Fachkräfte für die Artenvielfalt
Damit Naturschutzgebiete so bleiben wie sie sind, braucht es Fachkräfte wie etwa die Natura-2000-Manager*innen. Foto: © Leonardo.Ai/KI-generiert

Fachkräfte für die Artenvielfalt

Wer Europas Naturparadiese schützen will, braucht Spezialwissen. Die E-Learning-Weiterbildung „Natura-2000-Manager/in“ beim BUND Thüringen macht fit dafür. Projektkoordinatorin Katinka Sauer gibt spannende Einblicke.

Interview: Christine Lendt

WILA Arbeitsmarkt: Was versteht man unter Natura 2000?
Katinka Sauer: Natura 2000 ist ein Netzwerk aus Schutzgebieten, das sich über alle EU-Mitgliedsstaaten erstreckt. Die zu schützenden Arten und Lebensräume sind in der Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie festgelegt. Alle EU-Staaten sind verpflichtet, die Erhaltungszustände der Arten und Lebensräume zu schützen oder zu verbessern. Bei Missachtung drohen Vertragsverletzungsverfahren – wie es Deutschland bereits mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshof 2023 traf, in welchem Missstände in der Umsetzung beziehungsweise dem Schutz gerügt wurden.

Was ist das Ziel der Weiterbildung „Natura-2000-Manager/in”?
Es ist vor dem Hintergrund der FFH- und Vogelschutzrichtlinie sowie des Naturwiederherstellungsgesetzes davon auszugehen, dass künftig weiterhin eine hohe Zahl qualifizierter Fachkräfte hierfür gesucht werden. Mit der Weiterbildung „Natura-2000-Manager/in“ verfolgen wir als BUND Thüringen das Ziel, Fachkräfte in diesem Bereich zu qualifizieren, um unsere europäische Artenvielfalt zu erhalten und zu schützen. Die Teilnehmenden sollen befähigt und bestärkt werden, Arten und Lebensräume des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 kompetent zu managen und zu betreuen.

Aktuell gibt es in Deutschland einen Mangel an qualifizierten Fachkräften für die Gebietsbetreuung und -verwaltung. Hinzu kommt, dass das Natura 2000-Management kaum in einschlägigen Studiengängen oder Ausbildungsberufen ausführlich thematisiert wird. Die nebenberufliche Weiterbildung des BUND Thüringen füllt mit dem E-Learning-Lehrgang diese Ausbildungslücke. Dieser umfangreiche Lehrgang ist bisher bundesweit einmalig. Die hohe Nachfrage von interessierten Fachkräften aus ganz Deutschland bestätigt uns darin, dass er an der richtigen Stelle ansetzt und der Weiterbildungsbedarf flächendeckend hoch ist. Neben der Vermittlung fachlicher und praxisbezogener Inhalte sollen die Teilnehmenden auch von der Vernetzung untereinander profitieren.

Wer nimmt daran teil, und welche beruflichen Hintergründe haben die Teilnehmer*innen?
Der Lehrgang richtet sich hauptsächlich an die folgenden Zielgruppen: an Fachkräfte, die in der Gebietsbetreuung von Natura 2000, der Naturschutzverwaltung sowie in Planungsbüros tätig sind, an Praktiker*innen aus dem land- und forstwirtschaftlichen Berufsstand und an Vereine und Verbände.

In erster Linie werden Fachkräfte angesprochen, die bereits im Naturschutz und einschlägigen Bereichen tätig sind. Die Teilnehmenden kommen aus allen Bundesländern und arbeiten bereits im Bereich Natura 2000 – ob in Stationen, Behörden oder in der Projektbetreuung von NGOs. Sie wollen ihr Wissen im Fachbereich Natura 2000 ausbauen oder auf ein gutes Fundament setzen. Ein Großteil der Teilnehmenden der Durchgänge 2022/2023 und 2023/2024 kam aus Naturschutzvereinen und -stiftungen (39,3 Prozent). Darunter sind Gebiets- und Projektbetreuerinnen und -betreuer. Gefolgt von Teilnehmenden aus der Verwaltung (29,8 Prozent) sowie aus Bildungsinstitutionen und mit privatwirtschaftlichem Hintergrund, wie etwa Planungsbüros (jeweils 10,7 Prozent). 7,1 Prozent der Teilnehmenden waren in den Natura 2000-Stationen in Thüringen beschäftigt.

Welche Inhalte und Kompetenzen werden vermittelt?
Die Tätigkeiten im Natura 2000-Management können sehr vielseitig sein: Vom Management bestimmter geschützter Arten zur Betreuung und Planung von Maßnahmen in der Fläche oder von Renaturierungen verschiedener Lebensräume, der behördlichen Naturschutzverwaltung bis hin zur Beratung von Akteurinnen und Akteuren aus Land- und Forstwirtschaft. Aus diesem Grund ist das Curriculum breit gefächert und deckt in elf Themenblöcken die relevanten Inhalte ab, mit denen Fachkräfte im Natura 2000-Management konfrontiert werden.

In den Themenblöcken werden die gesetzlichen Grundlagen von Natura 2000 auf EU- und Bundesebene vertieft. Zudem werden ökologische Grundlagen, das Management und die Ökologie von ausgewählten Arten und Lebensräumen der FFH-Richtlinie sowie der Aspekt Renaturierungsökologie thematisiert. Drei Themenblöcke geben einen Überblick über die Praxis der Land-, Forst- und Gewässerwirtschaft und deren Überschneidungen mit Natura 2000. Auch Naturschützende müssen die Gesetze und Spannungsfelder kennen, in welchen Land- und Forstwirte agieren, um ihre Tätigkeit mit den Zielen der FFH- und Vogelschutzrichtlinie verbinden zu können. Die Freizeitnutzung und dessen Schnittpunkte mit Natura 2000 werden ebenfalls in den Inhalten berücksichtigt. Kein Naturschutzprojekt kann umgesetzt werden, wenn es nicht beantragt wird sowie entsprechende Mittel akquiriert werden. Die Antragstellung und Umsetzung wird im Block „Projektmanagement“ thematisiert. Ebenso werden die Bereiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Argumentationstechniken im Naturschutz gelehrt.

Wie ist die Weiterbildung strukturiert?
Der Hauptteil findet im Selbststudium statt. Die Teilnehmenden erhalten einen Zugang zur Lernplattform Moodle. Dort können sie vertonte Präsentationen und Kurzvideos zeit- und ortsunabhängig bearbeiten. Ergänzend gibt es Online-Veranstaltungen wie Live-Vorlesungen, Live-Talks oder Live-Konsultation. Der Lehrgang startet jeweils mit einer zweitägigen Präsenzveranstaltung in Erfurt. Weitere Präsenztermine geben neben der Vermittlung von fachlichem Wissen den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich zu vernetzen und auszutauschen.

Wie kann man sich anmelden?
Der Lehrgang „Natura-2000-Manager/in“ startet einmal jährlich im Herbst und endet im Juni. Anmeldungen sind im Frühjahr möglich. Die Gesamtdauer liegt bei acht Monaten und zirka zehn Wochenstunden, je nach Vorwissen. Für den nächsten Lehrgang 2025/2026 – dieser beginnt am 24. Oktober 2025 und endet am 30. Juni 2026 – läuft die Anmeldephase noch bis zum 16. Juni 2025. Er beinhaltet zwei jeweils zweitägige Präsenztermine: Gleich im Oktober 2025 zu Beginn sowie naturschutzfachliche Exkursionen im April 2026.

Gibt es besondere Praxisprojekte oder Fallstudien innerhalb der Weiterbildung?
Für den Lehrgang wurden 63 der 93 in Deutschland vorkommenden Lebensraumtypen (LRT) der FFH-Richtlinie als digitale Panoramen aufbereitet. Sie sind mit Virtual Reality erlebbar. Darin enthalten sind Kennarten des jeweiligen Lebensraumtyps. Die Panoramen geben einen guten Überblick über die LRT und sind auf der Website öffentlich einsehbar. In den naturschutzfachlichen Exkursionen wird das Erkennen und Abgrenzen von Lebensraumtypen sowie das Ableiten von Schutzmaßnahmen geschult.

Welche Rolle spielen Natura-2000-Manager*innen in der Praxis?
Für die konkrete Umsetzung von Natura 2000 sind in Deutschland die Bundesländer zuständig, da Naturschutz in der Länderkompetenz liegt. Daher unterscheidet sich die jeweilige Umsetzung in den Bundesländern: Teilweise wurden – wie in Thüringen – Natura 2000-Stationen oder – wie in NRW – biologische Stationen eingerichtet. Grundsätzlich ist aber immer die jeweilig zuständige Behörde für die Einhaltung der Richtlinien verantwortlich – egal ob untere, obere oder oberste.

Natura-2000-Manager*innen befinden sich an genau dieser Schnittstelle. Sie betreuen Gebiete, indem sie beispielsweise Schutzmaßnahmen koordinieren und umsetzen, die in Managementplänen festgeschrieben sind. Sie arbeiten mit verschiedenen Akteuren zusammen: Behörden, Landnutzenden, Naturschutzorganisationen, lokaler Bevölkerung. Dies erfordert nicht zuletzt kommunikatives Geschick und ein Know-how, welches über die Theorie zu ökologischen Grundlagen hinausgeht. Sie sind damit vor Ort in einer wichtigen Position zum Schutz unseres europäischen Naturerbes.

Wie kann die Weiterbildung berufliche Perspektiven eröffnen oder erweitern?
Die Weiterbildung soll in einem Themenfeld spezialisieren, das in der klassischen Naturschutz-Ausbildung und Lehre nur rudimentär behandelt wird: Natura 2000. Oftmals werden in den diversen Studiengängen nur einzelne Fachthemen vertiefend vermittelt. Dem wirkt der Lehrgang entgegen und eröffnet somit neue Perspektiven für die Teilnehmenden. In Behörden, in Planungsbüros, bei Landschaftspflegeverbänden, Naturschutzorganisationen oder in Vertretungen des forst- und landwirtschaftlichen Berufsstandes: Überall mangelt es an Fachkräften – vor allem mit Kompetenzen im Fachbereich Natura 2000.

Daher bietet der Natura-2000-Manger*innen-Lehrgang genau die Inhalte, die es für eine effiziente Umsetzung von Natura 2000 braucht. Er ersetzt kein Studium oder eine Berufsausbildung, aber schließt wesentliche Lücken und betont den Querschnittscharakter, den das Aufgabenfeld Natura 2000 mit sich bringt. Es bringt die Teilnehmenden dazu, über ihre eigenen Themenbereiche hinauszublicken. In einer Berufswelt, in der immer mehr Themen von immer weniger Menschen bearbeitet werden, bietet der Lehrgang sehr gute Perspektiven.

Wie ist die bisherige Resonanz?
Die positiven Erfahrungen bekommt der BUND Thüringen auch gespiegelt: Eine Teilnehmerin meldete zurück, dass sie nach ihrem Jobwechsel in die Behörde das Wissen aus dem Lehrgang direkt mehrfach anwenden konnte. Ein Teilnehmer aus der Forstbehörde teilte mit, dass er nun durch die Lehrgangsinhalte eine viel bessere Argumentationsgrundlage hat, um die Naturschutzbelange vor anderen Akteuren zu vertreten. Ein Teilnehmer mit Personalverantwortung hat uns mitgeteilt, dass er diese Weiterbildung in seinem Bereich seinen neuen Kolleginnen und Kollegen zur Einarbeitung empfiehlt.

Weitere Informationen
E-Learning-Lehrgang „Natur-2000-Manager/in“, 24. Oktober 2025 bis 30. Juni 2026

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