„Zur Klimarettung braucht es viele“
Erneuerbare Energie und neue Methoden: Wir brauchen den Wandel, das ist offensichtlich. Dazu gehört es auch mehr qualifizierte Fachkräfte zu finden und einzustellen.

„Zur Klimarettung braucht es viele“

Wir brauchen die Energiewende, aber die Fachkräfte fehlen. Das öffnet Türen für Quereinsteiger*innen. Der Bundesverband Erneuerbare Energie setzt sich auch für die Fachkräftequalifizierung ein.

Interview: Elisabeth Werder

Simone Peter ist Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie und promovierte Mikrobiologin. Foto: BEE

WILA Arbeitsmarkt: Wie läuft es mit der Energiewende im Jahr 2022?
Simone Peter: Im ersten Halbjahr 2022 lag der Anteil der Erneuerbaren Energien am Brutto-Stromverbrauch in Deutschland bei etwa 49 Prozent. Hier könnten wir schon weiter sein, wenn die Politik nicht massiv auf die Bremse gedrückt hätte – leider verbunden mit dem Verlust von über 100.000 Jobs in der Branche. Die Wärmewende ist ebenso wie die Energiewende bei der Mobilität ein Stiefkind geblieben.

Der Anteil Erneuerbarer lag Ende 2021 bei 16,5 Prozent (Wärme) beziehungsweise 6,8 Prozent (Verkehr). Dafür zahlen wir heute – wegen großer Abhängigkeit von fossilen Energieimporten – einen hohen Preis. Die Kosten- und Versorgungskrise der fossilen Energieträger, verstärkt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, lastet schwer auf Wirtschaft und Gesellschaft.

Gleichen wir diesen Ist-Zustand mit den Klimaschutzzielen ab, wo stehen wir dann?
Mit dem derzeitigen Tempo werden wir unsere Klimaziele deutlich verfehlen. Die Ampelregierung steht deshalb vor einer immensen Aufgabe. Diese ist nochmals gewachsen mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Neben Übergangslösungen wie der Diversifizierung der Erdgas-Lieferländer und der Reaktivierung von Kohlekraftwerken muss es aber vor allem um die Entfesselung der Erneuerbaren Energien gehen. Deshalb muss die Ampel nun innerhalb von wenigen Monaten nicht nur die Versäumnisse von vielen Jahren aufholen, sondern die Energiesouveränität durch heimische Erneuerbare Energien organisieren.


 
„Auch der Fachkräftemangel stellt ein Problem dar, das dringend behoben werden muss.“
 

 

Wie könnte das gelingen?
Mit dem Mix aus Sonnen- und Windenergie, Biomasse (auch zunehmend aus Abfall- und Reststoffen), Wasserkraft sowie Erd- und Umweltwärme, die intelligent miteinander vernetzt und durch Speicher und Grünen Wasserstoff flankiert sind, schaffen wir ein modernes, zukunftsfähiges Energiesystem, das die Bezahlbarkeit von Energie und den Standort sichert und auch gegen die Klimakrise wirkt.

Das Osterpaket der Bundesregierung hat eine neue Dynamik ausgelöst, muss aber im Herbst nochmals nachgebessert werden, um schneller zu wirken. Dabei muss auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die globale Coronakrise Lieferketten unterbrochen hat und die Inflation Preise treibt. Auch der Fachkräftemangel stellt ein Problem dar, das dringend behoben werden muss.

Welche Folgen haben diese Umstände für den Arbeitsmarkt?
Der politische Rahmen und der Krieg in der Ukraine haben einen Run auf Alternativen zu fossilen Heizkesseln, auf Photovoltaik und auf Beteiligungen an Bürgerenergiegenossenschaften und Beteiligungsprojekte vor Ort ausgelöst. Deshalb gibt es einen riesigen Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften. Die Jobchancen sind gerade auch für Quereinsteiger*innen und Arbeitnehmer*innen aus anderen Branchen sehr gut. Nach dem Verlust von über 100.000 Jobs, überwiegend in den Branche Wind und Solar, aber auch Bioenergie, arbeiten heute rund 300.000 Menschen in der Erneuerbare-Energien-Branche.


 
„Die Geografin von heute ist die Klimaretterin von morgen. Und zur Klimarettung braucht es viele!“
 

 

Welche Fachkräfte sind derzeit gefragt?
Die Branche bietet ein breites Spektrum an Arbeitsplätzen. Von Handwerkern für den Heizungsaustausch und die PV-Anlagen-Montage über Servicetechnikerinnen und Kundenmanager. Auch für Akademiker*innen gibt es viele Berufsmöglichkeiten, beispielsweise als Projektmanagerinnen, Flächenakquisiteure, Bauleiterinnen oder Windgutachter. Häufig helfen ein persönlicher Bezug zum Thema und Praxiserfahrung. Die Geografin von heute ist die Klimaretterin von morgen. Und zur Klimarettung braucht es viele!

Was ist für den Ausbau des Sektors sonst noch nötig?
Wir brauchen vor allem verlässliche Rahmenbedingungen. Hürden und Nachteile müssen abgebaut und Investitionen in fossile Energien umgehend beendet werden. Und es braucht eine Offensive für die Fachkräftequalifizierung. Unsere Maßnahmenvorschläge umfassen die finanzielle Unterstützung des Aufbaus von Aus- und Weiterbildungskapazitäten, die energiewendekompatible Ausgestaltung von Ausbildungsordnungen, Schulungsentschädigungen, ein Handwerkerbonus für qualifizierte SHK-Unternehmen, sowie eine umfassende Industriestrategie, die nicht nur neue Möglichkeiten der Anlagenproduktion umfasst, sondern auch Probleme wie Lieferketten, Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz- und -sicherung adressiert.

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