Corona 2020: Ungewiss gestrandet
Ein zweiwöchiger Heimaturlaub sollte es werden. Doch seit Februar gibt es für Eva Spalke kein Zurück in ihre Wahlheimat China. Stattdessen schlief sie wieder bei ihrem Vater auf der Couch.
Erfahrungsbericht: Eva Spalke
Mit 2020 geht für mich ein Jahr voller Hoffen und Bangen, voller Wut und Akzeptanz, voller Hin und Her zu Ende. Mal war es laut, dann wieder ganz leise. Viele Dinge waren neu und dann doch wieder seltsam vertraut. Es war ein Jahr, das mich wider Erwarten nach Deutschland brachte, ein Jahr unter Kastanienbäumen, zwischen Luftschlössern und betonharter Realität. Vor allem war er aber eins: ein Jahr der Ungewissheit. Kaum ein Tag zog ins Land, an dem ich nicht auf eine Nachricht aus China hoffte. Seit Februar hing ich in der Schwebe. Aus einem zweiwöchigen Heimaturlaub wurden zehn Monate bei Papa auf der Couch.
Kurzer Rückblick: Seit 2019 lebte und arbeitete ich als Dozentin an einer chinesischen Universität in der Provinz Shandong. Das Leben in China gefiel mir, ich hatte mich eingelebt, Freundschaften geschlossen, meine Routine gefunden. Meine Chinesischkenntnisse wuchsen, und ich konnte mir vorstellen, länger in diesem irrsinnig großen Land zu verweilen (www.daf.travel.blog).
Und dann kam Corona
Das erste Mal von diesem neuartigen Virus hörte ich am Esstisch meiner Tante. Sie hatte etwas davon in den Nachrichten gelesen. Fledermäuse, Lungenkrankheit, Ansteckungsgefahr. Ich winkte halbherzig ab, sagte „Ach, China ist so groß, das Virus ist weit weg“ und wir schenkten dem weiteren Verlauf vorerst keine große Aufmerksamkeit mehr. Bis dann der Tag kam, an dem mein Rückflug nach China gestrichen wurde. Kurz darauf die Annullierung sämtlicher Arbeitsvisa. Ich sowie hunderttausend andere durften nicht mehr nach China einreisen. Mir dämmerte es allmählich: Dieses Virus war im Begriff, mein komplettes Leben auf den Kopf zu stellen.
Im Frühjahr 2020 strandete ich also wohl oder übel in Deutschland. Meine Arbeit an der chinesischen Uni lief weiter: online. Die Internetverbindung zwischen Deutschland-China: bescheiden. Ich hatte keine Wohnung, keine Kleidung, kein Einkommen auf mein deutsches Konto. Statt einem bodenständigen Leben im Ausland stand ich nun mit scheinbar leeren Händen da.
Eins stand somit fest: Ich wollte so schnell wie möglich zurück nach China. Doch: Die Grenzen blieben geschlossen, Flüge gab es keine, die Infektionszahlen stiegen, und ein Ende der Misere war nicht in Sicht. Monat für Monat, Corona im Genick, fragte ich mich: Wie würde es weitergehen? Natürlich versuchte ich neben all dem Grübeln aber auch ein Leben im Hier und Jetzt, ein Leben in Deutschland. Und manchmal wollte es mir auch recht glücken. Ich verbrachte schöne Momente mit meiner Familie, mit Freunden von nah und fern, schloss neue Bekanntschaften (so gut das eben mit Social-Distancing möglich war), wanderte und machte Yoga. Ich entdeckte meine Heimat neu, beschritt Wege, die mir zuvor nie aufgefallen waren.
Irgendwann schien alles fast wieder normal. Die Fallzahlen waren gesunken, sowohl in Deutschland als auch in China, und es gab Tage, an denen dachte ich nicht mehr an das Virus. Und dann kam der 23. September. Ich machte gerade einen Spaziergang am Starnberger See, als eine Nachricht in meiner chinesischen App aufploppte: „Effective from 0 a m., 28 September 2020, foreign nationals holding valid Chinese residence permits for work, personal matters and reunion are allowed to enter China with no need for applying for new visas.” Hektisch schrieb ich dem Auslandskoordinator meiner Uni. Ausländer mit gültigem Visum dürften wieder einreisen. Das traf auf mich zu. Mit anderen Worten: Die Grenze war für mich wieder offen!
Kein Ende in Sicht
Doch plötzlich erfuhr ich von meinem Ansprechpartner in China: „Die Uni muss noch einwilligen, dass Sie zurück auf den Campus in Ihre Wohnung dürfen. Sie kommen aus dem Ausland, und wir müssen erst die Sicherheit prüfen.“ Das war mir neu. „Wie lange dauert diese Überprüfung?“, fragte ich. „Kann ein bisschen dauern. Ich sage Bescheid.“ Der Raum um mich herum schien sich auf einmal zu drehen. Davon hatte ich nichts gewusst.
Und damit nicht genug: Eines Morgens blickte ich auf mein Handy. Eine Eilmeldung blinkte auf. „Massentests in chinesischer Metropole“. Ich öffnete den Link, mein Herz klopfte. Neuer Infektionsherd gefunden, las ich, ausgehend von einem Krankenhaus. In meiner Stadt. Nun sollen alle neun Millionen Einwohner getestet werden, innerhalb der nächsten drei bis fünf Tage. Wie wird sich dieses Ereignis nun auf die Entscheidung der Uni auswirken?
Die Ungewissheit. Das Virus. Alles ist noch da. Auch wenn es kurz abwesend scheint, kann es schon im nächsten Moment wieder um die Ecke springen. Deshalb wird es weiterhin schwierig sein zu planen. Ich weiß ich nicht, wie sich die Universität entscheiden wird. Vielleicht dürfen wir zurückkommen. Vielleicht ist das Risiko auch zu groß. Es bleibt ungewiss.
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