Eintauchen in eine virtuelle Welt
Virtual Reality hält inzwischen in vielen Bereichen Einzug. Empathie und Technikwissen sind bei der Entwicklung von entsprechenden Angeboten gefragt.

Eintauchen in eine virtuelle Welt

Unmittelbare Erlebnisse ermöglichen, neue Orte zugänglich machen, Unterhaltung bieten – das können Virtual-Reality-Brillen. Einsetzbar sind sie auch im Marketing, in der Berufsorientierung, in Kunst und Kultur oder im Tourismus.

Text: Maike von Haas

Eine Virtual-Reality-Brille (VR) täuscht den Augen und dem Gehirn mittels hochkomplexer Optik vor, sich in einer eigenen Welt zu befinden. Die scheinbare Wirklichkeit wird in einer interaktiven Umgebung in Echtzeit wahrgenommen. Ursprünglich in der Gamer-Szene verortet, sind die Anwendungen inzwischen in vielen anderen Bereichen angekommen. Es kann daher lohnend sein, sich mit der Technik und den Möglichkeiten vertraut zu machen, um selbst VR-Anwendungen nutzen zu können – oder um das eigene Berufsprofil für Arbeitgeber attraktiver zu machen.

Die Technologie wird zum Beispiel auf Messen genutzt, um auf relativ kleinen Präsentationsflächen große Welten zu imaginieren, Stichwort Erlebnismarketing. Oder wer in der International Space Station (ISS) um die Erde kreisen möchte, kann das im Planetarium Hamburg mit einer VR-Brille erleben. Außerdem können noch nicht fertige Gebäude mit einer VR-Brille betreten werden, und sie ermöglicht, dass sich Menschen aus völlig unterschiedlichen Erdteilen in einem Raum treffen.

Claudia Kiani, zuständig für Marketing und PR bei der Hamburger Agentur omnia360, erzählt, dass sie in der Coronazeit eines der beeindruckendsten Erlebnisse mit einer VR-Brille hatte: „Während des ersten Lockdowns hat der Verein nextReality.Hamburg ein virtuelles Event organisiert. Mit VR-Brillen sind wir uns als Avatar in einem 3D-Raum begegnet, in dem wir uns frei umschauen und bewegen konnten. Dabei sind auch die Inhalte, Personen und selbst der Ton dreidimensional, das bedeutet, wenn jemand etwas rechts sagt, dreht man automatisch den Kopf in diese Richtung. Dadurch fiel es mir deutlich leichter, mich drauf einzulassen und die Distanz, die ein Bildschirm normalerweise schafft, ist nahezu verschwunden. Entsprechend kamen wir dem realen Erlebnis sehr nah und ich hatte mitten in der Coronazeit das Gefühl, ich bin bei einem echten Event und treffe echte Menschen“, sagt die PR-Fachfrau.

Augmented, Virtual oder 360 Grad

Alle computergenerierten Objekte oder Umgebungen lassen sich unter dem Oberbegriff Extended Reality oder auch Cross Reality (XR) zusammenfassen. Unterschieden wird dann zwischen einer erweiterten und einer virtuellen Welt. In der Erweiterten Realität/Augmented Reality (AR) werden virtuelle Informationen und Objekte der realen Welt überlagert. Diese Technik kann in praktisch allen Bereichen des Alltags zum Einsatz kommen, als Vehikel dient in der Regel bereits ein Tablett oder ein Smartphone. Uhren, Möbel oder Küchengeräte lassen sich beispielsweise scheinbar am Handgelenk oder in der eigenen Wohnung platzieren.

Bekannt geworden ist dies Technik durch Pokémon GO, wo virtuelle Wesen in die reale Welt simuliert werden. 360-Grad-Videos kennt jeder von Google Street View oder vielleicht auch durch die Wohnungssuche, wo der Nutzer oder die Nutzerin von zu Hause aus die neue Wohnung durchschreiten kann. Das Objekt kann in jede Blickrichtung betreten werden, bestimmte Punkte können herangezoomt werden. Diese Technik wird Reality Capture genannt. Das Ergebnis kann am Laptop oder Smartphone oder mit der VR-Brille angeschaut werden – egal ob es um Rundgänge durch Berlin oder einen Naturerlebnispfad geht.

Virtuelle Realität/Virtual Reality (VR) geht noch einen Schritt weiter. Hier werden programmierte Welten wie in einem Computerspiel begehbar gemacht. Der Nutzer taucht komplett in eine simulierte digitale Umgebung ein – dieser Vorgang wird mit immersiv (eintauchen, eintreten, einbetten) beschrieben und ermöglicht ein unmittelbares und ­emotionales Erlebnis in einem anderen, dreidimensionalen Raum. Claudia Kiani meint: „Es gibt dann keine Ablenkung mehr von außen und im besten Fall fühlt es sich an, als wäre ich ein Teil dieser virtuellen Welt.“

Weit entfernte Welten

Fachkräfte in Unternehmen nutzen VR-Brillen bereits unter anderem im Rahmen des Re­cruitings: Über VR-Brillen werden Werksrundgänge simuliert. Arbeitswelten können so erlebbar gemacht werden, ohne dass man die Arbeitsorte tatsächlich besuchen muss. In der Fort- und Weiterbildung können VR-Brillen genutzt werden, wenn es etwa darum geht, einzelne Bestandteile eines Antriebsmotors zu bestaunen oder medizinische Operationen zu üben. Im Tourismus schicken Veranstalter Menschen mit moderner Technik auf die Zeitreise. In der Kultur hat das Theater Augsburg in der Coronazeit von sich Reden gemacht, weil die Spielstätte Aufführungen für die VR-Brille aufbereitete (und dies weiterhin tut), ortsunabhängig zum Download oder inklusive Miet-Brille vor Ort.

Sogar Arbeitsagenturen setzen bereits VR-Brillen ein, um Jugendlichen niederschwellig Einblicke in mögliche Arbeitsfelder zu geben. Die digitale Berufsorientierung wird etwa von der Arbeitsagentur Duisburg genutzt. Entwickelt werden solche digitalen Konzepte für Schüler*innen zum Beispiel vom Sozialunternehmen Studio2B GmbH, das die neuen Lernmedien nutzen will, um allen Schüler*innen die gleichen Chancen zu eröffnen.

Beim Format „Dein erster Tag“ werden 360-Grad Betriebsbesichtigungen produziert, mit denen sich die Schüler*innen innerhalb von fünf Minuten einen Eindruck von einem Ausbildungsberuf gewinnen können. Generell zeigt sich: Je jünger die Menschen sind, desto schneller finden sie sich in der VR-Welt heimisch. „Ich bin immer wieder überrascht, wie schnell Zehn- oder Zwanzigjährige in diese Welten eintauchen. Dagegen fühle ich mich mit Anfang dreißig schon manchmal langsam“, berichtet Claudia Kiani.

Pioniergeist gefragt

So zukunftsweisend die Brille ist, so gibt es immer noch Kinderkrankheiten: Noch ist sie zu klobig, um wirklich bequem getragen werden zu können, und sie kostet relativ viel Geld. Je nach Modell muss man zwischen 200 und 1.200 Euro investieren. Damit nicht zu vergleichen sind die ab circa sechs Euro erhältlichen Cardboards aus Pappe, in die ein Smartphone gesteckt werden kann, um eine Low-Budget-VR-Brille zu erhalten.

Auch die Features der VR-Welt sind bereits umwerfend, und dennoch wird im Bereich des Storytellings zurzeit noch viel ausprobiert und experimentiert. Es taucht zum Beispiel die Frage auf, wie es gelingen kann, dass die Nutzerin oder der Nutzer der Brille in der virtuellen Welt genau auf ein Moment aufmerksam wird und nicht ganz woanders hinschaut? Claudia Kiani berichtet: „Es gibt noch nicht viele Standards, wir müssen uns immer wieder noch Dinge überlegen, aber genau das macht den Bereich so faszinierend.“ Hier ist es hilfreich, mehr über die menschliche Wahrnehmung und Informationsverarbeitung zu wissen.

Weil es noch viel Pioniergeist braucht, halten die VR-Agenturen gut zusammen. Sie alle müssen erst zeigen, was geht. Auch um sich einen Namen auf diesem Gebiet zu machen, unterstützt die Stadt Hamburg den Verein nextReality.Hamburg e.V., der sich als Netzwerk für Virtuelle Realität versteht. Neben Veranstaltungen und Events, dem Angebot des Netzwerkens und einem Informationspool für Unternehmen, Politik und Journalist*innen bietet der Verein eine Seite mit Jobangeboten im VR-Bereich, allerdings vor allem in der Entwicklung. Pendant zum Hamburger Verein ist der Virtual Reality Berlin-Brandenburg e.V., dessen Gründungsmitglied die Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf ist. Auch hier unterstützen unter anderem die Stadt Berlin und die Wirtschaftsförderung Brandenburg.

Mögliche Berufsoptionen

Aktuell ist die VR-Welt noch eine Nische, nicht viele verfügen über das notwendige Spezialwissen. Deshalb kann über viele Wege der Einstieg in diese Berufswelt gefunden werden, nicht nur im technischen Bereich. Denn es braucht auch Fachkräfte, die Konzepte für das Storytelling entwickeln sowie Menschen, die die riesige Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten anderen vermitteln. Hier können auch Akademiker*innen mit Marketing- oder konzeptioneller Erfahrung gefragt sein, aber auch Quereinsteiger*innen aus dem Foto- und Filmbereich sind willkommen.

An Hochschulen sind bereits grundständige und Master-Studiengänge zu finden, die sich mit digitalen Realitäten beschäftigen. Und natürlich gibt es Fort- und Weiterbildungen im Bereich VR: So bietet zum Beispiel die Internationale Hochschule (IU) die einen Monat dauernde Online-Weiterbildung „Augmented, Mixed und Virtual Reality“ an, mit der Möglichkeit der Förderung mit einem Weiterbildungsgutschein der Bundesagentur für Arbeit. Die Kursinhalte sind hier allerdings sehr technisch. Außerdem bieten verschiedene Agenturen VR-Workshops für Interessierte an.

Weitere Infos:
  • Infodienst-Trainee-Stellen Der Artikel ist im WILA Arbeitsmarkt erschienen. Neben den Artikeln im Online-Magazin bietet das Abo-Produkt mehrere hundert ausgewählte aktuelle Stellen pro Wochen – von Montag bis Freitag aktualisiert und handverlesen speziell für Akademiker*innen mit einem generalistischen Studienhintergrund.
  • Die Abonnentinnen und Abonnenten erhalten durch den redaktionellen Teil und die Stellen-Datenbank einen breiten und dennoch konkreten Überblick über derzeitige Entwicklungen in Berufsfeldern und Branchen, können sich anhand der ausgewählten Jobs beruflich orientieren und bleiben so bei der Jobsuche am Ball. Unsere Erfahrung: Viele Abonnent*innen stoßen auf Tätigkeiten, die sie gar nicht auf dem Schirm hatten.

Weitere WILA-Angebote