Ü67, na und?
Nicht jede*r Arbeitnehmer*in fiebert der Rente entgegen. Im Gegenteil: Die Zahl derer, die bezahlt weiterarbeiten wollen, steigt. Welche Möglichkeiten stehen Fachkräften im Rentenalter offen?
Text: Stefanie Schweizer
2020 wurden deutschlandweit rund 1,7 Millionen Rentenanträge gestellt. Doch viele Arbeitnehmer*innen denken überhaupt nicht daran, in Rente zu gehen. Das zeigen Untersuchungen, wie sie die Gerontologin Dr. Laura Naegele an der Universität Vechta durchführt: „Wir haben in den letzten 20 Jahren gesehen, dass immer mehr Menschen im Rentenalter arbeiten. Es gibt über eine Million Personen, die über 65 Jahre sind und einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Hierzu zählen neben den erwerbstätigen Rentner*innen auch diejenigen, die bereits unter die neue Altersgrenze von 67 fallen sowie Selbstständige, die bis ins Rentenalter und darüber hinaus arbeiten.“ Doch nicht immer ist der Wunsch nach Arbeit im Alter freiwillig;
Altersarmut ist nach wie vor einer der Gründe, das Arbeitsleben über die 64,2 hinauszuziehen – das Alter, indem laut Statista im Jahr 2020 Arbeitnehmer*innen durchschnittlich in Rente gingen. „Viele Menschen haben non-monetäre Gründe. Sie möchten geistig fit bleiben, haben Spaß an der Sache und am Austausch mit jungen Kolleg*innen“, erklärt Naegele. In einer Studie hat die Wissenschaftlerin untersucht, welche Gründe häufig in Kombination genannt werden: „Niedrig Qualifizierte und Frauen sagen in der Regel, dass Geld auch eine Rolle bei der Entscheidung spielt, aber eben nicht ausschließlich.“
Einfach weiterarbeiten
Fachkräfte im Rentenalter, die ihre Erwerbstätigkeit noch nicht aufgeben möchten oder können, haben verschiedene Optionen. Zum einen besteht für sie prinzipiell die Möglichkeit, einfach weiterzuarbeiten. „Immerhin knapp 50 Prozent der befragten älteren Beschäftigten können sich vorstellen, ihre Erwerbstätigkeit bis in die Rente zu verlängern. Im Schnitt möchten Sie dann circa 18 Stunden an zwei Tagen arbeiten“, erklärt Naegele. Allein das Erreichen des Renteneintrittsalters hat aus arbeitsrechtlicher Sicht keine Folgen für den Kündigungsschutz, wenn das Arbeitsverhältnis bereits über sechs Monate besteht und der Betrieb regelmäßig mehr als zehn Beschäftigte hat.
Wichtige Gesetze sind an dieser Stelle § 41 S.3 SGB VI sowie das KschG. Eine Kündigung wegen Alters ist Ageism, also Altersdiskriminierung. Wurden allerdings im Tarif- oder Arbeitsvertrag, in einer Betriebsvereinbarung oder in anderer Form abweichende Regelungen festgehalten, wie dass ein Arbeitsverhältnis mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze endet, haben diese Gültigkeit. Ist dies der Fall, sollten Fachkräfte, die über das Rentenalter hinaus in ihrem Job bleiben wollen, das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen und die Beendigung hinausschieben – und zwar noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses.
„Wer von uns keine Rente bekommt, kann natürlich unbegrenzt Gehalt verdienen“, erklärt Andrea Zandt von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg. Eine weitere Möglichkeit stellt der Bezug von Rente vor oder im Regeleintrittsalter mit Hinzuverdienst auf Teilzeit- oder Minijobbasis dar. „Aktuell ist es so, dass man vor der Regelaltersgrenze, die in Stufen auf 67 Jahren steigt, die Hinzuverdienstgrenze beachten muss. Im Jahr 2022 beträgt die Grenze bei vorgezogenen Altersrenten 46.060 Euro“, so Zandt.
Im Jahre 2023 solle die Grenze nach aktuellem Stand wieder auf 6.300 Euro pro Kalenderjahr sinken. Laut Koalitionsvertrag der Ampelparteien soll allerdings die erhöhte Hinzuverdienstgrenze beibehalten werden. Erreichen Arbeitnehmer*innen die Regelaltersgrenze, beantragen Rente, aber arbeiten weiter, sind sie versicherungsfrei und dürfen unbegrenzt hinzuverdienen.
Rente hat Schutzfunktion
Bei körperlicher und psychischer Gesundheit kann es durchaus guttun, auch im
Rentenalter weiterhin erwerbstätig zu sein: „Arbeit hat in unserer Gesellschaft auch eine soziale Funktion. Man fühlt sich als Teil der Gesellschaft. Und das macht etwas mit der eigenen Selbstwahrnehmung“, so Naegele.
Zwar sei der Gedanke, dass die Erwerbstätigkeit einen Menschen zum Teil einer Gesellschaft werden lässt, stark kapitalistisch geprägt, als problematisch sieht ihn die Gerontologin aber vor allem dann an, wenn ein gesellschaftlicher Druck entstünde, im Ruhestand zu arbeiten: „Active Ageing fußt auf der Idee, dass man selbst in Rente die Zeit aktiv gestaltet, zum Beispiel mit einem Ehrenamt oder einer Teilzeitbeschäftigung. Dieser Ansatz wird kritisiert, weil es nicht berücksichtigt, dass Menschen durch Krankheit, ungleiche Bildungschancen oder Care-Arbeit dieser normativen Vorstellung des aktiven Alterns nicht immer nachkommen können.“
Wertvolles Potenzial nutzen
Jedoch spricht sich Laura Naegele dafür aus, dass mehr ältere Menschen aus freien Stücken über das Rentenalter hinaus arbeiten: „Das ist beim aktuellen Fachkräftemangel wichtig, damit das jahrelange Erfahrungs- und Prozesswissen, das ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf sich vereinen, nicht verloren geht. Die Idee, dass die Karrierewege für Jüngere verstopfen, weil Ältere ihre Posten nicht aufgeben, hinkt. Dass eine jüngere Person einfach eine ältere ersetzt und dann hochrutscht, das ist in der Praxis sehr selten möglich.“
Insofern können auch Nachwuchskräfte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern profitieren, die über das Rentenalter hinaus tätig sind. Im Übrigen ist das auch ein sehr gutes Argument, wenn es darum geht, den Chef oder die Chefin vom eigenen Wert für das Unternehmen zu überzeugen – selbstverständlich auch über die 67 hinaus.
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