Wenn die Kita zu bleibt
Überall im Land fehlen Erzieher*innen und Fachkräfte in den Kindertagesstätten (Kitas). Für Arbeitnehmer*innen mit Kindern wird deren Versorgung aufgrund von Personalmangel zum Alltag – bleibt jedoch eine Herausforderung.
Text: Stefanie Schweizer
Mit dem Stellenbesetzungsproblem in Kindertagesstätten haben mittlerweile viele erwerbstätige Eltern zu kämpfen – und es wird vermutlich für zahlreiche weitere in diesem Jahr noch deutlicher spürbar. So verkürzen manche Kitas bereits ihre Öffnungszeiten aufgrund des Personalmangels, wie etwa im baden-württembergischen Rottweil: Einem Bericht der Lokalzeitung vor Ort folgend, reduziert die „Arche Noah“ die Betreuungszeiten im Ganztagesbereich. Ab Februar 2024 könnten Eltern hier nur noch mit einer Öffnung im Umfang von 30 Stunden in der Woche rechnen. Während die neuen Zeiten in Rottweil bereits mit Vorlauf angekündigt wurden, kann es jedoch auch zu kurzfristigen oder gar vollständigen KITA-Schließungen kommen, zum Beispiel, weil ein Großteil des Personals krank ist. Laut der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung waren im letzten Jahr 57 Prozent der 5.000 befragten Eltern von Kürzungen der Betreuungszeiten und/oder sogar zeitweiligen Schließungen der Einrichtung aufgrund von Personalmangel betroffen.
Betreuung zuhause
Bleibt die Kita zu, müssen vor allem für erwerbstätige Eltern alternative Betreuungsangebote her: Glück hat, wer auf Großeltern und andere Verwandtschaft zurückgreifen kann. Sind die gängigen Notfallhelfer*innen allerdings nicht verfügbar, bleibt oftmals nur die Option, dass Mütter und Väter selbst zu Hause bleiben und die Betreuung übernehmen. „Der betroffene Arbeitnehmer hat sich möglichst unverzüglich beim Arbeitgeber zu melden und anzuzeigen, dass er aufgrund der Betreuung des eigenen Kindes nicht zur Arbeit erscheinen kann. Dreh- und Angelpunkt ist § 616 s. 1 BGB”, erklärt der Anwalt für Arbeitsrecht, Atilla von Stillfried. Obwohl der arbeitsrechtliche Grundsatz zwar besage ‘ohne Arbeit keinen Lohn’ könne in diesem Fall trotzdem ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestehen, sollte keine vertragliche Abmachung dagegensprechen. „Nach § 616 S 1 BGB entfällt der Anspruch auf den Lohn nicht, wenn der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßige nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Voraussetzung hierfür ist, dass eine tatsächliche Verhinderung aufgrund eines persönlichen Leistungshindernisses vorliegt. Die gesetzliche Pflicht zur Betreuung des eigenen Kindes stellt einen solchen Grund in der Person des Arbeitnehmers dar”, erklärt Atilla von Stillfried. Denn Eltern, die zur Betreuung der Kinder der Arbeit fernbleiben müssen, befinden sich in einer Pflichtkollision, in der die Aufsichtspflicht klar die Oberhand gewinnt.
Allerdings ist es für Mütter und Väter nicht immer so einfach möglich, selbst zu Hause zu bleiben, sei es aus strukturellen Gründen, weil sie zum Beispiel einer systemrelevanten Tätigkeit nachgehen, oder weil beruflicher Druck herrscht – und sie die lang geplante Präsentation, die der letzte Baustein zur Beförderung sein soll, nicht ausfallen lassen „können“. Wer es sich leisten kann, kann den Service externer Dienstleister nutzen, um die Zeit der Kita-Schließung zu überbrücken. Auch hier gilt es, vorrausschauend zu arbeiten, damit Eltern das Kind oder die Kinder guten Gewissens an eine vertrauenswürdige und bekannte Person übergeben können. Erwerbstätige Mütter und Väter sollten daher bereits vorab ein paar Mal auf eine*n Babysitter*in oder Tagesmutter oder Tagesvater setzen. Die gute Nachricht: Eltern können Kinderbetreuungskosten als Sonderausgaben von der Steuer absetzen.
Kind(er) mit zur Arbeit nehmen
Immer mehr Arbeitnehmer*innen versuchen auf die für ihre Mitarbeiter*innen oftmals schwierige Betreuungslage mit der Option auf Homeoffice zu begegnen. Für Mütter und Väter ohne Ersatzbetreuung ist diese Lösung scheinbar die beste Option, um das Kind zu versorgen und gleichzeitig der Arbeit nachzukommen. Denn der Nachwuchs kann – wenn schon alt genug – im eigenen Zimmer spielen und sich zumindest phasenweise selbst beschäftigen. Dieser Vorteil geht verloren, wenn Arbeitnehmer*innen das Kind oder die Kinder bei einer Kita-Schließung mit zur Arbeit bringen. Nicht nur, dass es vorab sicherheits- und versicherungstechnische Aspekte zu beachten gilt, sondern Fachkräfte sollten genau mit dem Arbeitgeber abklären, was geht und was nicht – wenn möglich schriftlich. Ist es in Ordnung, wenn das Kind auf Firmenpapier malt? Wenn es auf dem Arbeits-Tablet ein Video schaut? Wenn es im Pausenraum auf dem Sofa spielt?
Diese Punkte klingen zunächst wie vermeintliche Kleinigkeiten, können aber durch vorherige Abstimmung Ärger und Missverständnisse ersparen. Anspruch darauf, das Kind beim Ausfall der Betreuung mit zur Arbeit zu bringen, haben Fachkräfte übrigens nicht. Außerdem kann der Arbeitgeber festlegen, wo sich das Kind im Unternehmen aufhalten darf und wo nicht. Dafür müssen die Angestellte auf Wunsch auch eine Haftungserklärung unterschreiben. Da es offensichtlich viel vorab zu klären gilt, sollten Mütter und Väter die Gelegenheit nutzen, um bereits vor der Notsituation mit dem oder der Vorgesetzten zu reden.
Dass die Betreuung aufgrund des Personalmangels immer schweiriger wird, ist kein Geheimnis und mit Wahrscheinlichkeit sind auch andere Kolleg*innen vom Thema betroffen. Erwerbstätige Eltern sollten daher in ruhigen Zeiten die Optionen und das Vorgehen bei einer Kita-Schließung besprechen. Damit machen sie nicht nur auf ihren Bedarf aufmerksam, der erfüllt sein muss, damit sie gute Arbeit leisten können, sondern stoßen vielleicht innerbetriebliche Veränderungen wie die Einrichtung eines Eltern-Kind-Büros an. Das Engagement von Arbeitgebern ist in dieser Situation essenziell. Nur wenige Eltern präferieren die Option, ihr Kind mit zum Arbeitsplatz zu bringen, wohl wissentlich, dass sie dann zwei anspruchsvolle Jobs gleichzeitig erledigen müssen – ihre Lohnarbeit und die Betreuung des Kindes. Sollte der Arbeitgeber es nicht erlauben, das Kind mitzubringen, ist außerdem Homeoffice keine Option und fallen alle anderen Alternativen weg, bleibt Arbeitnehmer*innen nur eins: Urlaub nehmen oder – sollte dieser schon aufgebraucht sein – sich unbezahlt freistellen lassen. Um die Nerven zu schonen, könnte das die beste Lösung sein, denn ob im Homeoffice oder vor Ort: Wer neben der Arbeit ein Kind betreut, hat doppelt so viel auf der To-do-Liste.
Gleichberechtigt kümmern
Ob als Paar oder Einelternfamilie: Mütter und Väter, die auf ein soziales Netz außerhalb der sogenannten Kernfamilie setzen, haben während Kita-Schließtagen zusätzliche Betreuungsoptionen. So können sie auf Freundinnen und Freunde zurückgreifen, die zum Beispiel ohnehin im Homeoffice arbeiten, dem Kind beziehungsweise den Kindern vertraut sind und die Betreuung übernehmen können. Vor allem für Einelternfamilien kann dies große Entlastung bieten.
Fachkräfte in heteronormativen Paarbeziehungen sollten darauf achten, über die Kita-Schließung nicht eine alte Rollenverteilung zu reproduzieren, nämlich: Er geht zur Arbeit, während sie (unbezahlt) zu Hause bleibt. Auch wenn sich die Kindererziehung nicht tatsächlich in 50/50 aufteilen lässt, sollten Väter hier aktiv werden – und das Gespräch mit der Partnerin darüber suchen und zu Hause bleiben. Denn damit die ohnehin anspruchsvolle Situation nicht einseitig von einer Person getragen werden muss, gilt es, gleichberechtigt an der Lösungsfindung teilzunehmen. Ist die Kita die ganze Woche zu, dann könnten Vater und Mutter je 2,5 Arbeitstage ins Homeoffice, Urlaub nehmen oder sich freistellen lassen. Schließlich ist es das gemeinsame Kind. Außerdem: Eine unbezahlte Freistellung macht sich am Ende des Monats im Gehalt bemerkbar. Gearbeitet hat man als Betreuungsperson allerdings trotzdem. Eine konkrete Aufteilung der zu überbrückenden Tage ist prozentual gesehen dann eine faire Lösung für beide.