Beruf und Pflege vereinbaren
Es ist eine Doppelbelastung und betrifft etliche Berufstätige: arbeiten und eine*n Angehörige*n pflegen. Welche Rechte und Möglichkeiten haben Angestellte in so einer Situation?
Text: Anne Mittmann
Laut Statistischem Bundesamt wurden 2021 in Deutschland über 4 Millionen pflegebedürftige Menschen zu Hause versorgt. Bei mehr als 2,5 Millionen davon übernahmen pflegende Angehörige allein die Versorgungsverantwortung. Um dieser anspruchsvollen Aufgabe nachkommen zu können, gibt es verschiedene Modelle, die Arbeitnehmer*innen nutzen können. Seit dem 1. Januar 2015 gilt das Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf. Damit wurden die bestehenden Regelungen im Pflegezeitgesetz (PflegeZG) und im Familienpflegezeitgesetz (FamiliepflegeZG) weiterentwickelt und besser verzahnt. Demnach umfasst der Begriff „nahe Angehörige“ nicht nur die eigenen Eltern, den Ehemann oder die Ehefrau, sondern deckt eine große Bandbreite ab: von den Schwiegereltern über den oder die Partner*in in einer eheähnlichen Gemeinschaft bis hin zu den Ehegatten der Geschwister.
Bei einer akut auftretenden Pflegesituation, beispielsweise nach einem Schlaganfall, haben Angestellte nach Paragraf 7 Abs. 1 PflegeZG das Recht, bis zu zehn Tage der Arbeit unbezahlt fernzubleiben. Diese kurzzeitige Arbeitsverhinderung ist sinnvoll, um die Organisation einer bedarfsgerechten Pflege sicherzustellen. Auf Verlangen des Arbeitgebenden muss eine ärztliche Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen vorgelegt werden. Unabhängig von der Größe des Arbeitgebenden haben alle Beschäftigten gemäß Paragraf 2 Abs. 1 PflegeZG das Recht auf eine kurzzeitige Arbeitsverhinderung. Während der maximal zehn Tage bleibt der Schutz in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung bestehen.
Finanziell aufgefangen
Zahlt der Arbeitgeber keinen Lohn während der Abwesenheit, kann Anspruch auf das sogenannte Pflegeunterstützungsgeld bestehen. Diese Entgeltersatzleistung gilt für alle Pflegegrade und beträgt in der Regel 90 Prozent des ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts in den letzten zwölf Monaten ohne Einmalzahlungen. Mit solchen Boni im Arbeitsentgelt beträgt das Pflegeunterstützungsgeld 100 Prozent des tatsächlich ausgefallenen Nettoarbeitsentgelts. Aber Achtung: Der Leistungsbetrag darf pro Kalendertrag 70 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze nach Paragraf 233 Abs. 3 in der Krankenversicherung nicht überschreiten.
Voraussetzung ist, dass die Pflegesituation akut und unvorhersehbar eintritt, die Fachkraft ein*e nahe*r Angehörige*r der pflegebedürftigen Person ist, bereits ein Pflegegrad vorliegt oder eine baldige Einstufung abzusehen ist und die zu versorgende Person Mitglied einer deutschen Krankenkasse ist. Um Pflegeunterstützungsgeld erhalten zu können, müssen Angestellte einen Antrag bei der der Pflegekasse oder dem privaten Pflegeversicherungsunternehmen des oder der zu pflegenden Angehörigen stellen. Je schneller der Antrag eingereicht wird, desto eher erhalten sie Unterstützung. Seit dem 1. Januar 2024 kann das Pflegeunterstützungsgeld pro Kalenderjahr für bis zu zehn Arbeitstage je pflegebedürftiger Person in Anspruch genommen werden.
Anspruch auf Pflegezeit?
Für die mittelfristige Pflege von nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung besteht ein Anspruch auf Pflegezeit für die Dauer von bis zu sechs Monaten. Allerdings nur in einem Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten. Bei weniger als 15 Beschäftigten kann eine Pflegezeit nur auf freiwilliger Basis mit dem Arbeitgebenden vereinbart werden. Eine teilweise oder vollständige Freistellung zwecks Pflegezeit muss dem Arbeitgebenden spätestens zehn Arbeitstage vor Antritt schriftlich angekündigt werden. Bei minderjährigen Angehörigen besteht der Anspruch auch bei außerhäuslicher Betreuung.
Bei einem Arbeitgebendem mit mehr als 25 Beschäftigten haben Arbeitnehmer*innen sogar einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten bei einer Mindestarbeitszeit von 15 Wochenstunden. Der Anspruch auf teilweise Freistellung besteht auch für die außerhäusliche Betreuung von minderjährigen pflegebedürftigen nahen Angehörigen. Die Ankündigungsfrist beträgt acht Wochen. Auf Grundlage der schriftlichen Ankündigung treffen Arbeitgebende und Beschäftigte eine ebenfalls schriftliche Vereinbarung über die Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit. Falls keine dringenden betrieblichen Gründe dagegenstehen, muss den Wünschen des oder der Beschäftigten entsprochen werden. Von der Ankündigung bis zur Beendigung der Freistellung genießen die Beschäftigten nach dem Familienpflegezeitgesetz einen besonderen Kündigungsschutz. In Kleinbetrieben besteht der Kündigungsschutz für die Zeit der Freistellung.
Zinsloses Darlehen möglich
Finanzielle Förderung während der (Familien-)Pflegezeit erhalten pflegende Angehörige während der Freistellung durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA). Beim BAFzA können Angehörige einen Antrag auf ein zinsloses Darlehen stellen, das in monatlichen Raten ausgezahlt wird. Es soll dabei helfen, den entstehenden Verdienstausfall abzufedern. Das Darlehen wird in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den pauschalierten Nettoentgelten vor und während der Freistellung gewährt.
Arbeitnehmer*innen, die mit einer Pflegesituation konfrontiert werden, sollten vor professioneller Beratung nicht zurückschrecken. Denn viele Leistungen und Ansprüche hängen von der individuellen Situation der zu versorgenden Person und der Fachkraft ab. Gemeinsam haben sie ein Recht auf eine kostenlose, umfassende und unabhängige Pflegeberatung. Erste Anlaufpunkte sind Krankenkassen oder Pflegestützpunkte. Weitere Informationen rund um Pflegezeit und Förderung erhalten Angehörige auch bei den Bundesministerien für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie für Gesundheit. Zudem existiert eine Vielzahl an kostenpflichtigen Angeboten.