Corona 2020: Pandemie-Privilegien
Lange Zeit allein im Homeoffice, muss Marcello Buzzanca sich nun die Wohnung plötzlich teilen – den gesamten Tag mit gleich zwei Personen: mit seiner Frau und seinem Sohn.
Erfahrungsbericht: Marcello Buzzanca
Als freiberuflicher Texter komme ich selten unter Leute und nur manchmal unter Menschen. Die meiste Zeit sitze ich (auf einem Stuhl, einem Hockern oder Gymnastikball) zu Hause und adaptiere, redigiere, übersetze oder schreibe Texte. Keine Wege ins Büro, keine „Mahlzeit!“-Menetekel und gemeinsame Märsche in die Kantine. Kundenkommunikation läuft bei mir meist über Mails. Hier und da ein Telefonat oder eine Videokonferenz.
Ansonsten Stille, die durch die Fressgeräusche unserer Katze verstärkt wird. Kurz gefasst, war ich eigentlich schon lange vor Corona in einer beruflichen Quarantäne – als Einzelkämpfer, Eigenbrötler, Einzelunternehmer. Mit diesem Privileg, so stellte ich irgendwann Mitte März fest, verhielt es sich wie mit vielen Vorzügen: Ihr individueller Wert offenbart sich einem erst, wenn man sie teilen muss – in meinem Fall durch drei und mit dreien.
Verschiebung des Arbeitszeitkontinuums
Mein Sohn wurde Mitte März direkt von der Skifreizeit in Österreich in die häusliche Quarantäne geschickt, meine Frau folgte genau einen halben Tag später. Das war sozusagen der Gründungstag unseres Co-Working-Miteinander-Leben-und-Lernen-Space: Eine doch recht geräumige Dreizimmer-Wohnung mit ausreichend Platz für jeden, um seinem jeweiligen Job nachzugehen.
Wenn ich vorher der Meinung war, dass im Prinzip unsere gesamte Wohnung mein komfortables Büro war, dass ich zumindest so lange alleine belegen konnte, bis mein Sohn aus der Schule und meine Frau von der Arbeit kam, musste ich plötzlich damit klarkommen, mein kreatives Habitat mit einer neuen und fachfremden Kollegin zu teilen: meiner Frau. Denn obwohl ich oder sie ja auch irgendwo im Schlafzimmer hätten arbeiten können, bauten wir beide unsere Laptops auf dem Esstisch auf.
Mein Sohn seinerseits genoss das Privileg der Abgeschiedenheit seines eigenen Zimmers, wo er (das hat er uns zumindest versichert) auch mal Homeschooling machte: Aufgaben aus der Cloud, Gruppenarbeit über Chats und Unterrichtsvertiefungen auf YouTube. Zwischendurch ein Ruf nach mir, ob ich ihm bei diesem kniffligen Satz aus De Bello Gallico helfen könnte.
Nah, aber nicht zu nah
Da wir also nun alle drei keine Wege zur Arbeit hatten, verschob sich quasi automatisch auch unsere Aufsteh- und Arbeitszeit – natürlich nach hinten. Irgendwann saß dann jeder an seinen Aufgaben beziehungsweise musste meine Frau trotz Homeoffice pünktlich in ihre tägliche Besprechung. Statt Kaffee- und Teetassen-Tanz um die Stühle im Meetingraum, kämpfte sie nun mit Teams, sukzessive mit dem Audio und dem Visuellen: „Könnt Ihr mich hören? Was ist mit deiner Kamera?“
Ich lernte in dieser Zeit viel – über Liefertermintreue, Komponenten, SAP und Artikelnummern und darüber, dass ich die permanente Anwesenheit meiner Familie genoss, dass die festen Arbeitszeiten meiner Frau mich in meinem freien Schaffen disziplinierten. Ich lernte zudem, wie gut es tun kann, an einem warmen Sommertag nicht weiter an Texten, sondern unten im Garten zu arbeiten, zusammen mit meiner Frau. Nähe ist also wirklich vergangene Distanz.
Um- statt Einbrüche
In Sachen Aufträge musste ich Mitte März tatsächlich den Abschied eines langjährigen Kunden bedauern und verdauen. Doch Corona war nur EIN und nicht DAS Glied in der Verkettung der Umstände, die letztlich dazu führten. So oder so musste ich diesen finanziellen Verlust schnell stopfen. Tatsächlich gelang mir diese Kompensation nur durch Akkumulation vieler kleinerer Aufträge. Und wie das mit Kleinvieh, das Mist macht, so ist: Man muss sich bei solch einer Kundenkonstellation eher zerreißen, um alles im Auge zu behalten und nichts aus dem Blick zu verlieren, als wenn man sich nur um einige größere Cash Cows kümmern muss.
In diesem Sinne hat Corona meine Auftragslage eher fragmentiert als pulverisiert. Vielleicht fungiert Corona hier aber auch lediglich als das viel zitierte Brennglas. Denn eigentlich waren meine Schreibaufträge schon immer irgendwie splitterförmig und ich das einzige Mitglied meiner schnellen Schreib-Eingreiftruppe: „Könnten Sie bitte hierzu etwas ad hoc formulieren?“ „Ich bräuchte kurzfristig einen kleinen Text dazu!“
Alte Kunden gingen unvermittelt, neue kamen unverhofft dazu. Manche blieben und sind immer noch da, andere wiederum verabschiedete ich erleichtert nach einem enttäuschenden One-Schreib-Stand. Auftragsmäßig also alles beim Alten in der neuen Normalität.