Eltern: Verständnis wecken, Lösungen finden
Warum schreit mein Kind unentwegt? Damit Eltern mit solchen Fragen nicht allein bleiben, stehen ihnen Expert*innen zur Seite und helfen auch, wenn Situationen bereits eskaliert sind.
Text: Janna Degener-Storr
Für viele Frauen und Männer beginnt das Elternsein mit dem positiven Schwangerschaftstest. Die einen freuen sich, die anderen sind besorgt. Die allermeisten haben viele Fragen: Wann ist ein Besuch bei der Frauenärztin angebracht? Was wird sich in unserem Leben nun ändern? Vielleicht auch: Will ich das Kind überhaupt haben? Wie komme ich finanziell mit dem Baby über die Runden?
Wenn dann die Geburt ansteht, die Babyzeit und frühe Kindheit, der Eintritt in den Kindergarten und in die Schule, wenn die Pubertät kommt, wenn die Familie wächst, Kinder oder Eltern krank werden, Paare sich trennen, andere geplante oder unvorhergesehene Situationen auftauchen, stehen Eltern immer wieder vor neuen Herausforderungen. Mal haben sie Konflikte, mal fühlen sie sich mit der Erziehung überfordert, mal ist ihnen einfach alles zu viel.
In allen Phasen des Familienlebens und auch in Extremsituationen können Eltern auf die Unterstützung von Fachkräften bauen. So fokussieren sich die Netzwerke Frühe Hilfen zum Beispiel auf die Arbeit mit Schwangeren und Eltern von Kindern bis drei Jahre. Denn in dieser Phase werden oft Weichen für die weitere Zukunft gelegt. Doch Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe unterstützen auch Elternteile mit älteren Kindern – denn Mütter und Väter spielen immer eine wichtige Rolle im Leben ihrer Töchter und Söhne.
Beratung für Familien in Not
Diese Erfahrung hat auch Jessika Nitzschker gemacht, die sich mit Kindern und Familien in Extremsituationen beschäftigt. Die Berlinerin war nach ihrem Psychologie-Studium zunächst für einige Zeit in einer Einrichtung der stationären Jugendhilfe tätig. In dieser Zeit hat sie gelernt, wie wichtig es ist, die Eltern ins Boot zu holen, um die Entwicklung von Jugendlichen zu unterstützen, sagt sie: „Jugendliche stellen häufig Identitätsfragen: Woher komme ich? Wie will ich mich entwickeln? Will ich werden wie meine Eltern? Und auch die Mütter und Väter haben ein Interesse an ihren Kindern, auch wenn diese untergebracht sind“.
Heute bietet die 42-Jährige im Kinderschutz-Zentrum Berlin Beratungen für Eltern an, um die Beziehungen zu den Kindern zu stärken. „Hier kann ich Familien schon unterstützen, bevor es zu solchen drastischen Verläufen kommt, die womöglich zu einer Unterbringung führen“, erklärt sie. Dabei hilft ihr auch die familientherapeutische Ausbildung, die sie berufsbegleitend absolviert.
Manche Eltern wenden sich eigeninitiativ für eine Beratung an das Kinderschutz-Zentrum Berlin, teilweise auf Empfehlung der Kinderarztpraxis oder des Jugendamts. Einige merken zum Beispiel, dass ihr Kind sie mit Wutausbrüchen immer wieder an ihre Grenzen bringt, und sie haben Angst, irgendwann gewalttätig zu reagieren. Andere haben etwa nach einer Trennung Sorgen, ob das Kind beim anderen Elternteil gut aufgehoben ist. Aber es gibt auch Eltern, die zum Beispiel vom Familiengericht die Auflage bekommen haben, sich beraten zu lassen, weil sie vor lauter Streit die Bedürfnisse des Kindes aus dem Blick verloren haben oder weil eine Kindeswohlgefährdung im Raum steht.
„In solchen Fällen besprechen wir zunächst gemeinsam mit den Eltern und den Bearbeiter*innen vom Jugendamt, welche Probleme es gibt, was das Ziel der Beratung sein soll und welche Informationen wir mit dem Jugendamt austauschen dürfen. So stellen wir sicher, dass die Eltern im geschützten Rahmen mit uns sprechen können und das Jugendamt nur erfährt, ob die Beratung klappt oder ob es Schwierigkeiten gibt“, erklärt Nitzschker. Wenn Eltern etwa berichten, dass sie ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln, und die Beratung nicht ausreicht, um eine Kindeswohlgefährdung zu verhindern, darf die Beraterin davon dem Jugendamt trotz ihrer Schweigepflicht berichten.
Unvoreingenommen begegnen
Für die Arbeit der Psychologin macht es natürlich einen großen Unterschied, ob Eltern freiwillig an ihren Beratungen teilnehmen oder nicht. „Keiner spricht gerne darüber, dass man Sorgen hat, keine gute Mutter oder kein guter Vater zu sein oder als Elternteil versagt zu haben. Wenn Eltern selbst etwas verändern wollen, reden sie oft schneller ehrlich und vertrauensvoll über solche tabuisierten und schambesetzten Themen mit mir. Eltern, die zu mir geschickt werden, sind dagegen anfangs oft skeptisch und überlegen sich genau, was sie sagen. Denn sie haben Sorgen, dass das beispielsweise einen laufenden Gerichtsprozess zum Thema Sorgerecht und Umgang negativ beeinflussen könnte“, erklärt sie.
Gerade in schwierigen Situationen hält sich die Psychologin an den Arbeitsgrundsatz „Verstehen, ohne einverstanden zu sein.“ Das heißt, sie blickt mit einem wohlwollenden Blick auf die Eltern und versucht, unvoreingenommen mit ihnen in Kontakt zu gehen, sie nicht von vornherein moralisch als schlechte Menschen zu verurteilen, selbst wenn sie ihrem Kind vielleicht etwas Schreckliches angetan haben.
Stattdessen versucht sie, die Perspektive zu wechseln und zu verstehen, was passiert ist und wie sie den Müttern und Vätern helfen kann, gute Eltern zu sein. „Wenn eine Kindeswohlgefährdung stattgefunden hat oder im Raum steht, steckt dahinter eine Beziehungsstörung. Gewalt ist der hilflose und misslungene Versuch, wieder Kontrolle über eine Situation herzustellen, in der ein Kind beispielsweise viel schreit und sich die Eltern davon geärgert oder provoziert fühlen“, sagt Nitzschker.
Trotz dieser empathischen Grundhaltung macht sie Eltern, die ihre Kinder gefährden, aber auch deutlich, dass sie etwas ändern müssen. Sie bespricht mit den Eltern beispielsweise, warum das Kind schreit und dass es damit auf seine Bedürfnisse aufmerksam machen möchte. Sie gibt ihnen auch Ideen an die Hand, wie sie mit dem Kind umgehen oder solche Situationen verhindern können. Und sie sucht mit ihnen Wege, wie sie sich selbst entlasten können, um die Beziehung zum Kind zu unterstützen.
Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe beraten Eltern unter anderem auch in Schwangerschafts- oder Familien- und Erziehungsberatungsstellen, in Familienzentren oder auch in speziellen Schreiambulanzen. Darüber hinaus sind Berater*innen auch für andere Angebote tätig, etwa für die Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke), das Elterntelefon „Nummer gegen Kummer“, das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ oder die „Beratung für Jungen, Väter & Männer“ des Bundesforums Männer.
Zu den Aufgaben solcher Fachkräfte gehört oft auch die Organisation und Durchführung von Treffen für Schwangere, Eltern oder Familien. Schließlich gibt es auch spezielle Anlaufstellen etwa für Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien, Familien von kranken, behinderten oder verstorbenen Kindern. Andere Einrichtungen informieren Mütter und Väter in erster Linie darüber, welche Leistungen ihnen zustehen, helfen beim Ausfüllen von Anträgen oder bieten, wie die „Bundesstiftung Mutter und Kind“, finanzielle Unterstützung für Eltern in Not.
Eigene Angebote entwickeln
Neben Sozialarbeiter*innen, Sozialpäda-gog*innen und Psycholog*innen legen auch Geisteswissenschaftler*innen ihren beruflichen Fokus darauf, Eltern zu unterstützen. Einige nutzen ihre Kompetenzen beispielsweise, um Angebote von freien Trägern oder öffentlichen Institutionen zu koordinieren. Und andere setzen ihr Know-how ein, um neue Ansätze der Elternberatung zu schaffen – so zum Beispiel die Theaterwissenschaftlerin und Schauspielerin Stefanie López. Die Berlinerin gründete nach der Geburt ihres ersten Kindes eine NGO, die erst Theaterprojekte an Hauptschulen und später auch freie künstlerische Projekte und Weiterbildungen mit Erwachsenen zur „Gleichwürdigen Führung“ durchführte.
Seit vier Jahren bietet sie darüber hinaus Elternworkshops zu Themen wie „Empathie und liebevolle Führung“ an. In ihrem Blog familienbande-berlin.de schreibt und in ihrem Eltern-Podcast „Musterkind“ spricht sie darüber. Parallel dazu absolviert die 43-Jährige eine Ausbildung zur Familientherapeutin. „Als Schauspielerin ist für mich die Frage zentral, warum ein Mensch handelt, wie er handelt, warum er fühlt, wie er fühlt. Und genau diese Frage beschäftigt mich auch, wenn ich mit Eltern arbeite, deren Kinder sich beispielsweise aggressiv verhalten oder die Beziehungen zu ihnen abbrechen“, erklärt sie.
Ihre Elternworkshops umfassen Input, Austausch, Reflektion und Praxis. Dabei hat Stefanie López mit ähnlichen Themen zu tun wie Jessika Nitzschker im Kinderschutzzentrum: „Schon wenn ich erkläre, dass die Aggressionen der Kinder ein Ausdruck von Not sind, ändert sich häufig die Perspektive der Eltern“, erzählt sie. Die Teilnehmer*innen ihrer Workshops setzen sich mit diesem Input allein oder in Gruppen auseinander und reflektieren dabei auch ihre eigene familiäre Prägung.
Anschließend üben sie sich in der persönlichen Kommunikation und erproben alternative Handlungsmöglichkeiten zu konkreten Konfliktsituationen: Wie können sie herausfinden, was das Kind ihnen mit seinem Verhalten sagen will, um Nähe herstellen und das Kind begleiten zu können? Wie sorgen sie gleichzeitig dafür, dass das Kind ihre eigenen Grenzen nicht überschreitet? Stefanie López erklärt: „Es geht darum, dass die Eltern aus ihrem impulsiven Handeln herauskommen. Für mich ist das ein bisschen wie Muskeltraining. Wenn ich immer wieder übe, anders zu denken und zu sprechen, dann ändern sich auch meine Haltung und mein Gefühl für die Situation. Und das ist der Weg, unsere autoritäre Prägung zu verlassen und Kindern Selbstwert und Empathie mitzugeben“.
Wer wie Stefanie López gegen ein Honorar oder wie Jessika Nitzschker in einer öffentlich finanzierten Einrichtung Eltern unterstützen möchte, sollte schon früh praktische Erfahrungen in diesem Tätigkeitsfeld sammeln. Neben Praktika bietet dafür auch ein Ehrenamt interessante Möglichkeiten. In vielen Kommunen führen Freiwillige zum Beispiel „Willkommensbesuche“ bei Neugeborenen durch, um über Angebote am Wohnort oder finanzielle Hilfen zu informieren. Und Familienpat*innen unterstützen Eltern beispielsweise im Alltag, indem sie ihnen ein offenes Ohr schenken oder sich um die Kinder kümmern. Durch solche Tätigkeiten können Berufseinsteiger*innen auch schon erste Kontakte zu potentiellen Arbeitgebern sammeln.
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