Im Hier und Jetzt
Im Hier und Jetzt sein: Das ist auf einer Pilgerreise besonders gut möglich.

Im Hier und Jetzt

„Auf meiner Pilgerreise habe ich gelernt, dass ich mich auf meinen Körper und Geist verlassen kann“, sagt Lisa Burger. Kurz vor ihrem Berufseinstieg, beschloss die Erziehungswissenschaftlerin und Erlebnispädagogin sich vorher noch eine besondere Auszeit zu nehmen.

Interview: Anne Prell

Lisa Burger arbeitet bei den Freiwilligendiensten beim Internationalen Bund in Kaiserslautern. Foto: privat

WILA Arbeitsmarkt: Der Camino Francés ist der beliebteste Jakobsweg und führt 800 Kilometer von St. Jean Pied de Port an der französischen Grenze bis nach Santiago de Compostela. Wie sind Sie dazu gekommen, diese Reise zu unternehmen?
Lisa Burger: Im Studium habe ich ein Blockseminar zum Thema „Wandern, Pilgern und Erziehung“ besucht. Die Dozentin ist den Camino Francés selbst schon gelaufen und hat davon erzählt. Gleichzeitig habe ich als Vorbereitung auf den Kurs Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg“ gelesen und Lust bekommen, selbst loszuziehen. Ich habe die Zeit direkt nach dem Master genutzt und mir sechs Wochen Auszeit genommen.

Sechs Wochen sind eine lange Zeit. Wie haben Sie die Zeit mit sich selbst erlebt?
Ich habe die Pilgerreise zusammen mit meinem Vater unternommen. Er ist damals gerade in Rente gegangen, und ich stand vor meinem Berufseinstieg. Es gab Tage, an denen haben wir viel geredet und an anderen viel geschwiegen. Vor allem die ersten Wochen haben wir kaum jemand anderen getroffen. Ich hatte viel Zeit und Raum, mein Studium in Ruhe abzuschließen und mich gedanklich auf den nächsten Schritt einzustellen. Es ging aber vor allem um den Moment: Wir sind jetzt hier, und das zählt.

Auf einer Pilgerreise ist man wochenlang unterwegs und trägt sein Hab und Gut immer im Rucksack bei sich. Wie haben Sie Ihre Reise geplant, um gut vorbereitet zu sein?
Ich habe mich davor gut informiert. Vor allem zum Camino Francés gibt es im Netz viele wertvolle Informationen zur Route und den Unterkünften. Alles in allem hat es ein halbes Jahr gedauert. Wir sind mit leichtem Gepäck gereist, das bedeutet 12 Kilo pro Person. Zur Orientierung hatten wir eine Landkarte, EU-Datenroaming gab es damals noch nicht. Ich war sechs Wochen wirklich „weg“, „offline“ und musste mich nur auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Das war eine völlig neue Erfahrung.

Waren Sie davor schon eine ambitionierte Wanderin?
Nein, eigentlich gar nicht. Wir waren beide einigermaßen fit, aber am Anfang war es trotzdem hart. Ende August war es noch sehr heiß, 35-38 Grad Celsius. Wir sind jeden Tag 20 bis 25 Kilometer gelaufen, hatten Blasen an den Füßen und schmerzende Schultern. Aber nach einer guten Woche haben wir uns auf unseren neuen Rhythmus eingestellt.

Konnten Sie sich Ihre Begeisterung für lange Wanderungen auch nach der Reise noch erhalten?
Ja, auf jeden Fall. Mein Vater und ich haben 2017 gemeinsam die Alpen überquert. Seitdem gehe ich regelmäßig wandern, raus in die Natur. Ich habe gelernt, meinem Körper zu vertrauen. Meine Füße haben mich schon weit getragen, ich kann mich auf sie verlassen und passe gut auf sie auf. Mein Vater und ich haben unsere Pilgerreise beide als sehr prägend erlebt. Wir haben uns sogar das Symbol des Jakobswegs, die Muschel, tätowieren lassen.

Jedes Jahr laufen tausende Menschen den Camino Francés. Gab es regen Austausch unter den Pilger*innen oder sind Sie für sich geblieben?
Meistens sind wir für uns geblieben und haben tagelang niemand anderen getroffen. Das hat sich erst in Sarria, 115 Kilometer vor Santiago de Compostela, geändert. Auf einmal war da eine Menschenmenge um uns herum, die zügig voranmarschiert ist. In Santiago de Compostela war es uns dann auch viel zu voll und viel zu touristisch. Nach so viel Ruhe und Stille waren wir das nicht mehr gewohnt.

Sie sind Erlebnispädagogin und betreuen als Gruppenleiterin Jugendliche in ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr. Wie hat sich Ihre Pilgerreise auf Ihren Beruf ausgewirkt?
Viele Menschen, auch Jugendliche, machen nie die Erfahrung, zu welchen Leistungen ihr Körper eigentlich fähig ist. Es herrscht eine große Scheu vor der Natur. Einen ganzen Tag draußen zu sein, ist für viele nicht vorstellbar. 2019 habe ich die Ausbildung zur Erlebnispädagogin abgeschlossen, um Kinder und Jugendliche behutsam damit bekannt zu machen. Ich konzipiere Waldtage, gehe mit meinen Gruppen wandern und gebe so meine Erfahrung an Kinder und Jugendliche weiter.

Was war der schönste Punkt Ihrer Pilgerreise?
Wir sind vom überfüllten Santiago de Compostela noch vier Tage bis zum Kap Finisterra gelaufen, Kilometer Null des Camino Francés. Als wir am Ende unserer langen Reise am Atlantik angekommen sind, den Hügel hinunter mit Blick aufs Wasser – das war ein toller Moment!

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