„DaF/DaZ-Lehrende sind prekär beschäftigt“
Nicht nur die Unterrichtszeit, auch die Vor- und Nachbereitung muss DaF/DaZ-Lehrkräften ausreichend vergütet werden.

„DaF/DaZ-Lehrende sind prekär beschäftigt“

Geringe Honorare, unbezahlte Überstunden, befristete Beschäftigung – gegen solche Missstände kämpft das DaF/DaZ-Bündnis seit 2016 an und gibt den Lehrkräften eine Stimme.

Interview: Sarah Kröger

Die promovierte Linguistin Dr. Claudia Liehr-Molwitz ist hauptberuflich als DaZ-Lehrkraft tätig. Foto: privat

Dr. Claudia Liehr-Molwitz ist Teil des Sprecherteams des Bündnisses DaF/DaZ-Lehrkräfte.

WILA Arbeitsmarkt: Warum gibt es das Bündnis DaF/DaZ-Lehrkräfte?
Claudia Liehr-Molwitz: Das Bündnis DaF/DaZ-Lehrkräfte ist eine bundesweite Interessensvertretung von Lehrkräften, die im Bereich Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache hauptberuflich tätig sind und damit einen entscheidenden Beitrag zur Integration von Migrantinnen und Migranten leisten.

Trotz dieser anspruchsvollen Arbeit arbeiten viele der Lehrkräfte in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Deshalb setzen wir uns gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen ein. Das Bündnis wurde 2016 in Hannover von 21 Initiativen gegründet, mittlerweile haben sich dem Bündnis fast 40 Regionalgruppen bundesweit angeschlossen.

"Die Honorarkräfte tragen das volle Betriebsrisiko der Träger."

DaF/DaZ-Unterricht ist zurzeit sehr gefragt. Wirkt sich das positiv auf die Arbeitsbedingungen aus?
Leider nein, sowohl die selbstständigen als auch die angestellten DaF/DaZ-Lehrenden sind prekär beschäftigt. Selbstständige, die für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) arbeiten, steht ein Mindesthonorar von 35 Euro pro Unterrichtseinheit zu. Fast alle Träger zahlen auch nur dieses. Bei 25 Unterrichtseinheiten pro Woche – mit Vor- und Nachbereitung entspricht dies circa 39 Zeitstunden – sind das brutto circa 3.000 Euro. Davon zahlen die Selbstständigen 100 Prozent der Renten-, Kranken- und Pflegekassenbeiträge, im Krankheitsfall gibt es keine Lohnfortzahlung.

Und wenn ein Träger keine Anschlusskurse für die Lehrkräfte hat, haben sie auch keine Einnahmen. Somit tragen die Honorarkräfte das volle Betriebsrisiko der Träger. Netto bleiben ungefähr 1.500 Euro übrig, Krankheit und Pausen zwischen den Kursen nicht einberechnet. Wenn man bedenkt, dass die Tätigkeit ein abgeschlossenes Hochschulstudium, viele Zusatzqualifikationen und ein großes Engagement voraussetzt, ist das skandalös.

"Einjahresverträge und sogar Halbjahresverträge werden abgeschlossen."

Geht es den angestellten Lehrkräften besser?
Bei den Angestellten überwiegen die befristeten Verträge. Einjahresverträge und sogar Halbjahresverträge werden abgeschlossen. Im Vertrag werden 40 bis 50 Unterrichtseinheiten für eine Vollzeitstelle vereinbart. Das muss man sich mal vorstellen! Lehrkräfte im öffentlichen Schuldienst arbeiten circa 25 Unterrichtseinheiten pro Woche. Die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts wird bei angestellten DaF/DaZ-Lehrkräften nicht mitbezahlt. Wenn sie das trotzdem machen möchten, müssen sie eine Arbeitszeit von bis zu 60 Zeitstunden wöchentlich in Kauf nehmen. Dabei kann man ohne Vor- und Nachbereitung gar keinen qualitativ hochwertigen Unterricht anbieten.

In Alpha- und Integrationskursen ist viel Unterrichtsvorbereitung notwendig, um den Unterrichtsstoff dem niedrigen Sprachstand der Teilnehmer/innen der jeweiligen Gruppe anzupassen. Ab B2-Niveau müssen anspruchsvolle Briefe, bei C1-Kursen Erörterungen korrigiert werden. Die Angestellten erhalten für diese 60 Zeitstunden wöchentlich meistens weniger als 3.000 Euro brutto im Monat.

Für die Träger sind befristete Beschäftigungsverhältnisse lukrativ, da selbst nach Abzug von Sozialleistungen Angestellte günstiger für sie sind als freie Mitarbeiter. Den Angestellten bieten sie trotzdem keine wirkliche soziale Sicherheit. Sie bekommen zwar bezahlten Urlaub und können sich krank melden. Aber wenn sie mal länger krank sind und ihr Vertrag nach kurzer Zeit ausläuft: Dann war es das. Das ist eine Scheinsicherheit. Soziale Sicherheit bieten nur unbefristete Beschäftigungsverhältnisse.

Wie setzt sich Ihr Bündnis für die Situation der DaF/DaZ-Lehrkräfte ein?
Wir führen Gespräche mit Behörden und Politiker/innen auf Bundes-, Länder und Lokalebene. Zum Beispiel haben wir 2019 einen Brief an alle Mitglieder des Haushaltsausschusses des Bundestages geschrieben. Darin haben wir die Antwort der Bundesregierung korrigiert, die sie auf eine Anfrage der Grünen zu den Einkommensverhältnissen gegeben hat.

Es wurden im Grunde falsche Zahlen genannt und geantwortet, dass einer DAZ-Honorarkraft 3.750 Euro Bruttoeinnahmen, statt wie schon beschrieben 3.000 Euro im Monat zur Verfügung stehen. Bei der Rechnung wurden keine Urlaubs- und Krankheitszeiten berücksichtigt, nicht einmal die gesetzlichen Feiertage. Auch mit den Gewerkschaften besteht eine intensive und gute Zusammenarbeit.

"In der Bewertungskommission des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist genau ein Platz von zwanzig für Lehrkräfte vorgesehen!

Wie ist das Bündnis sonst noch aktiv?
Wir konnten erreichen, dass eine DaF/DaZ-Lehrkraft einen Platz in der Bewertungskommission des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat. Die Kommission begleitet die Entwicklung der Integrationskurse qualitativ. Hauptsächlich sind die Plätze von Wissenschaftlern und Behördenvertretern besetzt. Genau ein Platz von zwanzig ist in der Kommission für Lehrkräfte vorgesehen! Vorher gab es nicht einmal einen.

Wünschenswert wäre es, wenn mehr Menschen aus der Praxis dort vertreten wären, wenn also der Anteil an Lehrkräften höher wäre. Wir sind aber auch schon sehr froh, dass überhaupt eine Vertreterin unseres Berufes dabei sein darf. Abgesehen davon gehen wir oft auf die Straße, um auf unser Anliegen aufmerksam zu machen. Dank dieser Aktionen sind wir regelmäßig in den Medien. Auf unserer Webseite bieten wir zudem sehr gutes Infomaterial an. Neben Unterrichtsmaterial auch Informationen zu Themen wie Urlaubsentgelt, Scheinselbstständigkeit oder Datenschutz.

"Die Politik muss Maßnahmen ergreifen, um die Lage in der Weiterbildung zu verbessern."

Was muss sich politisch ändern, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern?
Wir fordern eine realistische Finanzierung von Weiterbildung und Integration und eine Erhöhung der Trägerpauschalen. In Hamburg verlangen wir zum Beispiel, dass ein Prozent der Bildungsausgaben für Weiterbildung ausgegeben wird, statt 0,46 Prozent. Das wünschen wir uns auch bundesweit. In der Weiterbildung arbeiten circa 700.000 Menschen in Deutschland. Das ist vergleichbar mit der Anzahl der Menschen, die im öffentlichen Schuldienst arbeiten.

Und wie viel wird für öffentliche Schulen ausgegeben? Das ist ein krasses Missverhältnis. Daher fordern wir die Angleichung der Arbeitsbedingungen und der Vergütung von hauptberuflichen Lehrkräften an die im öffentlichen Schuldienst. Die Politik muss Maßnahmen ergreifen, um die Lage in der Weiterbildung zu verbessern. Was Arbeitsminister Hubertus Heil aktuell im Bereich der Pflege tut, muss auch endlich in der Erwachsenenbildung passieren.

"Bei DaF/DaZ- Lehrkräften spiegelt sich die strukturelle Diskriminierung von Frauen wieder."

Was fordert das Bündnis noch?
Die Aufwertung von Frauenerwerbsarbeit. Denn in den Arbeitsbedingungen von DaF/DaZ- Lehrkräften spiegelt sich die strukturelle Diskriminierung von Frauen wieder. Diese sind zu 80 Prozent weiblich. Auf Seiten der Politik wird häufig argumentiert: „Das sind doch sowieso alles reiche Zahnarztfrauen. Die können ja heiraten und sind dann versorgt.“ Tatsächlich sind unter den in DaF/DaZ-Kursen tätigen Frauen sicher mehr alleinerziehende Mütter als Zahnarztfrauen.

Außerdem setzen wir uns für kostenlose Fortbildungsmöglichkeiten und die Freistellung vom Unterricht während der Fortbildungen ein. Die Kolleginnen und Kollegen bilden sich oft nicht fort. Sie müssen 60 Stunden in der Woche arbeiten, wann sollen sie zur Fortbildung gehen? Dann sollen sie dafür noch bezahlen – dafür verdienen sie aber zu wenig. Die Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in Hamburg können sich zum Beispiel umsonst am Landesinstitut für Lehrerfortbildung fortbilden. Das ist eine große Ungerechtigkeit.

Sind Sie zufrieden mit dem, was schon erreicht wurde?
Auf der einen Seite ja, da wir wichtige Kontakte zur Politik knüpfen konnten und ein Bewusstsein für die Situation der DaF/DaZ-Lehrkräfte geschaffen haben. Das ist schon ein riesiger Unterschied zu der Situation vor 2016, bevor wir uns gegründet haben. Es gab keine richtige bundesweite Interessensvertretung, nur kurzlebige Initiativen und viele einzelne arme Lehrkräfte, die am Limit gearbeitet haben und ohne Stimme waren.

Niemand hat sie für voll genommen. Jetzt werden wir als Partner für die Gewerkschaften wahrgenommen, letztendlich auch schon als Partner für die Politik und Medien. Wir sind auch davon überzeugt, dass wir 2016 mit unseren Demos, offenen Briefen und Medienberichten über uns einen großen Beitrag dazu geleistet haben, dass die Regierung das Mindesthonorar in den BAMF-Kursen von 23 Euro auf 35 Euro erhöht hat. Auf der anderen Seite ist es jedoch völlig unverständlich, dass es im Jahr 2020 immer noch solcherart prekäre Beschäftigung in einem für die Gesellschaft so wichtigen Bereich gibt und dies alles im staatlichen Auftrag.

"Je mehr Lehrkräfte mitmachen, desto stärker sind wir."

Wie können unsere Leserinnen und Leser Sie unterstützen? Gibt es zum Beispiel eine Petition, die unterschrieben werden kann?
Erst letztes Jahr haben wir eine Petition gestartet, die fast 6.000 Personen unterschrieben haben. Diese ist schon abgeschlossen, und wir wollen sie jetzt der Bundesministerin für Bildung und Forschung übergeben. Aber auch so möchten wir Sie alle ermutigen mitzumachen! Egal, ob jemand sich einer Ortsgruppe anschließt oder selbst eine gründet: Wir freuen uns über jede Person, die sich engagiert. Je mehr Lehrkräfte mitmachen, desto stärker sind wir.

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