Eventbranche: „Hinfallen und wieder aufstehen“
Fachmesse, Konzerte oder Festivals: Während der Coronapandemie mussten viele Events abgesagt oder ins Digitale verlegt werden. Zudem sind auch viele Fachkräfte abgewandert.

Eventbranche: „Hinfallen und wieder aufstehen“

70 Prozent Umsatzverlust im Jahr 2020, dieses Jahr werden 56 Prozent Verlust erwartet. Doch Markus Wiersch ist Herausforderungen gewohnt und blickt positiv in die Zukunft.

Interview: Sarah Kröger

Markus Wiersch ist stellvertretender Geschäftsführer der Karslruhe Marketing und Event GmbH. Foto: Jürgen Rösner

WILA Arbeitsmarkt: Ihr Unternehmen, die Karlsruhe Marketing und Event GmbH, organsiert Veranstaltungen für die Stadt Karlsruhe. Was sind das für Events?
Markus Wiersch: Wir organisieren das jährliche Musikfestival „Das Fest“, das mit bis zu 250.000 Besuchern unsere größte Veranstaltung ist und auch eine der größten Open-Air-Veranstaltungen in Deutschland. Aber auch die Schlosslichtspiele, bei denen Videokunst auf das Karlsruher Schloss projiziert wird oder das Indoor Meeting Karlsruhe, ein internationaler Indoor-Leichtathletikwettbewerb, werden von uns veranstaltet. Aktuell haben wir 23 Mitarbeiter, die in der Eventorganisation, der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, im Sponsoring und im Citymarketing tätig sind.

Für die Veranstaltungen, die wir organisieren, sind wir ein relativ kleines Team. Daher arbeiten wir bei der Umsetzung mit vielen anderen Firmen zusammen. Bei „Das Fest“ sind unter normalen Bedingungen beispielsweise nur beim Aufbau 150 bis 200 Personen beteiligt; während der Veranstaltung sind zwischen 500 und 600 Sicherheitskräfte vor Ort.


 
„Gerade am Anfang war es eine Mischung aus hinfallen, aufstehen, wieder hinfallen und wieder aufstehen.“
 

 

Was änderte sich mit der Pandemie?
Als Corona hier in Europa ankam, waren wir erstmal in einer Art Schockstarre: Eigentlich wurde uns gerade komplett die Grundlage entzogen. Nicht nur uns, sondern auch unseren Partnern. Da zahlte sich unsere Mitgliedschaft im Verband europäischer Festivals Yourope unglaublich aus.

In der Safety-Gruppe richteten wir regelmäßige Calls ein, in denen jeder aus seinen Ländern heraus berichtete. Dieser Austausch war sehr hilfreich, weil keiner wusste, was passieren wird und wie sich alles entwickelt. Und wenn wir ehrlich sind, wissen wir es heute immer noch nicht. Aber gerade am Anfang war es eine Mischung aus hinfallen, aufstehen, wieder hinfallen und wieder aufstehen.


 
„Wir wollten auch ein Zeichen setzen: Es gibt noch ein öffentliches Leben, auch in diesen pandemischen Zeiten.“
 

 

Welche Veranstaltungen konnten Sie überhaupt noch umsetzen?
Wir haben alle unsere großen Veranstaltungen abgesagt. Aber wir haben teilweise alternative Aufgaben gefunden. Im Bereich Sicherheit unserer Eventabteilung hatten wir recht schnell wieder eine Menge Arbeit. Denn eins der Dinge, die wir können, ist Menschen von A nach B schicken und Besucherströme leiten.

Ob die Attraktion jetzt das Ordnungsamt ist, weil ich meinen Führerschein, meinen Personalausweis oder sonstige Formulare brauche oder ob es ein Künstler auf der Bühne ist, ist für uns – auf abstrakter Ebene – erstmal nicht so wichtig. Somit hatten wir dann doch einiges zu tun und waren beispielsweise bei der Öffnungsstrategie der Stadt Karlsruhe federführend eingebunden und da insbesondere auch in der Kommuniktation und Öffentlichkeitsarbeit tätig

Einige Veranstaltungen haben wir tatsächlich auch noch umsetzen dürfen, wie die Eröffnung des Marktplatzes. Drei Tage später wäre diese Veranstaltung nicht mehr möglich gewesen. Das war extrem spannend. Wir wussten bei der Planung nie, wie die aktuellen Hygieneschutzverordnungen am Veranstaltungstag aussehen würden. Einmal hatten wir samstags eine Veranstaltung, und freitags kam die neue Verordnung raus. Mittwochs telefonierten wir mit den Behörden, und ihre Aussage war ganz klar: „Aller Wahrscheinlichkeit werden die neuen Verordnungen eure Veranstaltung am Samstag zulassen. Aber Fakt heute ist: Es ist nicht zulässig.“

Wir gingen also ins Risiko, standen in den Startlöchern und arbeiteten, nachdem die Verordnung rauskam, die ganze Nacht durch, um das Event auf die Beine zu stellen. Damit wollten wir auch ein Zeichen setzen: Es gibt noch ein öffentliches Leben, auch in diesen pandemischen Zeiten. Danach sagt man sich dann: „Okay, wir sind das Risiko eingegangen, es war eine coole Geschichte, und es ist auch nichts passiert. Es war kein Spreader-Event.“ Aber das sind natürlich Spannungsfelder, die man nicht unbedingt täglich braucht, weder die Behörden noch wir als Team.


 
„Durch die Pandemie waren wir immer wieder gezwungen, neu zu denken. Das hat natürlich auch Vorteile.“
 

 

Was wurde aus den Großveranstaltungen, die sie absagen mussten?
Wir haben neue Formate entwickelt. Als wir „Das Fest“ 2020 abgesagt haben, war uns klar: Wir wollen 2021 trotzdem lokalen Künstlern die Möglichkeit geben zu spielen. Nach längeren Gesprächen mit der Stadt hatten wir die Idee einer mobilen Bühne. Also bauten wir einen alten LKW um, der dann durch Karlsruhe fuhr und in dem die Musiker Straßenkonzerte veranstalteten.

Bei den ersten zwei Auftritten haben die Behörden vor Ort genau geschaut, ob wir uns an die Verordnung halten. Und es hat funktioniert. Bei den Schlosslichtspielen, zum Beispiel, kommen normalerweise zwischen 15.000 und 20.000 Besucher. Die wollten wir nicht ganz aufgeben. 2020 ließen wir sie deswegen digital stattfinden, stellten das ganze Gelände online dar und projizierten die Shows auf das digitale Schloss.

Dieses Jahr kamen wir auf die Idee, ein Light Festival in der ganzen Stadt zu veranstalten, um die Besucher mehr zu verteilen. Das hat so gut funktioniert, dass auch der Einzelhandel und die Gastronomie davon profitiert haben. Deswegen werden wir dieses Format nächstes Jahr aller Wahrscheinlichkeit wiederholen.

Durch die Pandemie waren wir immer wieder gezwungen, neu zu denken. Das hat natürlich auch Vorteile. Denn normalerweise hat keiner Lust, seine alten Muster abzulegen. Aber wir mussten immer wieder neu auf alles schauen, wie auf ein weißes Blatt Papier, und uns fragen: Was können wir tun? Dann kamen wir auch zu Lösungen.

Wie hat sich der Wegfall der Veranstaltungen auf Ihr Unternehmen ausgewirkt? Mussten Sie beispielsweise Mitarbeitende in Kurzarbeit schicken?
Da wir eine Tochtergesellschaft der Stadt sind, traf es uns nicht ganz so schwer. Doch auch bei uns stand die Kurzarbeit sozusagen vor der Tür. Es war für uns zeitlich dann aber gar nicht möglich, in Kurzarbeit zu gehen, da wir alternative Formate ins Leben riefen und ein eher kleines Team sind. Hier und da haben wir auch Stunden abgebaut, viele von uns hatten vorher Überstunden vor sich hergeschoben. Auch gewisse Arbeiten, die man gerne mal vor sich hergeschoben hat, wie Dokumentation, konnten wir in der Zeit erledigen.

Als das alles beendet war, hatten wir schon die neuen Formate entwickelt. Und es kostete viel Zeit, neue Routinen zu entwickeln. Ich war letztens auf einer Fachkonferenz, da wurde darüber diskutiert, wie aufwendig es gerade ist, neue routinierte Abläufe zu entwickeln, sei es im Bereich Sicherheit oder in der Kommunikation. Da sind wir bis heute immer noch dabei, uns neu zu finden. Das führt auch dazu, dass wir kleinere Formate, die sonst neben den großen Veranstaltungen einfach mitliefen, nicht mal mehr so eben aus dem Ärmel schütteln können.

Wie erging es anderen Firmen, die nicht von einer engen Kooperation mit der Stadt profitieren konnten?
Wir hatten tragische Telefonate, in denen Leute sagten: „Im Januar komme ich vom Urlaub zurück, hatte mein ganzes Team eingeladen, die Auftragsbücher waren voll. Ich hatte neue Materialien und Maschinen im Wert von einer Million bestellt, die ich alle wieder zurückschicken musste. Von jetzt auf gleich war die Auftragslage Null.“ Das war für sie eine katastrophale Situation. Trotzdem gibt es bei unseren Partnern, mit denen wir direkt zusammenarbeiten, keinen, den es jetzt nicht mehr auf dem Markt gibt.

Ich glaube, dass die Hilfsprogramme der Regierung da unglaublich viel abgefangen haben. Die sind aber alle viel kleiner geworden oder haben vielleicht eine neue GmbH gegründet, weil ihre alte GmbH insolvent gegangen ist. Viele müssen nun wieder ihre Kredite zurückzahlen, deren Rückzahlung sie während der Krise aussetzen konnten. Ein Geschäftsführer sagte mir: „Ich wäre eigentlich in vier, fünf Jahren schuldenfrei gewesen. Jetzt muss ich noch mehr Geld aufnehmen, und es dauert mindestens 15 Jahre, das abzubezahlen.“

Viele befürchten, dass die Fachkräfte, die während der Pandemie in andere Branchen abgewandert sind, vielleicht nicht mehr
zurückkommen. Spüren Sie den Fachkräftemangel schon?
Ja, wir merken das extrem. Es gab zum Beispiel Telefonate, in denen uns gesagt wurde: „Das Material könnt ihr haben, aber bitte kommt selbst zu unserem Hof, transportiert es und baut es auf.“ Als wir bei unserem Stadtfest Sicherheitsfirmen beauftragen wollten, sagten die uns, dass sie uns auf keinen Fall 40 Sicherheitskräfte schicken könnten. Da ist mein Kollege dann Klinken putzen gegangen, hat überall angerufen und gefragt, ob sie nicht noch zwei oder drei Personen für uns haben. Das war dann aber eine zusammengewürfelte Gruppe, die erst einmal miteinander funktionieren musste.

Der Aufwand, mit ihnen einen reibungslosen Ablauf zu organisieren, war ungleich höher. Auch die Bühnenbauer fehlen. Einige von denen sind zum Beispiel in der Bauindustrie untergekommen und dort geblieben. Kein Wunder, wenn sie merken, dass sie regelmäßige Arbeitszeiten haben, nicht mehr am Wochenende durch die ganze Bundesrepublik reisen müssen und vielleicht sogar das Gleiche oder mehr verdienen.

Der Fachkräftemangel wird uns nächstes Jahr, glaube ich, noch schwer auf die Füße fallen. Wir werden viel in Weiterbildungen investieren müssen. Und die Fachleute, die geblieben sind, kosten nun mehr Geld – das ist auch nachvollziehbar. Man spricht von mindestens 20 Prozent erhöhter Kosten.

Sind Ihrer Einschätzung nach, auch akademische Fachkräfte, wie zum Beispiel Eventmanagerinnen und Eventmanager, in andere Bereiche abgewandert?
Im Managementbereich gibt es auch Abwanderung, ja. Manche steigen komplett aus, einige treten nun etwas langsamer. Das hat wahrscheinlich unterschiedliche Ursachen. Ein Grund ist, dass wir eine Branche sind, in der Altwerden schwierig ist, weil man immer mit dem Zeitgeist ganz vorne dabei sein muss.

Ich habe mitbekommen, dass einige Eventmanager und -planer, die auf die 60 zugehen, jetzt sagen: „Durch diese Pandemie war ich zwei Jahre gezwungen, die Füße still zu halten. Und wisst ihr was? Ich mach nun viel weniger und verdiene das Gleiche oder sogar mehr.“ Einer sagte zu mir, dass er vorher zwischen ein und zwei Millionen Umsatz im Jahr gehabt hatte und jetzt nur noch weit unter einer halben Million. Trotzdem bleibe nun mehr Geld für ihn persönlich übrig. Wenn dann aber keine jungen Menschen nachrücken, die die Aufgaben übernehmen, dann wird es natürlich langfristig schwierig in der Branche.


 
„Ich bin bester Hoffnung, dass es in unserer Branche nächstes Jahr wieder losgehen wird.“
 

 

Wie wird sich die Krise langfristig auf Ihr Unternehmen auswirken? Wie starten Sie ins nächste Jahr?
Da bin ich einfach ein hoffnungsloser Optimist. Weihnachten wird es vielleicht noch ein bisschen holpern, aber das Leichtathletik Indoor Meeting im Januar wird super. Die Menschen, die heute nicht geimpft sind, sind im März bestimmt genesen. Wir werden nächstes Jahr zwar nicht wieder zur alten Normalität zurückkehren, wir planen auch das Festival in einer anderen Form. Es werden andere Ansprüche an Veranstaltungen da sein, aber auch das sind wir gewohnt.

Vor fünf Jahren war das Thema Terror, da ging es nur noch um die Prävention von Anschlägen. Und jetzt ist es die Pandemie. Bei der Organisation von Veranstaltungen sind wir gewohnt, immer wieder den Fokus auf ein bestimmtes Problem zu richten und zu fragen: Wie gehen wir damit um? Das ist für uns auch schon fast Normalität. Von daher bin ich bester Hoffnung, dass es in unserer Branche nächstes Jahr wieder losgehen wird.

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