.“ 2016 habe die JGU die Charta „Familie in der Hochschule“ unterzeichnet. „So etwas wirkt wie ein Motor, um innerhalb der Hochschule Entwicklungen Richtung Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranzutreiben“, erklärt die Gleichstellungsbeauftragte.

Trotzdem gibt es immer noch viele Doktorandinnen, aber wenig Professorinnen. Wie kann das sein? Die Stärkung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Studium beziehungsweise Beruf ist eine von mehreren Stellschrauben, die Hochschulen in den Blick nehmen, um dies zu ändern. Maria Lau beobachtet in der Wissenschaft zum Beispiel viele Frauen, die in Doppelkarriere-Paaren unterwegs sind, und spätestens mit dem zweiten Kind mehr Zeit in die Familie anstatt in die Karriere investieren. Die Gründe dafür seien vielfältig: „Der Druck von außen ist bei Frauen größer als bei Männern, weil Care-Tätigkeiten immer noch eher den Frauen als den Männern zugeschrieben werden.“ Mit der Option auf mobiles Arbeiten ließe sich die Arbeit mit der Kinderbetreuung zwar besser verbinden, das sei aber trotzdem nicht die Lösung aller Probleme. „Ich kann nicht arbeiten und gleichzeitig mein zweijähriges Kind betreuen“, stellt Ina Weckop klar. „Diese ‚mal schnell nebenbei kurz eine E-Mail‘-Kultur führt zu einer unheimlichen Arbeitsverdichtung“, ergänzt Maria Lau. „Wenn ich krank bin oder mein Kind krank ist und ich mir dann nicht die Auszeit nehmen kann, sondern alles nachhole – zur Not spätabends oder nachts – dann fehlt mir die Erholung, die ich eigentlich benötige.“

Hochschulführung in der Pflicht

Maria Lau sieht dabei die Führungskräfte in der Pflicht, Familienfreundlichkeit in den Prozessen und Strukturen mitzudenken: „Unser Ziel ist es, dass die Themen Gleichstellung, Diversität, Antidiskriminierung und damit auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf viel mehr als Aufgabe aller Hochschulmitglieder betrachtet werden. Vor allem vor dem Hintergrund reaktionärer politischer Strömungen halte ich das für enorm wichtig.“

Soweit die Theorie, aber wie ist es in der Praxis? „Ich schätze meine Kolleg*innen und auch meine Vorgesetzten sehr, aber ich glaube nicht, dass die Hochschule Schwangerschaft und Familienplanung in ihren Strukturen wirklich mitdenkt“, berichtet Hanna von ihren Erfahrungen. „Mein Mutterschutz zum Beispiel hat zwei Wochen vor der vorlesungsfreien Zeit begonnen, und es gab keinerlei Möglichkeiten der Vertretung, bis mein Kind tatsächlich gesund auf der Welt war. Erst dann konnte jemand eingesetzt werden, um meine Lehrtätigkeit zu übernehmen und die Studierenden zu betreuen. Mit dem Ergebnis, dass Hausarbeiten zu spät korrigiert wurden, Noten nachgereicht wurden und so weiter. Um das zu vermeiden, hätte ich in meinem Mutterschutz arbeiten müssen, es war sonst niemand da.“

Für Hanna geht es mittlerweile schlicht um Prioritäten. „Wenn mein Mann seinen unbefristeten Vollzeitjob und ich meinen befristeten Halbtagsjob plus unbezahlte Arbeitszeit in eine Waagschale werfen, dann ist die Arbeit meines Mannes unterm Strich wichtiger, weil sie mehr Sicherheit bietet. Ich liebe meine Arbeit, aber meine Familie ist mir auch sehr wichtig, und ich kann mit meinem Masterabschluss auch anderweitig arbeiten. Ich muss mir die Welt von ‚academia‘ nicht unbedingt antun.“ Eine Haltung, in der sich der tiefe Spagat zwischen Familie und Beruf in der Forschung widerspiegelt. „Es gibt noch dicke Bretter zu bohren“, gibt Maria Lau offen zu. „Aber wir arbeiten beständig daran, dass jede*r sein Potenzial bestmöglich ausschöpfen kann, um Wissenschaft und Forschung nachhaltig voranzubringen. Hier sind die Führungskräfte in der Pflicht. Vereinbarkeit geht uns alle etwas an.“

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