Gut durch den Tag trotz wenig Schlaf
Immer mehr berufstätige Menschen in Deutschland bekommen nachts kein Auge zu. Seit 2010 sind die Schlafstörungen bei Fachkräften zwischen 35 und 65 Jahren um 66 Prozent gestiegen. Mit diesen Tricks bringen übermüdete Arbeitnehmer*innen den Tag hinter sich.
Text: Maike von Haas
Im Schlaf werden die Eindrücke, die wir am Tag aufnehmen, verarbeitet und die Sinneseindrücke vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis verschoben. Aber nicht nur das Gehirn, das im Wachzustand auf Hochtouren läuft, darf sich in den Schlafenszeiten erholen. Auch das Immunsystem wird gestärkt und Wundheilung kann während der Schlummerstunden stattfinden. Die regelmäßigen Ruhepausen sind also wichtig fürs Überleben. Deshalb „verschlafen“ Menschen auch etwa ein Drittel ihres Lebens – zumindest, wenn alles nach Plan läuft. Doch fast jede*r Dritte hat laut einer Umfrage der Techniker Krankenkasse ständig oder gelegentlich mit Schlafstörungen zu kämpfen – sei es aufgrund von Stress im Beruf oder von persönlichen Gründen. Das berühmte Kopfkino hält wach, Probleme werden zu unheiligen Zeiten gewälzt und das meist ohne Ergebnis. Auch Kinder können ein Grund sein, warum der Schlaf in der Nacht ausbleibt.
Schlafmangel kann zu mentaler und physischer Müdigkeit und zu Leistungsminderung führen. Er verschlechtert die Konzentrationsfähigkeit und bedingt eine längere Reaktionszeit. Das Urteilsvermögen ist vermindert und Gedächtnisstörungen und Stimmungsschwankungen treten auf. Extremer Schlagmangel kann sogar Halluzinationen hervorrufen. Langfristiger Schlafentzug ist dem Schlafforscher Christian Benedikt zu Folge ein Risiko für eine Vielzahl von Erkrankungen, wie beispielsweise Übergewicht, Altersdiabetes, Alzheimer und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Egal wie gut die eigene Schlafhygiene ist – das ist der Fachausdruck für eine gute und unterstützende Schlafroutine – so ziemlich jeder Mensch hat schon schlecht geschlafen und auf der Arbeit am nächsten Tag die Augen kaum aufbekommen. Was können müde Fachkräfte tun, um dennoch gut durch den Tag zu kommen?
Hacks zum Wachbleiben
Am besten starten Übermüdete mit einer kalten Dusche am Morgen. Dadurch wird das sympathische Nervensystem stimuliert und es werden Endorphine und Noradrenalin ausgeschüttet, was übersetzt bedeutet: Man fühlt sich wach. Auch ein oder zwei Tassen Kaffee helfen, um in den Tag zu starten oder für eine kurze Zeitspanne die Müdigkeit zu überbrücken, denn auch Koffein regt die Aktivität von Nerven an. Übertreiben sollen es müde Fachkräfte allerdings nicht. Besonders wenn es häufiger zu unruhigen Nächten kommt, kann man sich schnell an die Koffein-Dosis gewöhnen und der Effekt bleibt aus. Zudem verschieben koffeinhaltige Getränke nur die Müdigkeit. Wer also völlig unausgeschlafen zum Beispiel eine Präsentation halten muss, kann zur Tasse greifen. Damit aufhören sollte man spätestens am Nachmittag, also dann, wenn es wieder Richtung Schlaf geht.
Zusätzlich empfiehlt es sich, über den Tag verteilt ausreichend Wasser zu trinken, um das Energieniveau aufrecht zu erhalten. Dehydrierung hingegen unterstützt Müdigkeit und kann schlechte Laune verursachen. Auch eine leichte, zuckerfreie Ernährung sorgt dafür, dass müden Fachkräften die Augenlider nicht zu fallen. Kurze Pausen an der frischen Luft mit etwas Bewegung bringen den Kreislauf in Schwung und vertreiben dadurch etwaige aufkommende Tiefs im Laufe des Tages. Im Idealfall signalisieren gleichzeitig Sonnenstrahlen dem Körper, dass es noch nicht notwendig ist, das Schlafhormon Melatonin auszuschütten.
Wer in die entgegengesetzte Richtung denken will (und wenn es die Arbeitsumgebung zulässt), kann in seiner Pause ein Powernap machen. Doch dieses kurze Wegnicken sollte wirklich nur wenige Minuten dauern, andernfalls wird die Müdigkeit sogar befördert. Grund dafür ist, dass der Mensch in Zyklen schläft: Pro Nacht durchläuft man bis zu sieben Stück davon. Ein Powernap von ein paar Minuten nutzt daher die Erholung, die bereits durch die erste Phase dieses Zyklus entsteht. Mit dem Schlüsseltrick gelingt auch die Unterbrechung: Man hält ihn in der Hand beim schlafen, fällt er herunter, ist es Zeit aufzustehen. Wird das Schläfchen nicht abgebrochen, schreitet der Zyklus voran – und wenn man dann aufwacht, ist man müder als zuvor. Laut einem Beitrag der Barmer Krankenkasse ist 13 Uhr aus wissenschaftlicher Sicht der beste Zeitpunkt für einen Powernap. Es ist allerdings zwingend notwendig, dass die kurzen Schläfchen in der Pause stattfinden, da es sich ansonsten um Arbeitszeitbetrug handelt.
Nachsichtig sein
Geht einem Arbeitstag wenig Schlaf voraus gilt es, anstehende To-dos zu priorisieren: Fachkräfte sollten nur konzentrationsintensive Aufgaben erledigen, die zwingend an diesem Tag ausgeführt werden müssen. Andernfalls tun sie besser daran, diese neu zu datieren. Bei Aufgaben, die besonders viel Sorgfalt erfordern, können Fachkräfte einen Kollegen oder eine Kollegin bitte, prüfend auf das Ergebnis zu schauen. Je nachdem wie gut das Verhältnis untereinander ist, besteht auch die Möglichkeit den eigenen Schlafmangel offen anzusprechen und sich so die Unterstützung des oder der Kolleg*in zu sichern.
Auch ohne Schlafmangel kann so manches Meeting einschläfernd sein. Wenn lange Termine anstehen, Fachkräfte regelmäßig Pausen vorschlagen, in denen zudem die Fenster geöffnet werden. Wer Überstunden zur Verfügung hat, kann sich auch darum bemühen, den Tag einfach frühzeitig abzuschließen und nach Hause zu gehen. Ein Grund für eine Krankmeldung ist schlechter Schlaf nämlich nicht – außer er ist krankheitsbedingt durch psychologische Störungen oder Insomnie, also einer chronischen Schlafstörung.
Zu allen Tipps und Tricks für einen übermüdeten Arbeitstag zählt auch die Gelassenheit mit sich selbst. Es bringt nichts, sich über den aktuellen Zustand zu ärgern oder von sich selbst Topleistungen bei zu wenig Schlaf zu erwarten. Fachkräfte sollten behutsam mit sich und den eigenen Limits für diesen Tag umgehen. Daher: früh Feierabend machen und dafür sorgen, dass die nächste Nacht besser wird.
Vor dem Schlaf ist nach dem Schlaf
Eine gute Schlafhygiene sagt vereinzelt auftretenden schlechten Schlafsituationen den Kampf an: sportliche Aktivität, leichte Mahlzeiten vor dem Schlafengehen, strikte Trennung von Arbeits- und Schlafzimmer. Wer mehr als dreimal in der Woche über einen Zeitraum von einen Monat schlecht schläft, sollte zum Arzt gehen, um etwaige körperliche Ursachen ausschließen zu können.
Sind Kinder der Grund dafür, dass Fachkräfte nicht durchschlafen können, hilft aber auch die beste Schlafhygiene nichts.
Wirksamer ist daher die Aufteilung der Nächte in Schichten. Montag bis Mittwoch ist der eine, Donnerstag bis Samstag der andere Elternteil zuständig. Wer es einrichten kann, kann über getrennte Schlafplätze nachdenken, sodass der Elternteil „off-Duty“ auch wirklich zur Ruhe kommt. Für Einelternfamilien ist ausreichend Schlaf im frühen Lebensabschnitt von Kindern eine Herausforderung. Sie können sich nachts nicht auf einen Partner oder eine Partnerin stützten, sondern müssen selbst raus. Gerade in einer solchen Situation sollte man sich nicht scheuen, bei Großeltern oder engen Freund*innen um Hilfe zu bitten und das Problem konkret zu benennen: Ich muss dringend mal wieder durchschlafen! Können die Kinder eine Nacht bei dir bleiben?