Klare Grenzen setzen
Nicht selten fällt es Arbeitnehmer*innen schwer, eine Anfrage von Vorgesetzten abzulehnen – vor allem dann, wenn diese in netten Worten verpackt ist. Dabei ist es durchaus sinnvoll, auch einmal Nein zu sagen. Hier finden Fachkräfte Tipps, wie das geht.
Text: Christine Lendt
„Sag nicht Ja, wenn du Nein sagen willst“, so heißt ein bereits 2006 erstmals veröffentlichter Bestseller von Herbert Fensterheim und Jean Baer. Viele kennen zumindest diesen Titel, er hat sich zu einem geflügelten Wort entwickelt. Seitdem sind unzählige weitere Ratgeber rund um das Thema „Auch mal Nein sagen können“ von verschiedenen Autor*innen erschienen. Es verdeutlicht, wie vielen Menschen dies offenbar schwerfällt.
Schon im Privatleben ist es für viele problematisch, eine Bitte abzuschlagen. Umso größer ist die Hemmschwelle oftmals im Job, wenn beispielsweise der Chef oder die Chefin vor dem überquellenden Schreibtisch steht und sagt: Ich weiß, Sie stecken gerade noch im aktuellen Projekt XY. Wir bräuchten Ihre Unterstützung nun aber auch dringend beim Projekt YZ. Die zuständige Kollegin ist leider krank, und Sie machen das immer so super! Womöglich noch garniert mit den Worten: Sie bekommen das doch hin? Wie also auf solch eine nett und lobend formulierte Bitte reagieren, wenn klar ist, dass man nach diesem extra Projekt auf dem Zahnfleisch gehen würde, weil bereits das andere schon Überstunden bedeutet?
Gebraucht zu werden, ist ein schönes Gefühl, dem manche nur schwer widerstehen können. Das ist menschlich. Daneben können auch verschiedene Sorgen dazu führen, dass eine Absage schwer über die Lippen kommt: Man möchte nicht als Egoist*in dastehen, nicht riskieren, künftig keine schönen Projekte mehr angeboten zu bekommen (sondern die Kollegin oder der Kollege, die oder der es immer gern macht) oder gar bei der nächsten Beförderung übergangen zu werden. Ähnlich kann es aussehen, wenn Vorgesetzte den Wechsel in eine andere Abteilung vorschlagen, auf die man so gar keine Lust hat, oder wenn in der Kommunikation die persönliche Schmerzgrenze überschritten wird, beispielsweise bei respektloser, unkonstruktiver Kritik.
Selbstvertrauen stärken als erster Schritt
Dabei ist jedoch durchaus sinnvoll, als Angestellte*r gegenüber Vorgesetzten zu zeigen: bis hierher und nicht weiter! Und zwar immer dann, wenn ein Ja oder eine Zustimmung dazu führen würde, dass letztlich die eigene Gesundheit darunter leidet. Es kann sowohl psychisch als auch körperlich erhebliche Folgen haben, wenn sich jemand unentwegt zu viel zumutet. Aus guten Gründen schreibt das Arbeitszeitgesetz höchstzulässige Arbeitszeiten und Mindestruhezeiten vor. Generell müssen Arbeitgeber alles dafür tun, auch psychische Belastungen so weit wie möglich zu vermeiden: Verankert ist dies im Arbeitsschutzgesetz und der Arbeitsstättenverordnung. Nur: Dem Chef oder der Chefin gleich mit der Rechtskeule zu drohen, wenn solche Grenzen (regelmäßig) überschritten werden, kann kontraproduktiv sein. Zudem hat jede*r Arbeitnehmer*in eine individuelle Belastbarkeitsgrenze, welche die Vorgesetzten nicht unbedingt kennen.
Also lieber erst einmal ganz ruhig erklären, warum derzeit oder auch langfristig keine Kapazitäten vorhanden sind. Eine Lösung könnte auch sein, auf andere Kolleg*innen mit ähnlicher Expertise zu verweisen. Tipps wie diese gibt Wirtschaftsmediatorin Kirstin Nickelsen in einem Beitrag zum Thema mentale Gesundheit am Arbeitsplatz, der im ZDF erschien. Die Expertin erklärt, dass im ersten Schritt das eigene Selbstvertrauen gestärkt werden solle und im zweiten die eigenen Grenzen deutlich zu kommunizieren. „Wir müssen verstehen, dass unsere Gefühle richtig sind, dass wir sie ernst nehmen und dass wir uns um uns selbst kümmern, wenn es uns nicht gut geht.“ Zu ihren Ratschlägen gehört unter anderem, beim Neinsagen klein anzufangen. Zudem sei eine klare, selbstbewusste Körpersprache, eine feste Stimme und Augenkontakt wichtig.
Lernen, sich abzugrenzen
Die Crux beim Grenzen setzen ist, dass gerade die Menschen, denen es schwerfällt Nein zu sagen, oft zu wenig Selbstbewusstsein haben. Die Körpersprache läuft zudem in der Regel unbewusst ab, sodass sie sich nicht durchwegs kontrollieren lässt. Auch die passenden Worte zu finden und dabei nicht zu emotional zu werden, liegt nicht jeder Person. Wie also vorgehen, wenn man eher ein impulsiver, schnell aufgebrachter Typ oder stattdessen ruhig und schüchtern ist? Sich immer wieder bewusst zu machen, wann eine Grenze überschritten ist, und ein angemessenes Verhalten in dieser Situation zu üben, kann schon weiterhelfen. Weil Verhaltensmuster und Selbstwertgefühl schon in der Kindheit geprägt werden, wäre auch zu überlegen, sich coachen zu lassen oder zum Beispiel an einem Seminar zum Thema teilzunehmen. Übrigens kann es sich doch gerade im Job auch gut machen, selbstbewusst aufzutreten. Letztlich gehört dies zu Führungsqualitäten und ist auch bei Kundenkontakt eine gern gesehene Fähigkeit. Wer es geschickt angeht, könnte also auch erreichen, selbst mit einem „Nein, danke!“ der Chefin oder dem Chef positiv aufzufallen.