Mehr als nur Bücher
Jobs in der Bibliothek verlangen immer häufiger technisches Wissen. Foto: © Stock 4 You – stock.adobe.com

Mehr als nur Bücher

Heutzutage sind Bibliotheken vieles, außer staubig und von gestern. Eine Fachkraft berichtet von der Arbeit mit einem stetig wachsenden Katalogfundus, vom Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und der gesellschaftlichen Bedeutungen dieser Einrichtungen. Ein interessanter Arbeitsort auch für Quereinsteiger*innen.

Text: Anne Mittmann

Wissen bewahren, Medien pflegen, Literatur teilen und das immer am Puls der Zeit: für Ulrike Horn der absolute Traumberuf. Die Leiterin der Stadtbibliothek Konstanz absolvierte erst eine Ausbildung zur Erzieherin, bevor sie sich für ein Studium in Bibliotheks- und Informationsmanagement an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft Hamburg (HAW) entschied. An ihrem Beruf schätzt sie vor allem die Abwechslung: „Wir sind breit aufgestellt, stehen in direktem Kontakt zu unserer Kundschaft und können Literatur unmittelbar vermitteln.“

Teilhabe fördern

Dabei gehe es um viel mehr als Lesetipps und den neusten Bestseller. „Bibliotheken stehen für lebenslanges Lernen und freiheitlich demokratisches Denken und leisten mit Büchern zu den unterschiedlichsten Themen einen Beitrag zur Lebensbewältigung“, davon ist Ulrike Horn überzeugt. Dank ihrer dreißigjährigen Berufserfahrung in öffentlichen Bibliotheken hat sie deren Entwicklung hin zu modernen Informationszentren selbst begleitet: „Bibliotheken gehen immer mit der Gesellschaft oder sind sogar einen Schritt voraus. Das kann Informationsmaterial zum Thema Nachhaltigkeit sein oder ein breites Angebot an digitalen Geräten.“

Doch der Wert einer Bibliothek läge auch klassisch im Analogen: „In einer öffentlichen Bibliothek können Menschen den ganzen Tag verbringen, lesen, sitzen, sprechen, ohne einen Ausweis vorzuzeigen, Eintritt zu bezahlen oder konsumieren zu müssen. Wo geht das denn sonst?“ Eine Bibliothek sei ein öffentlicher Raum im besten Sinne, dessen Türen für alle offen stehen. „Bei uns sind alle willkommen“, stellt Ulrike Horn klar. Deshalb hätte die Bibliothek Konstanz auch einen eigenen Bereich für Menschen mit internationaler Geschichte unter dem Thema „Willkommen in Konstanz“ mit Informationsmaterial, Hinweise auf Deutschkurse und Lektüre in verschiedenen Sprachen. „Zu uns kommen beispielsweise ältere Damen, die mehr zum Thema Klimawandel wissen möchten oder Menschen, die in einer persönlichen Krise stecken. Egal ob man sich bilden, getröstet oder unterhalten werden möchte – es gibt bei uns das richtige Buch. Wir sorgen dafür, dass alle das für sie passende Medium finden, und das empfinde ich als sehr sinnstiftend“, erklärt Ulrike Horn. Deshalb hätte sie sich im Studium für die öffentliche Bibliothek entschieden, um Teil der breiten Gesellschaft zu sein.

Quereinstieg ist möglich

So vielfältig wie die Kundschaft, so vielfältig sei auch das Team: „Wir sind ganz bunt gemischt.“ Natürlich gäbe es einige klassisch ausgebildete Bibliothekar*innen, die Information Science und Ähnliches studiert hätten. Diese befassen sich unter anderem mit Lektoratsarbeiten, Bestandsbeschaffung und Veranstaltungsmanagement. Aber auch Quereinsteiger*innen aus der Medien- und Musikpädagogik, der Fachinformatik, Buchhaltung und aus dem Lehramt bereichern das Team. „Wir profitieren sehr von diesen unterschiedlichen Kompetenzen“, führt Ulrike Horn die Vorteile von Quereinsteiger*innen weiter aus. Zu den Aufgaben einer Bibliothek gehöre auch, die Lesekompetenz von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Da seien pädagogische Fachkräfte im Team ein Segen.

Der berufliche Quereinstieg ist auf verschiedenen Wegen möglich. Absolvent*innen mit einem Bachelor-, Diplom-, Master- oder einem vergleichbaren Studienabschluss können mit Berufserfahrung im Bibliotheksbereich ein Weiterbildungsmasterstudium belegen. Dieses kann, je nach Hochschule, in Vollzeit oder berufsbegleitend absolviert werden und ist in der Regel kostenpflichtig. Doch auch die Weiterbildung über Zertifikatskurse sind eine wertvolle Option, um Wissenslücken fundiert zu schließen. „Wir haben eine Kollegin mit einem abgeschlossenen Lehramtsstudium, die ihr fehlendes Wissen im Informationsmanagement durch eine gezielte Weiterbildung nachholt“, so Ulrike Horn.

Ein großer Teil der Einarbeitung passiere jedoch im Bibliotheksalltag, der die Bereitschaft des lebenslangen Lernens auch für die Mitarbeiter*innen voraussetze. „Grundsätzlich müssen wir uns alle immer wieder weiterbilden, um den gesellschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden“, betont Ulrike Horn die Wichtigkeit einer interessierten, wissbegierigen Grundhaltung im Berufsfeld Bibliothek.

Schritt halten

Die fortschreitende Digitalisierung ist ein gutes Beispiel für den Einsatz dieser Neugier. „Wir haben in der öffentlichen Bibliothek der Stadt Konstanz eine ‚Digithek‘ eingerichtet. Bei uns kann man digitale Geräte ausleihen, wie programmierbare Roboter, Dia-Scanner, VR-Brillen, moderne Leselupen und vieles mehr.“ Zwei Mitarbeiterinnen hätten sich intensiv damit auseinandergesetzt, um die Handhabung erklären und die Funktionsfähigkeit der Geräte bei Rückgabe auch kontrollieren zu können. „Einerseits ist das natürlich herausfordernd, andererseits macht das unseren Beruf auch so abwechslungsreich und interessant“, ist Ulrike Horn überzeugt.

Es geht also schon lange um mehr als „nur“ Bücher: „Der Sachbuchbereich ist stark zurückgegangen, weil die Menschen viel mehr im Internet recherchieren. Wir bieten einen Referate-Service an und unterstützen im Umgang mit neuen Medien. Das ist für Schülerinnen und Schüler interessant, aber auch für Lehrerinnen und Lehrer, weil sie sich mit neuen Phänomenen wie ChatGPT und ähnlichem auseinandersetzen können.“ Sicher sei, dass KI eine immer wichtigere Rolle spiele: „Selbst wenn wir wollten, würden wir nicht drumherum kommen. Für uns und unsere Kundschaft ist das ein neues, sehr wichtiges Feld und wir wollen und müssen uns damit befassen, um unserem Bildungsauftrag gerecht zu werden“, stellt Ulrike Horn klar.

Eine Alternative zu den öffentlichen Bibliotheken ist die Tätigkeit als Bibliothekar*in an wissenschaftlichen Bibliotheken, beispielsweise an Universitäten und Forschungszentren. Dafür kann man sich entweder während eines Studiums der Bibliothekswissenschaften spezialisieren oder nach einem abgeschlossenen Fachstudium die Beamt*innenlaufbahn im höheren Dienst einschlagen. Der Fokus liegt dabei vor allem auf Forschung und Wissenschaft im Dienst der entsprechenden Universität. Voraussetzung dafür ist ein Masterabschluss oder eine Promotion mit anschließendem Referendariat, das auf Führungsaufgaben innerhalb der wissenschaftlichen Bibliothek vorbereitet. Der Bibliotheksreferendar ist entweder fachbezogen auf eine bestimmte Abteilung der Bibliothek oder allgemein gehalten, zum Beispiel bei Tätigkeiten im Archiv.

Immer etwas los

Doch egal ob in öffentlichen oder wissenschaftlichen Bibliotheken: Arbeitgeber ist in der Regel der öffentliche Dienst. „Meistens gehören Bibliotheken zu den städtischen Institutionen, aber es gibt auch kirchliche Träger, vor allem im ländlichen Raum“, so Ulrike Horn. Außerdem hätten Vereine, Stiftungen und private Unternehmen eigene Bibliotheken und Archive, die es zu pflegen gelte. Bilder von grauen Archiven und menschenleeren Gängen mit schweigenden Büchern zerstreut Ulrike Horn schnell. „Der Beruf ist nichts für Menschen, die am liebsten den ganzen Tag mit ihren Büchern allein sind und in Ruhe lesen wollen. In einer guten Bibliothek ist immer etwas los.“

Es gehe vielmehr um Wissensvermittlung und -speicherung, Veranstaltungsmanagement rund ums Thema Lesen und die Förderung von Lese- und Medienkompetenz. Dazu käme die Verwaltung von Hörbüchern, E-Books, Filmen, Videospielen, Lizenzen und vielem mehr. In wissenschaftlichen Bibliotheken gäbe es Workshops zu wissenschaftlichem Schreiben und Recherchieren, Rechercheaufträge in Zusammenarbeit mit verschiedenen Lehrstühlen und immer der Wunsch, die aktuelle Forschung zur Verfügung stellen zu können. Ulrike Horn genießt die Vielfalt: „Lesungen, Buchclubs, Vorträge, Sprachcafés – es gibt eigentlich nichts, was wir nicht machen können, solange es mit Medien zu tun hat. Wenn es doch mal langweilig wird, machen wir etwas falsch.“

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