Begegnungsorte schaffen
Viele Menschen haben im letzten Jahr unter den coronabedingten Kontaktbeschränkungen gelitten. Umso wichtiger ist es nun, die Menschen wieder zusammenzubringen. Hilfreich ist dafür auch ein Händchen fürs Netzwerken.
Text: Sarah Kröger
Egal ob in Großstädten oder auf dem Land: Überall dort, wo Menschen miteinander leben, braucht es auch Orte der Begegnung. Um Neuzugezogenen erste Kontakte zu ermöglichen, Anonymität vorzubeugen, Vorurteile abzubauen und das Miteinander so angenehm wie möglich zu gestalten.
Viele dieser Angebote werden von Ehrenamtlichen organisiert: Das Sommerfest der Freiwilligen Feuerwehr, die Lange Tafel, an der die Anwohnenden draußen zusammen Spaghetti essen, die Yoga-Gruppe, die sich im Park trifft. Doch auch viele öffentlich geförderte Einrichtungen und Projekte bieten Nachbarschafts- und Begegnungsangebote an und suchen dafür Mitarbeiter*innen. Wer in diesem Bereich arbeiten möchte, kann sich auf einen bunten Strauß an Einrichtungsgrößen und Arbeitsbereichen einstellen.
Arbeitsort kann die christliche Stiftung sein, die ein interkulturelles Stadtteilzentrum in Frankfurt am Main betreibt und dort einen Second-Hand Shop mit Cafébereich anbietet. Oder das Deutsche Rote Kreuz Essen, das im Rahmen seiner offenen Seniorenarbeit Gesprächsnachmittage, Strickwerkstätten und Kurse für Gedächtnistraining anbietet. Oder ein Berliner Verein, der mit seiner Stadtteilkoordinationsstelle Akteure und Einrichtungen im Kiez vernetzt, die Bürgerjury und den Kiezfonds koordiniert und so die Teilhabe und politische Partizipation in der Nachbarschaft stärkt.
Von Sozialpädagogik bis BWL
Der Sozial- und Wohlfahrtsverband Volkssolidarität betreibt deutschlandweit rund 400 Einrichtungen, in denen Menschen sich begegnen können. „Bei uns kann das ein Treff in einer Wohnung, eine Begegnungsstätte oder ein ganzes Stadtteilzentrum mit mehreren Räumen und Hauptamtlichen sein, die die verschiedenen Angebote koordinieren“, erklärt Sebastian Wegner, der bis vor kurzem als Bereichsleiter für Verbandsentwicklung auch für den Bereich Nachbarschaftshilfe Ansprechpartner war.
Die Begegnungsstätten sind offen für alle, oft gibt es aber auch zielgruppenspezifische Angebote. Zum Beispiel die Interessensgemeinschaft Sport ab 60, das deutsch-arabische Sprachtandem, die wöchentliche Bridge-Gruppe oder das interkulturelle Nähcafé. „Wer hier arbeitet, sollte am besten einen sozialpädagogischen Hintergrund haben“, meint der heutige Bundesgeschäftsführer der Volkssolidarität. Denn in den Einrichtungen sind nicht nur viele Ehrenamtliche aktiv, es werden auch gerne Bundesfreiwillige oder Menschen eingesetzt, die wieder an den Arbeitsmarkt herangeführt werden sollen und über das Jobcenter finanziert werden.
Als Einrichtungsleitung sind hier Führungskompetenz, Geduld und Einfühlungsvermögen gefragt. Und jede Menge Sozialkompetenz, um den Besucherinnen und Besuchern, die mit den unterschiedlichsten Anliegen kommen, gerecht zu werden. „Begegnung ist ja auch immer ein Mittel gegen Einsamkeit. Wer sich zu Hause einsam fühlt, kommt dann vielleicht zu uns in die Einrichtung, um Anschluss zu finden und Hilfsangebote wahrzunehmen“, sagt Wegner.
Auch Sozial- und Kulturwissenschaftler*innen kann er sich als Leitung einer Begegnungsstätte vorstellen. Oder Quereinsteiger*innen mit einem völlig anderen fachlichen Hintergrund, die sich aber in der Nachbarschaftsarbeit privat stark engagiert haben. Ein betriebswirtschaftlicher Hintergrund könne auch hilfreich sein. „Als Einrichtungsleitung haben Sie teilweise große Umsätze, die Sie verwalten müssen. Sie müssen zudem wissen, wo Sie Förderungen beantragen können und sollten das Zuwendungsrecht kennen“, erklärt er.
Wer in Begegnungsstätten tätig ist, sollte auch die Zielgruppen in der Nachbarschaft und ihre Bedürfnisse gut im Blick haben und passende Projekte für sie entwickeln können. Ein Teil der Arbeit besteht immer auch aus dem Vernetzen mit anderen Institutionen und politischen Akteuren in der Nachbarschaft. Diese Vernetzungsrunden finden oft abends statt. Manchmal ist auch der Einsatz am Wochenende gefragt, bei Stadtteilfesten oder Aktionstagen.
Spezifisches Fachwissen gefragt
Je nach Zielgruppe werden für die Begegnungsangebote Mitarbeiter*innen mit spezifischen Schwerpunkten gesucht. „Wir hatten mal eine Mitarbeiterin, die Friedens- und Konfliktforschung studiert und die Integrationsarbeit bei uns geleitet hat“, berichtet Wegner. Viele Stadtteil- und Begegnungszentren richten sich mit ihren Angeboten auch gezielt an ältere Menschen, die oft häufiger mit Einsamkeit zu kämpfen haben und sich über Kontaktmöglichkeiten freuen.
Hier kann es hilfreich sein, Erfahrungen in der Kulturarbeit mit Älteren mitzubringen und eine kulturgeragogische Weiterbildung absolviert zu haben. Familienzentren wiederum konzentrieren sich auf die Bildung, Beratung und Vernetzung von Familien. Sie bieten zum Beispiel Kindertanz, Gruppen für Alleinerziehende oder Spielkreise für geflüchtete Kinder an. Diese werden von pädagogischen Fachkräften mit den passenden fachlichen Hintergründen, wie Tanzpädagogik oder einer systemischen Coaching-Ausbildung, durchgeführt, teilweise mit Unterstützung von Sprachmittler*innen.
Was die Zukunft der Begegnungseinrichtungen angeht, ist Sebastian Wegner skeptisch. Ihre Existenz sei stark von öffentlichen Fördergeldern abhängig, und gerade gebe es dort erhebliche Finanzierungsherausforderungen. Allen, die sich trotzdem für eine Arbeit interessieren, rät er, sich möglichst viel im Vorfeld zu engagieren, zum Beispiel in der Sozial- oder Familienberatung. Das würde bei den Trägern Vertrauen schaffen.
Sport verbindet
Unter dem Motto „Die Stadt ist unser Sportplatz“ organisiert der Verein Stadtbewegung jede Woche über 40 Bewegungsangebote für Nachbar*innen in Berliner Parks und Grünanlagen. Die Angebote, wie zum Beispiel Spaziergehgruppen, Fitnessübungen für Einsteiger*innen, Yoga oder Tischtennis, sind bewusst niedrigschwellig und richten sich an Menschen mit geringem Einkommen oder an solche, die aus verschiedenen kulturellen und sozialen Gründen keinen Zugang zu traditionellen Sportvereinen haben. Die Idee dazu hatte der Kulturwissenschaftler Robin Spaetling. Nach seinem Studium organisierte er einige Jahre lang Veranstaltungen im Kulturbereich.
Schon damals interessierte er sich für das Thema Nachbarschaft. „In Berlin beobachte ich jeden Tag, dass Menschen alleine und einsam sind. Es entstehen Barrieren zwischen den verschiedenen sozialen Gruppierungen, und sie lernen sich nicht kennen. Ich finde das total schade“, meint er. Mit der Zeit kam er dann, auch aus persönlichem Interesse, auf den Bereich Sport und Bewegung. Er machte eine Weiterbildung zum Trainer für Fitness- und Gesundheitssport und gründete mit anderen den Verein Stadtbewegung.
Von seiner Idee, Sport als Mittel zur Begegnung zu nutzen, ist er nach wie vor begeistert: „Man muss noch nicht mal die gleiche Sprache sprechen. Der gemeinsame Sport verbindet die Menschen, sie sind stolz auf sich und fühlen sich danach glücklich. Dieses Gefühl nehmen sie dann mit nach Hause“, erzählt er. Denn in den Gruppen soll nicht nur einfach das Bewegungsprogramm absolviert werden. Die Trainer*innen versuchen, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu kreieren, damit die Teilnehmenden nach dem Sport noch bleiben und miteinander ins Gespräch kommen.
„Die Herausforderung dabei ist, die diversen Gruppen so anzuleiten, das alle sich wertgeschätzt fühlen und ein Gruppengefühl entsteht“, erklärt Spaetling. Oft funktioniert das. Menschen entdecken plötzlich Gemeinsamkeiten, wohnen zum Beispiel in der gleichen Straße oder haben ein gemeinsames Hobby. „Das sind die dann die schönen Momente“, meint er.
Eigene Kompetenzen einbringen
Die größte Herausforderung sei jedoch, die Menschen zum Mitmachen zu motivieren, denn die Hürden, das erste Mal zu einer neuen Gruppe hinzugehen, seien sehr groß. Die Öffentlichkeitsarbeit und das Bewerben der Veranstaltungen gehören auch zu den Aufgaben von Robin Spaetling. Er gestaltet die Internetseite und betreut den Instagram-Kanal. Seine Erfahrungen im Veranstaltungsmanagement helfen ihm zudem dabei, die einzelnen Angebote zu koordinieren und bei Ausfällen zum Beispiel Vertretung zu organisieren.
Auch seine langjährige Erfahrung im Fundraising kommt ihm hier zugute: Er beantragt die unterschiedlichen öffentlichen Förderungen, über die sich die Vereinsarbeit finanziert. Seine wichtigste Aufgabe ist jedoch die Koordination und Betreuung der zumeist ehrenamtlichen Trainer*innen. Dazu organisiert er regelmäßige Treffen, bei denen sie sich als Gruppe stärken, über Probleme sprechen und gegenseitig Tipps geben. „Ich sorge dafür, dass es ihnen gut geht. Damit sie dann wieder dafür sorgen können, dass es den Teilnehmenden gut geht,“ erzählt er und lacht.
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