Mammutaufgabe Pflege und Beruf
Für Berufstätige, die plötzlich privat eine Person pflegen müssen, heißt es oft: Im Job reduzieren oder sogar aussteigen. Ohne vertraglich Vorsorge bleiben nur unzureichende Hilfen.
Text: Stefanie Schweizer
Beruf und Pflege besser zu vereinen – das ist das Ziel des Pflegezeitgesetzes (PflegeZG). Für pflegende Arbeitnehmer*innen ist es die wichtigste Quelle, um sich über ihre Rechte und Pflichten zu informieren. Das Gesetz unterscheidet zwischen drei Modellen: die kurzfristige Arbeitsverhinderung, die Pflegezeit sowie die Familienpflegezeit.
Erstere ermöglicht Beschäftigten eine berufliche Auszeit von bis zu zehn Tagen. Die freie Zeit ist laut Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugendliche (BMFSFJ) dazu da, eine „bedarfsgerechte Pflege“ für eine akut aufgetretene Pflegesituation aufzubauen. Eine Lohnfortzahlung gibt es nur dann, wenn diese vertraglich mit dem Arbeitgeber vereinbart wurde. Ansonsten können Beschäftigte Pflegeunterstützungsgeld bei der Pflegekasse der oder des Angehörigen beantragen. Dieses beträgt laut Verbraucherzentrale 90 Prozent des ausgefallenen Nettoentgelts. Wer das in Anspruch nehmen möchte, muss den Arbeitgeber unverzüglich informieren.
Eigeninitiativ absichern
Während dieses Pflegeunterstützungsgeld allen zusteht, sind die Pflege- sowie die Familienpflegezeit an spezifische Bedingungen geknüpft: Fachkräfte in Unternehmen mit 15 oder weniger Beschäftigten haben keinen Anspruch auf Pflegezeit (PflegeZG §3, 1). Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts waren somit im Jahr 2019 im Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung immerhin fast 113.000 Personen nicht pflegezeitberechtigt.
Anspruch auf Familienpflegezeit haben laut Familienpflegezeitgesetz Mitarbeiter*innen von Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten (FPfZG §2, 1). Fachkräfte aus beispielsweise kleineren Start-ups sollten daher vor Antritt einer Stelle alternative Lösungen vertraglich festhalten. Das gilt auch für junge Beschäftigte, denn laut DAK Pflegereport 2021 gab oder gibt es bereits bei knapp einem Drittel der Befragten zwischen 16 und 39 Jahren einen Pflegefall in der Familie.
Sich der Unterstützung des Arbeitgebers sicher sein zu können, ist vor allem wichtig, wenn eine längerfristige Pflegesituation auftritt oder sogar Sterbebegleitung notwendig wird. Dann stehen Beschäftigten bis zu sechs Monate Pflegezeit zu – in Voll- oder Teilzeit. Diese muss zehn Tage vor Beginn beim Arbeitgeber schriftlich angekündigt werden.
Im Unterschied zur Pflegezeit können pflegende Berufstätige mithilfe der Familienpflegezeit ihre Wochenarbeitsstunden bis zu zwei Jahre lang auf 15 Stunden reduzieren. Eine vollständige Arbeitsbefreiung ist nur durch die Pflegezeit möglich. Um bei einer (Teil-)Auszeit vom Job Gehaltseinbußen auszugleichen, können pflegende Berufstätige beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) ein zinsloses Darlehen aufnehmen. Laut Verbraucherzentrale übernimmt das BAFzA bis zur Hälfte des eigentlich verdienten Lohns in Raten.
Nach der Rückkehr in Vollzeit zahlt die Fachkraft das Darlehen zurück – das heißt, sie arbeitet Vollzeit, erhält aber Teilzeitlohn. Dieses äußerst unattraktive Angebot nahmen laut Zeit Online bereits im Jahr 2015 nur 123 Personen in Anspruch. Gerechnet hätte die Politik mit mehreren Tausend. Denn vergessen werden darf nicht: Die berufliche Einschränkung aufgrund der privaten Pflege ist keine allzu freie Entscheidung wie manche betonen, da die Alternative oftmals die Unterbringung in einem Heim bedeutet. Wenn Menschen zu Hause pflegen, entlasten sie den Staat. Warum sollten sie sich das Geld für ihren Verdienstausfall nur leihen dürfen, anstatt für die Pflege bezahlt zu werden?
Versicherungsschutz prüfen
Wer jemanden pflegt, kann unter bestimmten Voraussetzungen Rentenpunkte sammeln. Der richtige Kontakt hierfür ist die Pflegekasse der oder des Angehörigen. Auch auf den Versicherungsschutz sollte geachtet werden: Laut Verbraucherzentrale sind pflegende Angehörige in
allen drei Modellen unabhängig vom Verdienst gesetzlich unfallversichert. Wer mehr als 450 Euro verdient, ist auch in der Pflege- oder Familienpflegezeit automatisch in Kranken-, Pflege- und Rentenkasse pflichtversichert. Bezüglich der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung besteht allerdings nur eine Absicherung, wenn diese vertraglich geregelt wurde.
Pflegenden Berufstätigen bleibt nur die Möglichkeit, sich freiwillig oder über die Familienversicherung der zu pflegenden Person versichern zu lassen. Letzteres gilt allerdings nicht für Paare, die in einer staatlich undokumentierten Beziehung leben, was laut Bundeszentrale für Politische Bildung im Jahr 2019 immerhin 6,5 Millionen Personen waren. Somit zeigen sich in den Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf immer wieder Lücken eines alten Systems, das dringend ein realistisches Update benötigt.
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