Ehrenamt: „Es muss zum Leben passen“
Warum sollte Ehrenamtliche sich im Verein engagieren? Das ist eine zentrale Frage, wenn es darum geht, Ehrenamtliche zu mitmachen zu animieren.

Ehrenamt: „Es muss zum Leben passen“

Wer mit Ehrenamtlichen zusammenarbeiten will, muss sich nach ihren Bedürfnissen und Zeitplänen richten, sagt der Unternehmens- und Vereinsberater Michael Blatz.

Interview: Katrin Poese 

Michael Blatz schult und berät gemeinnützige Organisationen in ganz Deutschland. Foto: privat

WILA Arbeitsmarkt: Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen heute?
Michael Blatz: Eine immer größer werdende. Viele Organisationen haben festgestellt, dass sie ohne das Ehrenamt nicht überlebensfähig sind. Die Zeiten haben sich aber geändert: Früher haben sich Menschen mit großer Selbstverständlichkeit aus der Tradition heraus irgendwo engagiert, die Kinder sind den Eltern in die Vereine gefolgt. Das ist vorbei.

Man unterscheidet jetzt zwischen dem, was man Altes und Neues Ehrenamt nennt: Die Grenze ist etwa bei der Jahrtausendwende. Das hat für alle Organisationen zur Folge, dass sie sich bemühen müssen, wenn sie Ehrenamtliche haben wollen.  


 
„Die Anzahl der Vereine in Deutschland steigt nach wie vor – der Mythos vom Vereinssterben ist nicht zu halten.“
 

 

Mit welchen Herausforderungen haben es Organisationen dabei zu tun? 
Inzwischen müssen sie sich überlegen: Warum sollten sich Ehrenamtliche eigentlich bei uns engagieren? Denn sie haben die Wahl. Die Anzahl der Vereine in Deutschland steigt nach wie vor – der Mythos vom Vereinssterben ist nicht zu halten. Es kommen außerdem viele Initiativen dazu, die überhaupt nicht in Vereinsstrukturen organisiert sind. Wenn ich mich engagieren will, dann finde ich schon mein Feld dafür. Und wenn ich in einer Organisation, die mir ein Engagement-Umfeld anbietet, keine Heimat finde, dann bleibe ich da nicht. 


 
„Auf der anderen Seite sollte die Organisation sich auch klar machen, dass sie den Leuten durchaus etwas zu bieten hat.“
 

 

Was können Organisationen tun, damit Ehrenamtliche bei ihnen eine Heimat finden?
Sie sollten sich sehr planvoll und strukturiert selbst organisieren und Engagement-Formen anbieten, die zu dem Leben der Menschen passen. Wenn ich Berufstätige ansprechen möchte, dann weiß ich ja, sie arbeiten viel, stehen unter viel mehr Druck und müssen heute viel mobiler sein als früher. Wenn ich mich als Organisation darauf nicht einstelle, wird es schwierig.

Auf der anderen Seite sollte die Organisation sich auch klar machen, dass sie den Leuten durchaus etwas zu bieten hat: zum Beispiel die Möglichkeit, sich einzubringen und etwas mitzugestalten. Genau das muss man viel besser verkaufen und proaktiv um die Menschen werben. Dafür muss man sich etwas einfallen lassen. Einfach nur eine Stellenbeschreibung in einer Engagement-Datenbank zu veröffentlichen, reicht nicht.

Lassen Sie uns das Werben um Engagierte an einem Beispiel durchspielen. Wie könnte man an die Zielgruppe zwischen 30 und 40 Jahren herankommen?
Ich versuche zuerst, die Zielgruppe möglichst treffend zu beschreiben. Das könnten zum Beispiel Menschen sein, die sich jetzt gerade ihr Einfamilienhäuschen im Neubaugebiet gekauft haben und dort noch nicht viele Leute kennen. Dann ist es eine gute Idee, sie bei ihren Wünschen und Bedürfnissen abzuholen. Eines meiner Lieblingsbeispiele dazu ist folgende Werbung: Man sieht einen kleinen Jungen mit selbstgemaltem Feuerwehrauto-Bild, darüber den Slogan „Mach dein Kind stolz. Komm zur Freiwilligen Feuerwehr“. 

Dieser Flyer richtet sich ganz konkret an junge Eltern und trifft vielleicht den entscheidenden Punkt, nämlich die Vorbildfunktion für die eigenen Kinder. Man kann die Menschen so abholen: Du willst Vorbild sein? Du möchtest integriert sein in den Ort? Du willst etwas Gutes bewirken? Hier bei uns kannst du’s. Dabei muss man sich für verschiedene Zielgruppen verschiedene Ansprachen einfallen lassen. 


 
„Wenn ich aber Formen anbiete, bei denen die Menschen merken, das ist für mich sinnhaft und lässt sich gut mit meinem Leben kombinieren, dann hat das durchaus Chancen.“
 

 

Und wenn man sie gefunden hat, wie hält man Engagierte dann auf Dauer?
Das Stichwort Engagement-Formen spielt auch dafür eine Rolle. Viele engagieren sich nicht, weil sie Angst haben, vereinnahmt zu werden. In manchen Bereichen sucht man ja händeringend Engagierte. Und wenn man dann mal einen gefunden hat, dann wird der gleich verhaftet. Das kann dazu führen, dass andere das sehen und vorsorglich flüchten. 

Wenn ich aber Formen anbiete, bei denen die Menschen merken, das ist für mich sinnhaft und lässt sich gut mit meinem Leben kombinieren, dann hat das durchaus Chancen. Das erreiche ich, indem ich abgegrenzte Aufgabenfelder schaffe – kein unüberschaubarer Berg an Verantwortung und Arbeitslast, sondern ein greifbares Arbeitsvolumen – und sie in Rollenbeschreibungen klar definiere.

Dann kann es gut sein, dass Menschen sagen: Die paar Stunden im Monat, die passen gut in mein Leben. Da muss ich flexible Formen anbieten und nicht davon ausgehen, dass jemand Neues sich mit Haut und Haar hingibt.

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