Jenseits der eigenen Grenzen
Grenzen zu ziehen, ist gerade für Berufseinsteiger*innen schwierig. Gerade ohne Unterstützung führt das bei vielen zu Überforderung.

Jenseits der eigenen Grenzen

Als Quereinsteigerin im IT-Consulting hatte Julia Wolters das Gefühl, sich beweisen zu müssen und arbeitete bis zu 60 Stunden die Woche. Nun hat sie eine passende Stelle gefunden, und auf dem Weg gelernt, nein zu sagen.

Text: Sarah Kröger

„Seien sie froh, wenn Sie mit Ihrem Abschluss irgendwo unterkommen“, sagte damals eine wissenschaftliche Mitarbeiterin zu Julia Wolters (Name von der Redaktion geändert) in der Sprechstunde. Sie hatte Spanisch und Religion auf Lehramt studiert, durch diverse Praktika aber gemerkt, das Lehramt nicht zu ihr passte. Mit dem wenig motivierenden Satz der Mitarbeiterin in den Ohren, bewarb sie sich nun auf Referentenstellen, jedoch erfolglos. Mittlerweile ziemlich frustriert, fiel ihr eine ehemalige Kommilitonin ein, die mit einer ähnlichen Studienfachkombination als Testmanagerin bei einem Softwareunternehmen arbeitete.

Nach kurzer Rücksprache mit der Kommilitonin suchte Julia Wolters nun gezielt Stellen als Softwaretesterin und konnte schließlich ihren ersten Job in einem mittelständischen IT-Unternehmen als Quality Ensurance Engineer anfangen. Die Stelle war explizit für Quereinsteigende offen und ebnete ihr den Weg in ihr heutiges Arbeitsfeld. Nun testete sie Software, die sie in unterschiedlichen Betriebssystemen und Sprachen, mit verschiedensten Lizenzen und Datenbanken auf ihre Funktionsfähigkeit überprüfte. 

„Das halte ich nicht ewig durch“

Der Job war zwar von den Arbeitsbedingungen her gut, sie hatte Gleitzeit und konnte Überstunden abbauen. Aber nach einer intensiven Phase der Einarbeitung begann sie sich zu langweilen, und es war Zeit für etwas Neues. Nach knapp zwei Jahren wechselte sie in eine IT-Consulting-Firma. Dort war sie erst wieder im Softwaretesting tätig, später auch im Anforderungs- und Projektmanagement. Sie lernte viel Neues, und es gefiel ihr, dass die Menschen dort sehr gerne arbeiteten.

Aber die hohe Identifikation mit der Arbeit brachte auch einige Nachteile mit sich: „Die Anforderungen waren viel höher, es war zum Beispiel normal, viele Überstunden zu machen“, erzählt Wolters. Meistens arbeitete sie 50 Stunden in der Woche, im letzten Projekt waren es oft auch 60 Stunden. Zudem war sie von Montag bis Freitag auf Reisen und wenig zu Hause. Die ständige Erreichbarkeit, die häufig knappen Deadlines und das viele Reisen brachten sie mit der Zeit immer mehr an ihre Grenzen: „Ich war schon sehr erfolgreich, aber irgendwann habe ich gedacht: ‚Das Tempo halte ich nicht ewig durch.‘“

Dauernd war sie müde und verspannt, öfters länger krank. Morgens viel es ihr schwer, wach zu werden. Sie brauchte länger, um Dinge zu verstehen und arbeitete deswegen nicht immer effizient. „Mein Akku war immer runter, ich war unheimlich gereizt, und meine Freunde haben mir gesagt: ‚Du redest die meiste Zeit nur noch von deiner Arbeit!‘“, beschreibt Wolters diese Zeit.

Ihr war klar, dass sie sich langfristig einen Job ohne Reisetätigkeit suchen musste. Zunächst versuchte sie noch, ein Projekt in ihrer Heimatstadt zu finden. Als das nicht klappte, fing sie an, sich wieder zu bewerben. Sie wusste, dass es ihr gut tun würde, wenn sie wieder ihre Freunde öfters sehen oder regelmäßig Sport machen könnte.  

300 Überstunden

So wechselte Julia Wolters nach dreieinhalb Jahren zu einem kleinen IT-Dienstleister der öffentlichen Hand und verantwortete als Produkt- und Projektmanagerin ein Softwaremodul. Um nicht die gleichen Fehler zu wiederholen, hatte sie sich extra ein Unternehmen ausgesucht, bei dem sie ihre Überstunden abbauen oder sich auszahlen lassen konnte. Doch obwohl ihr im Vorstellungsgespräch versprochen wurde, dass sie nicht mit „sonderlich vielen Überstunden“ zu rechnen hatte, sah die Realität anders aus. „Ich musste oft fünf Tage am Stück Workshops halten, die ich dann abends noch vor- und nachbereitete“, berichtet Wolters.

Als sie nach knapp zwei Jahren das Unternehmen verließ, hatte sie 300 Überstunden aufgebaut. Immerhin konnte sie sich nun die Überstunden auszahlen lassen. Zu dem Zeitpunkt beschäftigte sie sich schon länger mit der Frage, wie sie mit Stress besser umgehen könnte und hatte bereits an einem Kurs zu „Mindfulness-Based Stress Reduction“ teilgenommen.

Dort lernte sie viel darüber, wie Stress entsteht und wie man auch wieder aus dem Stresskreislauf aussteigen kann: „Es ist eine Sache, einen stressigen Tag zu haben und eine andere, ständig darüber nachzudenken und den Tag negativ zu bewerten.“ Auch Bücher zum Thema Stressmanagement und Ratschläge von Freund*innen halfen ihr. Julia Wolters hat gelernt, dass jede*r eigene Bewältigungsstrategien finden muss. Alle Welt würde zwar davon reden, Yoga zu machen, aber für sie sei das nichts, sie müsse sich beim Sport ordentlich auspowern können. 

Rechtzeitig die Reißleine ziehen

Neben der Verhaltensprävention sei zudem auch die Verhältnisprävention wichtig, hat ihr damals eine befreundete Psychologin erklärt: „Ich kann an mir selbst arbeiten und steuern, wie ich mit Stress umgehe. Aber ich brauche auch passende Rahmenbedingungen und ein Umfeld, in dem ich gerne arbeiten möchte.“ Das passende Umfeld hat Julia Wolters für den Moment gefunden: Bei dem mittelständischen IT-Dienstleister, für den sie als Projektleitung arbeitet, geht es entspannter zu als bei ihren vorherigen Arbeitgebern.

Trotzdem gibt es immer wieder auch stressige Phasen. Mittlerweile hat sie allerdings gelernt, Grenzen zu ziehen und Arbeitsaufträge abzulehnen. Das hatte sie sich früher oft nicht getraut: „Als Quereinsteigerin dachte ich: Vielleicht brauche ich ja länger, weil ich nicht das richtige Studium hatte“, meint Wolters. Dabei wären viele der Anforderungen damals aus ihrer heutigen Sicht völlig ungerechtfertigt gewesen: „Ich hätte viel früher Stopp sagen müssen.“

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