Letzte Chance: Wiederansiedlung
Bedrohte Arten gibt es viele, durch Faktoren wie den Klimawandel oder Abholzungen wird das immer mehr. Deshalb ist es besonders wichtig, dagegen vorzugehen.

Letzte Chance: Wiederansiedlung

Ob Bartgeier oder Luchs: Einige Pflanzen- und Tierarten sind immens bedroht. Doch wer die passenden Artenkenntnisse und Geduld mitbringt, kann Tiere und Pflanzen zurückbringen – und hat gute Jobchancen.

Text: Elisabeth Werder

Nicht nur der Klimawandel zeichnet sich verantwortlich für das vermehrte Schwinden bedrohter Tier- und Pflanzenarten: Auch konventionelle Landwirtschaft, Monokulturen, die Versiegelung von Böden oder die Abholzung von Wäldern für industrielle Zwecke tragen ihren Teil dazu bei. Die heimische Natur hat es schwer, das ist schon länger so und die Situation wird immer prekärer. Im Spannungsfeld verschiedener Interessensgruppen tragen Artenschützer*innen dazu bei, Lebensräume zu schützen und begleiten im Bedarfsfall konkrete Auswilderungsprojekte.

Ein solches Projekt ist der Versuch zur Wiederansiedelung des Bartgeiers in den Alpen vom bayerischen Landesbund für Vogelschutz e.V. (LBV): In Kooperation mit dem Nationalpark Berchtesgaden und weiteren Partnern wurden Bartgeier im spanischen Zuchtzentrum Guadelentín in Andalusien gezüchtet und im Juni 2021 erstmalig in einer Felsnische im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert. „In der ersten Zeit tragen die Vögel einen kleinen Rucksack mit Sendern zum Zweck des Monitorings, der Rucksack löst sich irgendwann ab und dann gehen die Vögel im Idealfall selbstständig durch ihr Leben“, erklärt Steffen Hannich vom LBV.

Mit Spezialwissen punkten

Steffen Hannich kam vor zehn Jahren als Bundesfreiwilligendienstler zum LBV, absolvierte dort seine kaufmännische Ausbildung und ist dort mittlerweile in der Personalabteilung tätig. Der Verband ist das bayerische Äquivalent zum Naturschutzbund Deutschland (NABU) und trägt den Beinamen „Verband für Arten- und Biotopschutz“. Gemeinsam mit einer Kollegin verantwortet Steffen Hannich, welche Bewerber*innen sich persönlich vorstellen dürfen und wer den Job letztlich bekommt.

„Wir brauchen Spezialisten mit Fachwissen, welches im Studium leider oft nicht vermittelt wird. Der (wild-)biologische Background wird natürlich benötigt, aber die Expertise über eine bestimmte Art eignen sich die Leute in der Regel autodidaktisch an oder sie waren zum Beispiel bereits ehrenamtlich in einem Projekt aktiv und haben dadurch vertieftes Wissen“, sagt er.

Je nach Fachbereich gibt es auch die Möglichkeit, sich die notwendige Expertise über Weiterbildungen anzueignen. „Wir haben zum Beispiel viele Projekte im Bereich Biotoperhaltung. Die Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege bietet immer wieder Fortbildungen an, die sehr relevant für unsere tägliche Arbeit sind“, erklärt Hannich. Um grundlegende Artenkenntnisse oder Expertise als Taxonomin oder Taxonom zu erlangen, ist der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO) eine gute Anlaufstelle: Er bietet im gesamten Bundesgebiet verschiedene Initiativen, Schulungen und Exkursionen zum Thema an.

Bedarf an Fachkräften steigt

Auch Dr. Tobias Kohl bemängelt, dass Fachwissen über die konkrete Auswilderung von Arten im Studium kaum bis überhaupt nicht vermittelt wird. Der Biologe war zehn Jahre lang in der Forschung tätig, bevor er vor kurzem als Geschäftsführer der Stiftung Artenschutz nach Berlin wechselte. „Während meiner Uni-Zeiten wurden die Bereiche Zoologie und Artenschutz inhaltlich immer weiter gekürzt. Deshalb haben wir genau jetzt keinen großen Pool an Fachkräften, die in dem Bereich gut ausgebildet sind, obwohl sie händeringend gesucht werden“, sagt er.

Seiner Einschätzung nach wird der Bedarf an Fachkräften steigen: „Langfristig werden immer mehr Gelder von öffentlichen Einrichtungen generiert werden müssen, weil der Klimawandel immer mehr Arten bedroht. Die Verantwortung, Biodiversität und Biotope zu schützen, ist in der nationalen Gesetzgebung verankert. Umso mehr internationale Vereinbarungen zum Natur- und Artenschutz getroffen werden – und es werden hoffentlich immer mehr –, umso mehr Fachkräfte braucht es für die Umsetzung. Für Biolog*innen, die heute noch nicht genau wissen, wo sie hinmöchten, wäre es sicher nicht verkehrt sich in diese Richtung zu orientieren.“

Zoos und Tiergärten sind Hauptarbeitgeber im Bereich Artenschutz und Wiederansiedelung. Das Verständnis von Zoos hat sich in den vergangenen Jahren geändert hin zu einer „Arche Noah des 21. Jahrhunderts“: Artenschutzkuratorinnen und Veterinäre stellen sicher, dass bedrohte Arten im Zoo geschützt leben und nach Artenschutzkriterien gehalten werden.

Weitere Anlaufstellen sind Nationalparks, Bundesämter für Naturschutz und Ministerien, Landesverwaltungen oder NGOs wie zum Beispiel der NABU, WWF oder Greenpeace. Die Gehälter variieren von Arbeitgeber zu Arbeitgeber und fallen oft nicht allzu hoch aus: „Natürlich würden wir gerne mehr Fachkräfte einstellen und gut bezahlen, aber da fehlen die Mittel – wir produzieren ja kein Konsumgut, welches wir verkaufen können, sondern leisten einen Beitrag zum Gemeinwohl, indem wir die Natur schützen. Da stecken viel Herz und innerer Antrieb dahinter, das muss man schon wollen“, weiß Tobias Kohl.

Pflanzen, Tiere und Menschen

Bevor eine konkrete Auswilderung stattfindet, müssen Fachkräfte ganz genau wissen, wo eine Art ursprünglich herkommt. „Manche Arten haben ein großes Verbreitungsgebiet, zum Beispiel die Waldeidechse: Sie lebt sowohl in Spanien als auch in Osteuropa, ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich über 11.000 Kilometer. Möglicherweise unterscheiden sich die Arten im Westen und im Osten. Man muss also aufpassen, dass man eine Unterart nicht irgendwo aussetzt, wo sie natürlich gar nicht vorkommt, damit sie sich nicht vermischen. Wenn die regionale Herkunft der Art nicht eindeutig bekannt ist, sollte man sie nicht mehr auswildern“, erklärt Kohl.

Aber auch, wenn die genaue Herkunft bekannt ist, gibt es Hürden – beispielsweise bürokratischer Art. Sollen bedrohte Tiere oder Pflanzen über Landesgrenzen hinweg transportiert werden, muss man Anträge bei Naturschutzbehörden stellen und auf Bewilligung hoffen. Gerade im internationalen Artenschutz sind Sprachkenntnisse von Vorteil, ebenso wie Kenntnisse der Ethnologie: „Es ist wichtig, vor Ort auf Augenhöhe sprechen zu können und sich auf die Kultur einzulassen.

Um eine Art zu identifizieren und den Schwund zu bekämpfen, muss man verstehen, warum die Bevölkerung vor Ort so agiert, wie sie es tut. Wenn die Menschen darauf angewiesen sind, bedrohte Arten zu jagen oder Wälder abzuholzen, brauchen sie Alternativen statt Verurteilung und eine empathische Prozessbegleitung. Man darf also nicht nur mit der biologischen Brille an die Sache herangehen, sondern braucht einen ganzheitlichen Ansatz“, sagt er.

Mit Diplomatie und Feingefühl

„Forestry is not about trees, it’s about people“ lautet ein bekannter Spruch unter Forstwissenschaftler*innen. Wer mit bedrohten Tierarten arbeitet, muss ebenfalls mit Menschen umgehen können und braucht Frustrationstoleranz. Man ist nicht nur in der Wildnis zur Tierbeobachtung unterwegs, sondern vor allem im Austausch mit verschiedenen Akteuren. Deren Interessen sind oft sehr unterschiedlich: Es gibt zum Beispiel Wolfsliebhaber*innen. 

Dem gegenüber stehen Schafzüchter*innen, die den erhöhten Aufwand scheuen, um ihre Schafe zu schützen, und Jäger*innen, die fürchten, dass der Wolf ihr Wild reißt. Oder es gibt Konflikte mit Privatpersonen: Touren-Skifahrer*innen, die nicht wissen, wie störungsempfindlich das Auerwild ist oder Wandernde, die kein Verständnis dafür haben, wenn ein Wanderfalkenbrutplatz ihre Freizeitgestaltung einschränkt.

Wer sich mit konfliktträchtigen Arten auseinandersetzt, muss also empathisch sein und sich in andere hineinversetzen können, aber seinen eigenen Standpunkt gleichzeitig auch vertreten können. Und einen langen Atem mitbringen, denn bei Auswilderungsprojekten ist immer wieder mit Rückschlägen zu rechnen: „Gerade bei bedrohten Arten ist das Auswildern immer ein Risiko, weil das Tier ja dann nicht mehr verfügbar und aus dem Genpool verschwunden ist, wenn der Versuch nicht erfolgreich verläuft“, erklärt Kohl.

Um das Risiko dafür zu minimieren, gibt es strenge Richtlinien zur Wiederansiedelung von Arten, vorgegeben von der Weltnaturschutzunion (IUCN): Die Tiere müssen unter anderem gut überwacht und gesund sein, um keine Krankheitserreger zu verbreiten. Und es muss gewährleistet sein, dass die Tiere vor Ort überleben können. Dafür ist es wichtig, dass sie vor der Auswilderung notwendige Verhaltensweisen beigebracht bekommen, die sie bei Bedarf anwenden können.

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