Wenn der Hörsaal leer bleibt
Es ist kein schönes Gefühl für Dozent*innen, wenn nur wenige Studierende im Raum oder bei der Onlineveranstaltung anwesend sind. Was können Lehrende tun, um sich selbst und die Zuhörer*innen zu motivieren?
Text: Daniela Knoll
„Wenn der Hörsaal leer bleibt, da gehen bei mir die Warnsignale an. Weil man davon ausgeht, dass schlechte Lehre geliefert wird. Das erlebe ich in der Praxis nicht“, erklärt Professorin Dr. Doris Ternes. Sie ist Leiterin des Fachbereichs Zentrum für Hochschuldidaktik und lebenslanges Lernen (ZHL) am Center for Advanced Studies der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW CAS).
Für Hochschuldozierende sind leere Hörsäle oder schwarze Kacheln in spärlich besuchten Online-Veranstaltungen auch nach Corona ein häufiges Phänomen, mit dem sie klarkommen müssen. Schlechte Lehre muss nicht zwangsläufig der Grund dafür sein. Doris Ternes nennt Beispiele: „Das sind manchmal ganz einfache Hintergründe. Also dass parallel für eine Klausur gelernt werden muss. Oder dass eine Messe wie die Hannovermesse stattfindet und die halbe Studierendengruppe dahingefahren ist. Also da gibt's viele Gründe, die nicht unbedingt mit meiner eigenen Lehre zu tun haben müssen.“ Auch seien die Vorlesungspläne an Hochschulen für angewandte Wissenschaften oder an dualen Hochschulen oft sehr voll.
Wichtig sei aber auch ein Perspektivwechsel der Dozierenden. „Die wenigsten von uns lernen, indem sie jemandem über Stunden in einem Hörsaal zuhören. Da muss schon Abwechslung drin sein wie Medienwechsel oder Methodenwechsel. Umso mehr von diesen Medien und Methoden Professor*innen kennen und sich in der Anwendung damit wohlfühlen, desto interessanter wird natürlich auch deren Lehre“, ergänzt Doris Ternes. Gerade in diesem hochschuldidaktischen Bereich gibt es viele bundesweite Schulungs- und Weiterbildungsangebote für Hochschuldozierende, um eine Lehrveranstaltung sowohl für diejenigen, die den Lehrstoff vermitteln, als auch für Lernende spannend und interessant zu machen.
Fürs Thema begeistern
Ein Spezialthema von Mathematik-Professor Dr. Martin Müller an der nordrheinwestfälischen Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) ist algebraische Logik. Für manche mag das nach einem sehr trockenen Thema klingen. Das Phänomen der spärlich besuchten Vorlesungen kennt auch er. Aber das stört ihn nicht – im Gegenteil. Seine persönliche Empfehlung: „Interesse an der eigenen Lehrveranstaltung mitbringen. Die Studierenden für das Thema begeistern und nicht für die Vorlesung oder die Klausur. Dann macht auch eine Lehrveranstaltung mit wenigen Leuten Spaß. Das ist in der Regel eigentlich immer so, meiner Erfahrung nach: Je weniger, desto besser!“
Natürlich gibt es auch Vorlesungen, die den Studierenden keinen Mehrwert liefern und langweilig sind. „Weil sie dieselbe Information – oder mehr oder sogar besser – im Selbststudium aus Materialien erarbeiten können oder Vorlesungsvideos gucken. Das ist aber nicht schlecht und nicht der Fehler der Studierenden“, ergänzt Martin Müller. Für ihn ist dies dennoch ein klares Indiz, sich didaktisch weiterzubilden: „Das sollte selbstverständlich sein. Ist es aber nicht. Die jungen Profs sind da sehr engagiert, habe ich den Eindruck.“
Zahlreiche Seminarangebote
Die meisten Hochschulen haben eigene Coaching- und Beratungsangebote für ihre Lehrenden. Aber natürlich gibt es außerhalb der eigenen Hochschule Weiterbildungsmöglichkeiten. Für genauere Informationen wenden sich Lehrkräfte am besten an die Institution, an der sie lehren, oder sie kontaktieren Hochschulnetzwerke wie das ZHL oder das Netzwerk Hochschuldidaktische Weiterbildung in NRW (hdw nrw). Ein weiteres Beispiel ist das bayerische Hochschul-Netzwerk ProfiLehrePlus. Überall dort können Hochschuldozierende Workshops und Seminare aus Bereichen wie Didaktik oder Medien belegen.
So gibt es Fortbildungen, bei denen man Methoden an die Hand bekommt, wie man Studierende zum Mitmachen und Mitdenken motiviert und aktiviert. Oder es werden neben pädagogischen Themen moderne Audio- und Videoproduktion sowie neue Technologien wie ChatGPT oder andere KI-Tools berücksichtigt. Solche Veranstaltungen bieten zudem die Möglichkeit, sich mit anderen Hochschuldozentinnen und Hochschuldozenten auszutauschen oder um voneinander zu lernen. Unter Umständen gibt es auch das Angebot für individuelle und vertrauliche Beratungsgespräche.
Solche Workshops für Hochschuldozierende seien wichtig, sagt Doris Ternes und benennt auch gleich noch ein strukturelles Problem im Hochschulsystem: die oft fehlende technische Unterstützung an dualen Hochschulen und an Hochschulen der angewandten Wissenschaften. „Weil wir eben im Gegensatz zu den Universitäten nicht so einen starken Mitarbeiterstab haben“, resümiert die Didaktikexpertin. „Wenn Sie heute eine Vorlesung an einer Hochschule für angewandte Wissenschaft aufzeichnen oder an unserer DHBW machen wollen, dann müssen Sie die Kamera selber führen. Sie müssen den Schnitt selber machen. Sie müssen sich darum kümmern, dass das Video hochgeladen wird. Wir haben noch nicht darüber gesprochen, dass Sie auch die Inhalte der Vorlesung definieren müssen.“ Doris Ternes weiß: „Da wird den Lehrenden schon sehr viel zugemutet. Dass sie alleine im Hörsaal stehen – ohne diese Unterstützung.“
Kontakt aufnehmen
Martin Müller hat während der Coronazeit und danach seine Vorlesungen über ein Videokonferenzsystem live ins Internet gestreamt und diese Videos den Studierenden später zum Download zur Verfügung gestellt. Es macht Spaß, ihm über den Computerbildschirm dabei zuzusehen, wie er mathematische Formeln an die Tafel kritzelt und motiviert durchs Bild springt. Gleichzeitig erklärt er seine Rechenschritte und kriegt trotzdem irgendwie mit, wenn jemand aus der Studierendenschaft etwas nicht verstanden hat. Dann fragt er nach und spricht den- oder diejenige direkt an.
Das ist auch der Tipp von Professor Dr. Thomas Stelzer-Rothe: „Mein Tipp für alle in der Lehre ist – egal ob Hochschule, nicht Hochschule, Berufsschule: Nehmen Sie Kontakt zu Ihren Studierenden auf. Wenn es nicht alle sind, dann wenigstens zu ein paar Studierenden, die in der Veranstaltung sind. Damit die anderen merken, wie das funktioniert. Und dann kann man ganz vorsichtig an die anderen herangehen. Das ist ein absolut notwendiges Geschehen, dass ein Austausch stattfindet und keine Einwegkommunikation.“ Thomas Stelzer-Rothe ist Hochschullehrer für BWL mit Schwerpunkt Personalmanagement an der Fachhochschule Südwestfalen und Gründungsmentor des hdw-NRW. Seit mehr als 30 Jahren führt er Seminare zur Hochschuldidaktik durch, ist Moderator und Coach für Hochschulen und Unternehmen, „also alles, was im Rahmen der Hochschuldidaktik vorkommt“, so der Dozent weiter.
Die bisher gemachten Tipps und Empfehlungen täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass es Hochschuldozierende gibt, die mit leeren Hörsälen oder einer schwarzen Wand in Onlineveranstaltungen gar nicht gut klarkommen. Insbesondere, wenn alles nur noch digital stattfindet. „Nur Online in der Lehre ist der absolut falsche Weg. Weil es bei Studierenden und Lehrenden zu Vereinsamungsprozessen kommt. Das macht krank“, warnt Thomas Stelzer-Rothe. Das kann natürlich auch in einer Präsenzveranstaltung passieren. Weil vielleicht nur ein oder zwei Studierende in einem großen Hörsaal sitzen.
Aber auch für solche spärlich besuchten Veranstaltungen hat der erfahrene Hochschuldidaktiker eine klare Empfehlung: Man könnte den Prozess, dass mehr Leute in die Vorlesung kommen, ‚antriggern‘, indem man zu den wenigen anwesenden Studierenden sagt: “Bringen Sie doch nächstes Mal jemanden mit. Wir brauchen hier Leute.” Wenn die Vorlesung gut und interessant ist, kämen die dann auch, ist Thomas Stelzer-Rothe überzeugt.