Vom Krieg zum Frieden
Versöhnung: Ein wichtiges Ziel, was den meisten nicht immer leicht fällt zu erreichen. Die Versöhnungsforschung beschäftigt sich mit den wichtigsten Fragen und Prozessen rund um das Thema.

Vom Krieg zum Frieden

Wann gelingt eine Versöhnung, wann scheitern die Prozesse? Wie lassen sich gute Beziehungen aufbauen? Diesen Fragen geht Martin Leiner am Zentrum für Versöhnungsforschung nach – zusammen mit verschiedenen Expert*innen.

Interview: Janna Degener-Storr

Prof. Dr. Martin Leiner ist Gründer und Direktor des Jena Center for Reconciliation Studies (JCRS). Foto: privat

WILA Arbeitsmarkt: Seit wann gibt es einen eigenen Forschungszweig, der sich der Frage der Versöhnung widmet?
Prof. Dr. Martin Leiner: Die Versöhnungsforschung ist erst in den 1990er Jahren als Antwort auf die Versöhnungsprozesse entstanden, die in Südafrika, Ruanda und Nordirland stattfanden. Sie hat das Ziel, die Bedingungen zu erforschen, warum solche Prozesse gelingen oder nicht. Seitdem ist die Forschungsrichtung immer weitergewachsen und hat sich in immer mehr Ländern etabliert, etwa in den USA, in Großbritannien, Nordirland, Südafrika, Deutschland, Japan, Südkorea und Israel.

Was ist der kleinste gemeinsame Nenner solch unterschiedlicher Versöhnungsprozesse?
Wir beschäftigen uns sowohl mit zwischenstaatlichen als auch mit innerstaatlichen Versöhnungsprozessen, wobei alle Ebenen beteiligt sind: die individuellen, die zwischenmenschlichen wie die institutionellen. Die Frage, die uns dabei immer beschäftigt, ist: Auf welchen Wegen kommt man dazu, wieder gute, vertrauensvolle und kooperative Beziehungen zueinander aufzubauen?


 
„Ein anderer Punkt ist, dass Versöhnung langen Atem braucht.“
 

 

Worauf kommt es an, damit Versöhnung gelingen kann?
Entscheidend ist oft, wie man mit Geschichte umgeht. Eine andere Frage ist, ob Menschen aufgrund von Traumatisierungen noch nicht offen für Versöhnungsprozesse sind. Auch politische Propaganda kann Menschen daran hindern, sich aufeinander zu zubewegen. Manchmal muss Versöhnung auch erst – wie im Fall von Südafrika – zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema werden. Ein anderer Punkt ist, dass Versöhnung langen Atem braucht. Die deutschen Versöhnungspolitiken mit Frankreich, Israel oder Polen nach dem Zweiten Weltkrieg waren so erfolgreich, weil sie eine Konstante der Außenpolitik waren, die auch nach Regierungswechseln nicht zur Disposition gestellt wurden.

Wodurch unterscheidet sich die Versöhnungsforschung von der Friedensforschung?
Versöhnungsforschung ist ein neuer Ansatz in der Friedens- und Konfliktforschung. Sie unterscheidet sich unter anderem von der traditionellen Friedens- und Konfliktforschung durch den transdisziplinären Ansatz. Im
Allgemeinen arbeiten wir mit einem weiteren, soziologischen Begriff von Konflikt und sehen Konflikte als positive Entwicklungsressourcen für Gesellschaften. Die Kulturanthropologie lehrt uns zum Beispiel viel darüber, wie unterschiedliche Kulturen Konflikte bereinigen.

Psychologen sind wichtig, wenn es um die Gefühle und Verhaltensweisen von Menschen in Konflikten geht. Die Medienwissenschaften zeigen uns, wie Menschen im Internet auf politische Ereignisse reagieren. Kunst ist wichtig, um Konfliktdynamiken zum Ausdruck und in Fluss zu bringen. Und Religion ist eine Ressource, die Konflikte einerseits verschärfen, andererseits aber auch einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Versöhnung leisten kann.


 
„ […] es geht häufig noch viel zu sehr um die Frage, wer den Prozess gewinnt, und viel zu wenig darum, wie sich gute Beziehungen herstellen lassen.“
 

 


In welchen Feldern können Versöhnungsforscher*innen außerhalb der Wissenschaft arbeiten?
Absolventen arbeiten in überstaatlichen und staatlichen Organisationen, in religiösen Einrichtungen oder NGOs, etwa in der Entwicklungszusammenarbeit. Auch im Recht kann Versöhnungsforschung einen wichtigen Beitrag leisten. Denn hier geht es häufig noch viel zu sehr um die Frage, wer den Prozess gewinnt, und viel zu wenig darum, wie sich gute Beziehungen herstellen lassen.

In der Wirtschaft kommt es ebenso entscheidend auf erfolgreiche Versöhnungsprozesse an. Auf Dauer ist es das Beste für Unternehmen, wenn sich die Mitarbeiter untereinander vertrauen und miteinander kooperieren. An der Universität von Jordanien arbeiten unsere Partner daran, durch eigens entwickelte Apps Konflikte im Vorfeld zu entschärfen und zur Deradikalisierung beizutragen.

Was motiviert Sie persönlich, in der Versöhnungsforschung zu arbeiten?
Ich habe immer das Gefühl, etwas Neues zu tun, das den Menschen Hoffnung bringt. Ich erlebe tagtäglich, dass Konflikte nicht nur ein Störfaktor sind, sondern eine Entwicklungsressource. Es ist möglich, auch aus schwierigen Konflikten herauszukommen. Die Beschäftigung mit diesem Thema verändert mich auch persönlich. Denn ich habe viele großartige Menschen kennengelernt, die ihren Tätern Verständnis entgegenbringen und versuchen, ihnen wieder die Hand zu reichen. Und ich habe auch Täter kennengelernt, die sich aufmachen, um sich zu verändern. Davon kann ich viel lernen und ein versöhnlicherer Mensch werden.

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