Zeit für Reflexion
Der Alltag im Job und Zuhause bringt viele Herausforderungen mit sich, viele sehnen sich nach einer Auszeit.

Zeit für Reflexion

Abstand vom Alltags-Trubel gewinnen, das wünschen sich viele. Jan Hoßfeld, Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens, ist das in einem Schweige-Seminar gelungen. Er hat neue Perspektiven entdeckt – doch ganz ohne Sprechen ging das nicht.

Text: Katrin Poese

Jan Hoßfeld hat von seiner Erfahrung im Schweige-Seminar profitiert – im Berufs- und Lebensalltag. Foto: privat

„Der erste Tag war völlig befremdlich – allein beim Essen nicht sagen zu können: Gib mir bitte das Salz!“, erzählt Jan Hoßfeld. Der 40-Jährige ist geschäftsführender Gesellschafter von INFOsys Kommunal, einem Unternehmen im Saarland, das auf die Softwareentwicklung und -pflege für die öffentliche Verwaltung spezialisiert ist. Der Politikwissenschaftler mit einer Fachweiterbildung in Unternehmensführung und Erfahrung in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Marketing und Management hat nach dem Tod seines Vaters das Familienunternehmen übernommen – das bedeutet einen fordernden Alltag. 2018 hat er sich dazu entschlossen, ihn für eine knappe Woche hinter sich zu lassen und ein Schweige-Seminar im Kloster Gnadenthal in der Nähe von Frankfurt am Main zu besuchen.

Mit Notizbuch statt Smartphone

Schon am zweiten Tag haben sich bei ihm die Gedanken an akute Arbeitsthemen verflüchtigt. „Man nimmt dann eine Vogelperspektive ein.“ Genau das ist im Rückblick für Jan Hoßfeld der größte Gewinn: Im Schweige-Seminar war endlich Zeit dafür, über Dinge nachzudenken, für die im Alltag sonst kein Raum ist. „Ich hatte zu dem Zeitpunkt das Gefühl, es würde mir guttun, mal etwas Abstand zu den Dingen zu gewinnen und nicht permanent reaktiv zu sein“ – damit meint Jan Hoßfeld Herausforderungen seines Arbeitsalltags, genau wie die des Lebens allgemein.

Zu den Themen, die gerne bearbeitet werden wollten, zählten Dinge wie der Tod seines Vaters, der Verlust eines guten Freundes oder eigene Verhaltensmuster in stressigen Situationen. „Am wichtigsten war der Effekt, dass gewisse Lasten abfallen“, sagt er. An diese Erfahrung denkt er bis heute oft zurück. „Es hat mir gezeigt, dass die Dinge, die einen über viele Jahre begleiten, zu händeln sind, wenn man sie verarbeitet.“

Der Ablauf des Schweige-Aufenthaltes hat noch weitere Erkenntnisse mit sich gebracht: Am Anfang gaben alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Smartphones ab, erhielten ein leeres Notizbuch und schwiegen. Durch den Verlust des Sprechens verlagerte sich die Kommunikation schnell nach innen, die einzige Ausdrucksmöglichkeit war das Aufschreiben der eigenen Gedanken. Bis auf eine Ausnahme: Einzelgespräche mit dem Organisator und Seelsorger Stefan Hund.

Entspannte Rückkehr

Zwar ist Jan Hoßfeld überzeugt, dass das Klappe-Halten, wie er sagt, entscheidend ist: „Den konkreten Lernerfolg bekommt man nicht ohne Stille hin.“ Hilfreich war aber auch, die Gedanken im Gespräch einordnen zu können, gerne mithilfe der richtigen Fragen von einer außenstehenden Person. Diesen Aspekt findet Jan Hoßfeld im Rückblick am wichtigsten. „Man sollte bei der Auswahl des Anbieters darauf achten, dass man mit der Person, die einen begleitet, arbeiten möchte – denn es ist Arbeit.“ Diese Art von Arbeit ist nicht an zwei Tagen getan – den ersten Tag brauchte Jan Hoßfeld zum Abschalten, erst dann setzte der produktive Prozess des Reflektierens ein. Etwas Zeit sollte man also mitbringen. Auch den Abstand von mindestens rund 100 Kilometern zum eigenen Zuhause und Arbeitsplatz fand der Geschäftsführer sinnvoll. Das Zurückkehren in den Alltag war dann allerdings „weniger schmerzhaft, als ich vermutet hatte“.

Es stellte sich heraus, dass Jan Hoßfelds Handy nicht vor Nachrichten überlief und sein Team die anstehenden Aufgaben gut ohne ihn bewältigt hatte. „Ich war erstaunt, wie wenig Impact mein Verschwinden hatte“, erzählt er – und ist darüber sehr zufrieden. Denn er glaube daran, dass die beste Führungskraft die sei, die sich selbst unnötig mache. Damit das so gut läuft wie bei Jan Hoßfeld, findet er eine großzügige Vertretungsregelung mit Vollmachten und viel Vertrauen wichtig. Die erlaubt es dann auch, nach dem Schweige-Aufenthalt noch ein oder zwei Tage Pause vor der Rückkehr in den Alltag einzubauen.

Der Unternehmer möchte die Erfahrung mit dem Schweigen gerne bald wiederholen. Angst davor, die Ruhe auszuhalten, hat er nach seiner ersten Erfahrung nicht. „Wirklich still ist es im Kopf gar nicht“, sagt er. „Was sich verändert, ist eher, wie man mit sich spricht.“ Statt einer Schuldzuweisung an sich selbst herrscht bei seinem inneren Monolog inzwischen eher das Prinzip der geteilten Verantwortung – er ist gnädiger mit sich. Dieses „Skill-Set“, wie er es bezeichnet, hat Hoßfeld aus seinem ersten Schweige-Aufenthalt mitgenommen und nutzt es bis heute.

Und dann ist da noch ein netter Nebeneffekt, von dem die Führungskraft leicht schmunzelnd berichtet: „Ein weiterer Bonus ist: Man lernt, Körpersprache besser zu deuten.“ Am letzten Tag musste niemand am schweigenden Mittagstisch mehr nach dem Salz gestikulieren – die Teilnehmer merkten sich gegenseitig an, was sie brauchten.

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