Für mehr Sichtbarkeit
Gemeinsam stark im Verband (13): Die Stoffentwicklung ist ein Gewerk, das oft im Hintergrund bleibt, aber wichtig ist. Der Verband für Film- und Fernsehdramaturgie (VeDRA) fordert mehr Geld und mehr Anerkennung.
Text: Annika Voßen
Was für ein riesiges Gemeinschaftsprojekt ein Film oder eine Serie ist, fällt einem vor allem beim Abspann auf. Minutenlang werden da manchmal die Namen der Beteiligten aufgelistet. Zu diesen gehören nicht nur Autor, Regisseurin, Schauspieler*innen oder Filmkomponist, sondern auch die Berufsbilder der sogenannten Stoffentwicklung. Dass die Namen aus diesem Bereich nun ebenfalls vermehrt genannt werden, ist auch das Verdienst des Verbands für Film- und Fernsehdramaturgie (VeDRA).
„Wir haben uns mit unserer Credit Initiative bemüht, dass Dramaturg*innen und Stoffentwickler*innen auch als solche gecreditet werden, also auch ihre Namen fallen im Abspann. Damit kommen sie zu dem Credit, der ihnen zusteht. Das ist ja für jede*n auch ein Nachweis und eine Würdigung der eigenen Arbeit“, erklärt Linda Friese. Sie ist seit Februar 2022 im Vorstand des Verbands und hier ehrenamtlich verantwortlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Wer Mitglied im Berufsverband VeDRA werden möchte, muss – wie in einem Berufsverband üblich – nachweisen können, dass er oder sie auch beruflich in dem Feld tätig ist. Ob haupt- oder nebenberuflich ist egal, allerdings sollten Mitglieder ihren beruflichen Schwerpunkt in der Stoffentwicklung planen.
Es können aber auch Studierende beitreten, die schon in der Stoffentwicklung arbeiten. So hat es auch Linda Friese gemacht, die während ihres Kulturwissenschaftsstudiums bei einem Filmverleih als Lektorin gearbeitet hat – anders als in einem Verlag liegt der Schwerpunkt hier auf der Kurzanalyse eines Stoffs, also unter anderem der marktwirtschaftlichen Einschätzung eines Drehbuchs.
Die Zugänge in die Branche sind sehr unterschiedlich, es gibt kein klassisches Studienbild, auch wenn die meisten einen geisteswissenschaftlichen Studienhintergrund haben. Wichtig sind eher die praktischen Erfahrungen, dass man Leute kennenlernt, in Produktionsfirmen arbeitet. Da reinzukommen, ist natürlich einfacher, wenn man etwas mit Medien studiert hat, erläutert Linda Friese.
Aber man könne hier auch als Biologe den Jobeinstieg schaffen, wenn man praktische Erfahrung sammelt, sich gut vernetzt, Hospitanzen macht und guckt, wo Dramaturginnen arbeiten oder Stoffentwickler. „Die Stoffentwicklung ist recht quereinsteigerfreundlich, wie die Filmbranche generell.“
Was man auf jeden Fall mitbringen sollte, ist natürlich dramaturgisches Wissen. Sinnvoll ist es auch, sich auf Branchenseiten wie Blickpunkt Film oder die Seite DWDL.de über aktuelle Entwicklungen zu informieren. Hinzu kommen entscheidende Soft Skills: „Gerade als dramaturgische Beratung ist es wichtig, dass man sehr empathisch ist, gut auf andere Leute eingehen kann, dass man Gespräche moderieren kann. Es geht ja auch ganz viel darum, zwischen Produktion und Autor*innen zu vermitteln und da einen gemeinsamen Weg zu finden.“
Festanstellungen nehmen zu
Die meisten Fachkräfte im Bereich Stoffentwicklung sind freiberuflich unterwegs, aber die Anzahl an Festanstellungen nimmt laut Linda Friese zu. „Im dramaturgischen Bereich ist es üblicher, eher freiberuflich tätig zu sein – gerade als dramaturgische*r Berater*in oder Script Consultant. Dann wird man von einer Produktionsfirma oder von anderer Seite auftragsweise angeheuert. Es gibt aber tatsächlich vermehrt Festanstellungen als Consultant. Zu unserem Verband zählen allerdings auch Festangestellte, die die Lektoratsabteilung leiten, die für Development zuständig sind, die bei Verleihern arbeiten, bei Förderanstalten und Sendern oder auch in Lehrtätigkeiten, da gibt es ja auch Festanstellungen, an der Filmhochschule oder auch in der Weiterbildung.“
Der Arbeitsmarkt ist in der Branche gerade im Umbruch: zum einen ist da der anhaltende Serienboom seit einigen Jahren. Und zum anderen wird auch auf Social Media Plattformen immer mehr Content produziert, berichtet Linda Friese. „Die Öffentlich-Rechtlichen haben zum Beispiel Funk als Plattform. Es gibt immer mehr Bereiche, in denen Stoffentwicklung wichtig wird. Aber man kann immer noch sagen, dass in der Stoffentwicklung zu wenig Geld drin steckt, es ist schon eher ein kleiner Arbeitsmarkt.
Deswegen gibt es uns ja als Verband auch. Wir wollen das ändern. Wir wollen mehr Aufmerksamkeit auf das Gewerk lenken, zeigen, wie wichtig Stoffentwicklung ist, gerade im Bereich Film.“ Es werde immer viel über den deutschen Film geschimpft. Wenn man das aber wirklich ändern und verbessern wollte, sei es ganz wichtig, dass man mehr Zeit und Geld in die Stoffentwicklung steckt, sodass der deutsche Film auch international einen höheren Marktanteil bekomme.
Aber natürlich beeinflusst auch die Coronapandemie die Branche. Weniger im wirtschaftlichen Sinne – die Drehbedingungen wurden inzwischen an Corona angepasst, das Geschäft geht weiter. Es können auch wieder neue Stoffe entwickelt werden. Aber wie viele Bereiche ist auch die Stoffentwicklung im „Homeoffice-Struggle“, wie Linda Friese es nennt. „Das Geschäft beruht sehr auf dem persönlichen Austausch, darauf, dass man sich trifft. Corona hat uns vor Augen geführt, wie wichtig spontane Begegnungen sind, ihr Fehlen hat die Kreativität erschwert. Natürlich kann man Brainstorming auch per Zoomcall machen, aber das ist schwieriger, man muss erstmal neue Tools wie zum Beispiel virtuelle Whiteboards erlernen.“
Weitererzählen auf Social Media
Hinzu kommt, dass die Pandemie den Fokus weg vom Kino noch weiter in Richtung Streaming und neue Plattformen verschoben hat. Um hier am Ball bleiben zu können, muss man die neuen Plattformen kennen, verstehen, wie Dramaturgie auf anderen Plattformen funktioniert – das Thema liegt der Kulturwissenschaftlerin, die als Senior-Redakteurin in einem Digital Studio arbeitet, sehr am Herzen. „Wir machen Online-Content auf Plattformen wie Instagram, Tiktok und Snapchat. Das ist also ein sehr persönliches Thema, das ich in den Verband zu tragen versuche und womit ich da auch auf offene Ohren stoße.“
Es gehe darum, wie man eine jüngere Zielgruppe erreicht, die kein lineares Fernsehen mehr guckt und auch nicht unbedingt ins Kino geht. „Wenn man diese Zielgruppe langfristig erreichen will, muss man verstehen, was sie beschäftigt, was sie gerne mag und wie sie Content konsumiert – egal ob Film, Serie oder Social Media-Serie. Wenn man versteht, wie sie diesen kurzen Content auf Tiktok konsumiert, kann man besser verstehen, wie man Langfilme konzipieren müsste, damit die auch diese Zielgruppe interessiert. Sei es, dass man Social Media als Thema mit einbaut, um die Lebensrealität abzubilden, oder auch, indem man dramaturgische Prinzipien anwendet: man kann ja zum Beispiel auch fiktionale Sachen auf Social Media erzählen.“
Die Herangehensweise ist hier anders als bei der klassischen Dramaturgie, und das sollte man auch verstehen, wenn man in der Stoffentwicklung am Ball bleiben will, so Friese. Der Film oder die Serie bekommt eine Ergänzung oder Verlängerung in den Social Media Bereich – die Figur hat dann zum Beispiel ein eigenes Instagram-Profil. „Online kann man so noch Hintergrundgeschichten erzählen, das ist viel immersiver, es fließt in den eigenen Alltag der Zuschauer*innen ein, wenn bei Instagram Storys aus fiktionalen Serien auftauchen. Das war vor zehn Jahren noch nicht denkbar.“
Neue Trends
Weitere neue Trends in der Stoffentwicklung sind im Audiobereich ein wachsender Markt für fiktionale Geschichten – auch hier ist Storytelling gefragt – und vor allem bei Serien die Etablierung sogenannter Writers‘ Rooms. „Kollaboratives Arbeiten ist nicht neu, wird aber immer üblicher aufgrund des Serienbooms. Hier schreiben mehrere Autor*innen zusammen an einer Serie und plotten zusammen, überlegen sich also zusammen den großen Rahmen einer Geschichte. Jede*r schreibt eine Folge und bekommt dann von den anderen Feedback“, erläutert Friese.
Themen wie diese bestimmen auch den Fachnewsletter „Wendepunkt“ des Verbands oder die Panels der Tagung „Filmstoffentwicklung“. Bei beiden können sich Verbandsmitglieder einbringen, Veranstaltungen organisieren, Panels moderieren oder auch eigene Themen setzen. Auch in Arbeitsgruppen können sich die VeDRA-Mitglieder engagieren oder in Stammtischen austauschen zu verschiedenen aktuellen Themen.
Der Vorteil dieser Vernetzung kann natürlich letztlich auch ein neuer Auftrag sein. „Wir planen im Verband nun ein neues Mentoringprogramm auch für jüngere Mitglieder anzubieten. Das ist ein wichtiges Projekt dieses Jahr. Die Idee ist, dass erfahrenere Mitglieder aus dem Verband mit Jüngeren ihr Wissen teilen und ihnen auf dem Weg in den Beruf weiterhelfen.“
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