Psychoterror am Arbeitsplatz
Machtmissbrauch gibt es auch im Job. Dazu gehört zum Beispiel Bossing, wenn Mobbing von Vorgesetzten ausgeht. Dabei sind die Methoden der Machtspielchen vielfältig. Das Ergebnis ist hingegen in den meisten Fällen gleich: Kündigung.
Text: Gerti Keller
Bloß kein „pawa-hara“! So nennen die Japaner umgangssprachlich Machtmissbrauch am Arbeitsplatz – und die Einstellung dazu hat im Land der aufgehenden Sonne, dessen Arbeiter*innen früher alles so still erduldeten, eine bemerkenswerte Wandlungsgeschichte hinter sich.
Und die geht so: Vor einigen Jahren tyrannisierte ein Chef in der Stadt Nagoya zwei seiner Angestellten. Er schlug und beschimpfte sie, dann zwang er sie auch noch dazu, ihre Kündigung selbst zu schreiben. Einer beging daraufhin Selbstmord, der andere klagte und bekam Schadensersatz. Dies setzte eine amtliche Kampagne gegen Machtmissbrauch von Vorgesetzten in Gang und mehr. Am 1. Juni 2020 trat ein Gesetz zur Vorbeugung von „Power Harassment“ in Kraft, kurz „pawa-hara“.
Seitdem müssen die Unternehmen des Landes präventive Maßnahmen ergreifen, um Mobbing von oben zu verhindern. Dabei haben die Gesetzeshüter ebenfalls sexuelle Belästigung im Blick; auch Schwangere und junge Mütter sind ausdrücklich vor dem „Herauskomplimentieren“ zu schützen. Denn die Palette, wer alles Opfer sein kann und was alles möglich ist, ist breit gefächert.
Von ausbooten bis kaltstellen
Bei Heike Willmann, die eigentlich anders heißt, zogen sich die Schikanen über zwei lange Jahre hin. Die Journalistin, die in einer PR-Agentur arbeitete, erzählt: „Ich konnte wirklich nichts in Eigenverantwortung erledigen. Ich schrieb im Jahr rund 100 Beiträge, durfte aber nicht eine Überschrift selbst texten. Außerdem hat mein Chef an allem Kleinkram herumgemeckert. Irgendwann hatte ich den Eindruck, dass ich gar nichts mehr richtig gemacht habe und an allem schuld war.“ Und dieser zermürbende Zustand ließ sich auch noch steigern.
Wie einmal, als ihrem Chef ein Fehler passierte und sie diesen berichtigen wollte, bevor es die Kund*innen merkten. „Kurz darauf bat man mich zum Personalgespräch mit der Geschäftsführerin. Er war auch dabei und redete dann eine Dreiviertelstunde lang. Sie hat währenddessen nur genickt. Am Ende hieß es, ich hätte ihn öffentlich nicht zu kritisieren, und erst dann haben sie mich gefragt, ob ich auch noch etwas zu sagen hätte.“
Weil die studierte Medienwissenschaftlerin danach überhaupt nicht mehr schlafen konnte, ließ sie sich daraufhin das erste Mal krankschreiben. Wieder zurück im Büro, hatte sich natürlich nichts geändert – nur, dass sie sich jetzt noch weniger traute: „Wenn ich nun einen Fehler entdeckte, dachte ich, ich sag lieber nichts mehr, ich weiß doch, was passiert.“ Wenn dieser aber einer Kollegin auffiel, wurde die dafür gelobt.
Der finale Tiefpunkt kam nach zwei Jahren: „Ich sollte bei strömenden Regen auf der Straße eine Umfrage machen. Ich sagte, ich würde noch ein wenig warten wollen, bis das Wetter sich bessert. Jeder weiß doch, wie gut eine Umfrage bei Regen klappt…. Das hat er mich zusammengefaltet und angeschrien. Das war das Ende. Ich habe auf der Arbeit einen Nervenzusammenbruch bekommen“, beschreibt die 35-Jährige, die mit dem, was sie erlebt hat, kein Einzelfall ist.
Laut ver.di sind für mindestens die Hälfte der Mobbingfälle die Vorgesetzten verantwortlich oder zumindest daran beteiligt. Statistisch gesehen sollen sogar 37 Prozent aller Vorfälle dieser Art von hierarchisch Höhergestellten ausgehen. Bei weiteren zwölf Prozent machen diese gemeinsame Sache mit Kolleg*innen. Dabei hat das sogenannte Bossing, ebenso wie Mobbing, viele Gesichter, und die Schikane-Klaviatur kennt viele Tasten.
Wer in Ungnade fällt, bekommt zum Beispiel gerne mal über Nacht sein angestammtes Aufgabengebiet entzogen, wird kaltgestellt und ins sogenannte „Sterbezimmer“ abgeschoben. Heißt, die neue Arbeit liegt dann weit unter den eigenen Fähigkeiten. Oder es passiert das Gegenteil, und die Betroffenen bekommen so viel auf den Tisch, dass sie dies schlichtweg nicht mehr bewältigen können.
Ein noch raffiniertes Machtspielchen ist unklares Briefing. Hier weiß das Opfer gar nicht genau was zu tun ist, soll aber „asap“ liefern. Außerdem bekommt man keine wichtigen Infos mehr und natürlich auch keine Fortbildung, geschweige denn eine Beförderung. Infolge des andauernden Stresses kommt es oft zu fachlichen Fehlern, was das Ganze zusätzlich befeuert. Aufgrund der Gruppendynamik geht Bossing zudem nicht selten mit der Ausgrenzung vom Team einher. Denn wer findet einen „Loser“, bei dem es nur noch Kritik hagelt und der vielleicht auch noch vor den anderen „runtergeputzt“ wird, noch „sexy“?
Insbesondere bei unberechenbaren Chef*innen ducken sich die Kolleg*innen häufig aus Angst um ihre eigene Position weg. Dabei ist der Druck, der auf den Leidtragenden lastet, oft noch bedrohlicher, wenn das Ganze ausgerechnet von oben ausgeht. Nicht selten geraten Opfer so in eine Abwärtsspirale. Erst kommt der Ärger, dann Scham und dann die Angst, auch um den Job, bis zur Depression.
Was kann man tun?
Klar ist: Das Selbstbewusstsein rutscht bei fortwährenden Kränkungen und Verunsicherungen schnell in den Keller. Geht Mobbing obendrein noch von einer Führungskraft aus, hat man einen noch schwereren Stand. Viele Betroffenen neigen verständlicherweise dazu, wie das Kaninchen vor der Schlange zu sitzen.
Auch Heike Willmann ging es so: „Man bezieht das alles ja erst einmal auf sich und fragt sich, bin ich wirklich so schlecht? Wer in einer solchen Situation steckt, dem fällt es sehr schwer, sich zu wehren oder nach einem neuen Job umzusehen. Ich habe doch selber geglaubt, dass ich nichts kann.“
Der beste Rat ist dennoch, nicht zu lange zu warten, sondern recht zügig aktiv zu werden. Denn schwelt der belastende Zustand weiter, verhärten sich die Fronten, und die Dynamik verselbstständigt sich. Da viele der Handlungen in einer schwer greifbaren Grauzone stattfinden, ist es zunächst empfehlenswert, ein Tagebuch darüber zu führen. Das macht es den Betroffenen zum einen leichter, sich selbst über die Ereignisse klar zu werden und etwas Distanz dazu zu finden, zum anderen lassen sich konkrete Vorfälle dokumentieren.
Falls möglich, sollte das Gespräch mit einem höheren Vorgesetzten gesucht werden. Das bringt aber, wie bei Heike Willmann, längst nicht immer etwas. Ansonsten kann man beim Betriebsrat oder der Personalabteilung Beschwerde einreichen.
Führt das alles zu keiner Besserung, empfiehlt es sich Unterstützung bei einem Coach, einer Therapeutin oder einer externen Beratungsstelle zu suchen. Im Gespräch kann der Konflikt analysiert und das weitere Vorgehen konkret besprochen werden. Ist eine Klärung oder Versetzung nicht möglich, was leider allzu oft zutrifft, bleibt nur die Kündigung.
Hilfe bei der Mobbinghotline
„In meinem Fall war ein Anruf bei der Mobbinghotline NRW sehr hilfreich. Die Psychotherapeutin dort hat sich fast eine Stunde Zeit für mich genommen. Sie gab mir auch ganz pragmatische Tipps, die sehr gut funktioniert haben, zum Beispiel, wie ich bei einer Kündigung aus psychischen Gründen keine Sperre beim Arbeitslosengeld bekomme. Als ich mich dann beim Arbeitsamt arbeitssuchend gemeldet habe, konnte ich gleich das richtige Formular vorlegen. Trotzdem bin ich dort noch in Tränen ausgebrochen, aber die waren wirklich ganz lieb und haben gesagt, dass man sich so etwas nicht gefallen lassen muss“, erinnert sich Willmann.
Der Gang zum Anwalt sollte nur die letzte Möglichkeit sein. Denn hierzulande entwickeln zwar vermehrt Unternehmen Leitlinien zur Vermeidung von Machtmissbrauch, im Gegensatz zu anderen Ländern, wie Schweden oder seit letztem Jahr auch Südkorea, haben wir aber immer noch kein spezielles „Anti-Mobbing-Gesetz“. Dennoch gilt für den Arbeitgeber eine Fürsorgepflicht. Das bedeutet, Mobbingopfer können auf Schmerzensgeld oder Entschädigung klagen und sogar eine Abfindung erhalten.
Allerdings enden viele dieser Verfahren in Vergleichen oder werden gleich abgewiesen. Heike Willmanns Resümee lautet: „Ich ärgere mich am meisten über mich selbst, dass ich das so lange mitgemacht habe. Es trifft ja oft die fähigen Leute. Ich habe erst hinterhergemerkt, wie gut ich in meinen Job bin. Der Typ war einfach ein Narzisst. Er war der Gott in seinem kleinen Universum. Ich saß da blöderweise auch rum und nahm mir das alles viel zu sehr zu Herzen.“ Nach ihrer Kündigung hat sie übrigens eine Weiterbildung absolviert und ist heute glücklich bei einem anderen Arbeitgeber.
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