Bedeckt halten! Herausforderungen der Masken
In der Bahn, im Supermarkt und im Büro - Masken tragen ist für uns Alltag. Dadurch können verschiedene Herausforderungen für Arbeitnehmer*innen entstehen.

Bedeckt halten! Herausforderungen der Masken

Wie wirkt sich die Coronapandemie auf den Arbeitsalltag aus? Das haben Prof. Dr. Hajo Holst und die Soziologin Agnes Fessler von der Universität Osnabrück untersucht.

Interview: Stefanie Schweizer

Prof. Dr. Hajo Holst forscht im Bereich Wirtschafts-, Organisations- und Arbeitssoziologie. Foto: Universität Osnabrück / Elene Scholz

WILA Arbeitsmarkt: Sie haben seit Pandemiebeginn über 20.000 Arbeitnehmer*innen befragt und über 100 Interviews geführt, um herauszufinden, wie sich die Coronapandemie auf den Arbeitsalltag auswirkt. Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht?
Prof. Dr. Hajo Holst: Uns hat am meisten überrascht, wie stabil die beruflichen Ungleichheiten in den Auswirkungen im Pandemieverlauf sind. Nehmen wir als Beispiel die beiden sogenannten ‚harten Lockdowns‘ aus dem Frühjahr 2020 und dem Frühjahr 2021: Es hat sich kaum etwas an den Ungleichheiten bezüglich des Infektionsrisikos und der wirtschaftlichen Lasten sowie am ungleichen Zugang zum mobilen Arbeiten geändert.

Weiterhin sind es vor allem Ausbildungsberufe und Anlerntätigkeiten, die deutlich stärker von Ansteckungssorgen, unzureichenden Schutzmaßnahmen, Verdienst-einbußen und Zukunftsunsicherheit betroffen sind, während viele Beschäftigte in akademischen Berufen ins Homeoffice gewechselt sind. Dass diese Ungleichheiten nach einem Jahr Pandemie in unveränderter Weise existieren und sich bei den besonders belasteten Berufen kaum Verbesserungen ergeben haben, wird häufig von Arbeitnehmer*innen als Beleg für die fehlende Anerkennung der eigenen Arbeit und zum Teil auch als Angriff auf die Würde als Mensch gesehen.


 
„Es gibt offensichtlich Arbeitgeber*innen, die ihre Arbeitnehmer*innen anweisen, eine Maske zu tragen, um kostenintensivere Schutzmaßnahmen [...] nicht umsetzen zu müssen.“
 

 

Inwiefern spielte der medizinische Mund-Nasen-Schutz in Ihren Befragungen eine Rolle?
Hajo Holst: Einerseits ist der Mund-Nasen-Schutz bei einem durch Aerosole übertragbaren Virus eine wichtige und effektive Schutzmaßnahme, insbesondere in geschlossenen Räumen. Vor allem im Gesundheitswesen ist das Maskentragen weit verbreitet und unseren Ergebnissen nach auch bei den meisten akzeptiert. Andererseits ist das Tragen einer Maske, gerade über lange Zeiträume, natürlich eine zusätzliche Belastung. In unseren Befragungen haben wir uns auch die Verbreitung von Schutzmaßnahmen im Zeitverlauf angeschaut.

Dabei zeigt sich, dass das sogenannte TOP-Prinzip des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, also technische, organisatorische sowie personenbezogene Maßnahmen, in der Pandemie offensichtlich in vielen Unternehmen unterlaufen wird. Das stärkste Wachstum der Schutzmaßnahmen weisen nämlich nicht technische oder organisatorische Schutzmaßnahmen auf, sondern der Mund-Nasen-Schutz als personenbezogene Maßnahme. Es gibt offensichtlich genügend Arbeitgeber*innen, die ihre Arbeitnehmer*innen anweisen, eine Maske zu tragen, um andere, kostenintensivere Schutzmaßnahmen wie eine verbesserte Belüftungsanlage oder den Einbau von Trennwänden nicht umsetzen zu müssen.

Wirtschaftssoziologin Agnes Fessler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Osnabrück. Foto: Julia Meyer

Für welche Berufsgruppen stellt das Tragen der Maske im Arbeitsalltag eine besondere Herausforderung dar?
Agnes Fessler: Wie viele Schutzmaßnahmen wird auch der Mund-Nasen-Schutz in verschiedenen Berufen auf sehr unterschiedliche Weise erlebt. Es macht eben einen Unterschied, ob ich in meiner Arbeit direkten Kontakt mit Menschen habe oder ob ich eine Maske tragen muss, weil mein Arbeitgeber andere Maßnahmen nicht umsetzen will.

Unser Eindruck ist: In den Gesundheitsberufen ist die Maske akzeptiert und sorgt auch für relativ wenig Konflikte. Anders sieht es in vielen Erziehungs-, Unterrichts- und Sozialberufen aus, in der der Mund-Nasen-Schutz die verbale und emotionale Kommunikation einschränkt.

 

 
„Zwei Herausforderungen finden sich besonders häufig: eingeschränkte Ausdrucksmöglichkeiten und fehlende Möglichkeiten für Maskenpausen.“
 

 

Was genau macht es für manche Fachkräfte so schwierig, eine Maske im Job zu tragen?
Agnes Fessler: Zwei Herausforderungen finden sich besonders häufig: eingeschränkte Ausdrucksmöglichkeiten und fehlende Möglichkeiten für Maskenpausen. In vielen Sozial- und Erziehungsberufen spielt die non-verbale Kommunikation mit Mund und Augen eine wichtige Rolle für den Aufbau einer Vertrauensbeziehung. Ein Erzieher aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie hat uns im Interview gesagt: ‚Mein Gesicht ist mein Instrument.‘ Zugespitzt muss er sich zwischen Infektionsschutz und dem Aufbau einer Vertrauensbeziehung entscheiden.

Eine weitere Herausforderung liegt in der Belastungssteuerung durch sogenannte Maskenpausen. Besonders trifft das natürlich auf FFP2-Masken zu, für die der Arbeitsschutz sogar formal Erholungszeiten vorsieht. In den Interviews berichten Arbeitnehmer*innen immer wieder davon, dass sie kaum Gelegenheit haben, eine Maskenpause einzulegen – entweder, weil ihnen keine Zeit zur Verfügung gestellt wird oder weil es schlicht an den räumlichen Möglichkeiten fehlt.


 
„Die Maske ist auch ein Symbol, das die politischen Konflikte über den richtigen gesellschaftlichen Umgang mit der Coronapandemie in die Betriebe trägt.“
 

 

Welche Schwierigkeiten ergeben sich in der Zusammenarbeit zwischen Kolleg*innen mit dem Tragen der Maske auf der Arbeit?
Hajo Holst: Die Maske ist auch ein Symbol, das die politischen Konflikte über den richtigen gesellschaftlichen Umgang mit der Coronapandemie in die Betriebe trägt. Wir alle kennen das aus dem Supermarkt: Es gibt immer wieder Kund*innen, die die Maske demonstrativ unter dem Kinn oder in der Jackentasche tragen. Während die Begegnungen im Supermarkt nur flüchtig sind, müssen sie mit ihren Kolleg*innen im Büro häufig stundenlang zusammenarbeiten.

Die demonstrative Zurschaustellung der Maskenablehnung führt zu Unbehagen und Konflikten, die unter gleichgestellten Kolleg*innen nur schwer zu lösen sind. Kaum jemand möchte täglich in der Erwerbsarbeit über den Sinn und Unsinn der politischen Pandemiebekämpfung diskutieren. Hier sind die Arbeitgeber gefordert, den Infektionsschutz am Arbeitsplatz sicherzustellen und für die Umsetzung der Maßnahmen zu sorgen.

Ein freundliches Lächeln in der Kantine oder beim Teammeeting sind in manchen Berufen gerade aufgrund der Maske selten. Was verändert sich im Umgang untereinander, wenn Teile des Gesichts bedeckt sind?
Agnes Fessler: Gerade in Berufen, in denen neben der verbalen auch die emotionale Kommunikation wichtig ist, gewinnen die Augen an Bedeutung. Von mehreren Interviewpartner*innen haben wir gehört, dass die ‚Augen lächeln können‘. Wenn das Lächeln zum Beziehungsaufbau wegfällt, bleiben nur die Augen zur non-verbalen Kommunikation. Unser Eindruck ist, dass durch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes die Bedeutung von dem, was Soziolog*innen ‚Emotionsarbeit‘ nennen, noch zunimmt: Der gezielte Versuch, durch die Augen dem Gegenüber Emotionen zu vermitteln.


 
„Authentizität und Souveränität können auch über die Stimme, die Haltung und natürlich das Gesagte aufrechterhalten werden.“
 

 

Es gibt Situationen im Beruf, in denen das Auftreten einer Person besonders wichtig ist, beispielsweise in Gehaltsverhandlungen, im Bewerbungsgespräch oder in Konfliktsituationen. Was können Fachkräfte tun, um trotz Maske kompetent aufzutreten?
Agnes Fessler: Authentizität und Souveränität können auch über die Stimme, die Haltung und natürlich das Gesagte aufrechterhalten werden. Die Körpersprache gewinnt an Bedeutung, ebenso natürlich das gesprochene Wort, das weniger durch non-verbale Kommunikation eingehegt werden kann. Auch wenn es schade ist: Witze wollen genauer bedacht werden, weil sich Sprachspiele weniger mit gezielter Mimik einrahmen lassen. Außerdem können alternative Gesprächsformate wie das „Walk-and-Talk“ an der frischen Luft ohne Maske hier Abhilfe schaffen.

Auf was sollten Fachkräfte allgemein achten, um unter Kolleg*innen und mit Klienten und Klientinnen eine effektive Kommunikation zu ermöglichen?
Agnes Fessler: Wenn die Ausdrucksmöglichkeiten durch einen Mund-Nasen-Schutz begrenzt sind, spielt die gegenseitige Wertschätzung der Arbeit und als Mensch eine noch wichtigere Rolle. Wer sich seiner Rolle und der Akzeptanz des anderen sicher fühlt, kann mit der Unsicherheit, die das Nicht-Sehen von Teilen des Gesichts auslöst, souveräner umgehen. Außerdem lösen Offenheit und Transparenz viele Probleme, bevor sie aufgetreten sind. Je klarer Arbeitsaufträge, Erwartungen und Rechte kommuniziert werden, desto sicherer kann gearbeitet werden. Hier sollten Führungskräfte als Vorbild vorangehen.

Ein Gedankenspiel: Die Maske bleibt dauerhaft Teil unseres Lebens – könnte es sein, dass für zukünftige Generationen der Umgang mit der Maske so selbstverständlich wird wie das Tragen einer Jacke?
Hajo Holst: Das kann ich mir gut vorstellen, zumindest in bestimmten sozialen Situationen und zu bestimmten Zeiten. In der Coronapandemie hat sich ja auch gezeigt, dass das Maskentragen auch die Grippewelle abschwächt. Warum also in Zukunft, insbesondere wenn man Erkältungssymptome verspürt, nicht in Menschenansammlungen eine Maske tragen? In vielen ost-asiatischen Ländern ist das schon länger üblich. In Japan zum Beispiel tragen viele, wenn sie erkältet sind, in der U-Bahn oder am Arbeitsplatz einen Mund-Nasen-Schutz. Ich könnte mir vorstellen, dass sich diese Art der Rücksichtnahme auch in Zukunft in den Gesellschaften des globalen Nordens verbreitet.

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