Arbeiten im Gefängnis
Verschlossene Türen, Videoüberwachung, Klient/innen in Handschellen – an die Arbeit im Gefängnis muss man sich gewöhnen. Doch wem das gelingt, kann in einer Justizvollzugsanstalt die eigene Berufung finden.
Text: Melissa Strifler
Eine sichere Arbeitsstelle mit guten Aufstiegsmöglichkeiten – klingt zu gut, um wahr zu sein? Doch laut Timo Schrott gibt es sie, wenn auch die Rahmenbedingungen nicht ganz alltäglich sind. Denn der Staatsanwalt und Pressesprecher des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz spricht vom Einsatz in Strafvollzugsanstalten.
Hier werden nicht nur Beamte im Allgemeinen Vollzugsdienst benötigt, die verurteilte Menschen bewachen, sondern zum Beispiel auch Seelsorger, Pädagoginnen und Psychologen. Diese Fachkräfte müssen allerdings nicht nur bereit sein, hinter Gittern zu arbeiten. Denn wer in einem Gefängnis beruflich aktiv sein möchte, braucht einige spezielle Qualifikationen. Dazu zählen unter anderem geistige Beweglichkeit, hohes soziales Engagement zum Schutz der Allgemeinheit, Verantwortungsbereitschaft, Entscheidungsfreude sowie physische und psychische Belastbarkeit.
Soft Skills sind ein Muss
Jede/r, der oder die in einer Justizvollzugsanstalt arbeiten möchte, sollte gut mit Menschen umgehen können und auch dazu bereit sein, im Team zu arbeiten. Timo Schrott merkt an: „Neben einer fundierten fachlichen Ausbildung wird in allen Fällen bei Bewerberinnen und Bewerbern die Fähigkeit und Bereitschaft erwartet, im Justizvollzug im direkten Kontakt mit Gefangenen zu arbeiten. Hierzu sind eine ausgeprägte Kommunikations- und Teamfähigkeit, hohe Leistungsbereitschaft, Stressresistenz sowie Organisations- und Leitungsvermögen erforderlich.“
Und noch eine zentrale Voraussetzung müssen Expertinnen und Experten erfüllen, die mit Straftäterinnen und Straftätern arbeiten möchten: Sie müssen den Häftlingen genügend Empathie entgegenbringen, um sich in sie hineinversetzen zu können und trotzdem den nötigen Abstand halten, um ihnen ausreichend helfen zu können und die Arbeit nach Feierabend nicht mit nach Hause zu nehmen.
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Eine große Herausforderung, die, laut Timo Schrott, jedoch gut bezahlt wird und einen abwechslungsreichen Job verspricht. Gleichzeitig birgt der Einsatz im Gefängnis aufgrund der hohen Sicherheitsanforderungen für Mitarbeiter/innen allerdings auch einige Einschränkungen – oft fallen außerdem Schicht- und Wochenenddienste an. Die meisten Beschäftigten in Gefängnissen arbeiten im Allgemeinen Vollzugsdienst, dicht gefolgt von Sozialarbeitern und Psychologinnen. Seelsorger und Ärztinnen sind am dünnsten besetzt. Der Anteil weiblicher Bediensteter liegt laut Timo Schrott unter Berücksichtigung aller Berufsgruppen bei rund 22 Prozent.
Die Annahme, dass für Frauen der Umgang mit männlichen Häftlingen schwieriger sein könnte als für ihre männlichen Kollegen teilt der Pressesprecher nicht: „Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Bedienstete mit Gefangenen ihres eigenen Geschlechts besser oder schlechter zurechtkommen. Der Umgang mit den Gefangenen ist hauptsächlich ausgerichtet an der individuellen Persönlichkeit des Häftlings, die – unabhängig vom Geschlecht – sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann.“
Als Lehrerin im Strafvollzug
Ursula Franz arbeitet bereits seit 13 Jahren als verbeamtete Lehrerin in der JVA München und gehört damit zur Besoldungsgruppe A13. „Frauen im Männervollzug haben es nicht schwerer, ganz im Gegenteil“, erklärt sie. „Oft erlebt man Respekt und ein zuvorkommendes Verhalten. In der Regel ist das Unterrichten um Welten angenehmer als ‚draußen‘.“
Außerdem versucht Ursula Franz vieles mit Humor zu sehen und rät allen, die mit Menschen arbeiten, denen Gewalt und Grenzüberschreitungen nicht fremd sind, eine gewisse Unerschrockenheit an den Tag zu legen. „Man sollte die Fähigkeit haben, dennoch in diesen Menschen das Gute zu erkennen und zu stärken“, erklärt die 56-Jährige. Für sie ist es außerdem eine wichtige Voraussetzung, vor dem Job in einem Gefängnis schon viel Berufserfahrung gesammelt zu haben – für ein selbstbewusstes Auftreten.
Sie selbst hat nach dem Abitur fünf Jahre lang Lehramt studiert mit dem Schwerpunkt Lernbehindertenpädagogik und Verhaltensgestörtenpädagogik. Danach absolvierte Ursula Franz ihr Referendariat zwei Jahre lang im Förderzentrum in Eggenfelden, anschließend unterrichtete sie drei Jahre als Lehrerin im Förderzentrum Grafenau.
Viele Erfahrungen sammelte die Lehrerin zudem ganze 12 Jahre lang an einer Schule für Erziehungsschwierige in Augsburg. Eine spezielle Qualifikation für eine/n ‚Gefängislehrer/in‘ gibt es laut Ursula Franz nicht. „Ich möchte den Menschen, die aufgrund vielfältiger Lebensumstände hier bei uns in der JVA gelandet sind, vermitteln, dass sie wertvoll, wichtig und liebenswert sind“, erklärt sie ihre Motivation für diesen Beruf. „Ich möchte ihnen durch die Vermittlung von Bildung Stärke mitgeben für ein hoffentlich straffreies Leben.“
Für die Zukunft der Häftlinge
Die Lehrerin berichtet, dass die Gefangenen in der Regel sehr lernwillig seien. Deshalb mache ihr ihre Arbeit auch Spaß – von A bis Z. Trotzdem nimmt sie die Schicksale, die ihr bei der Arbeit begegnen, oft mit nach Hause. Ursula Franz unterrichtet alle Fächer. Von Deutsch und Mathematik über Ethik und Englisch bis hin zu Hauswirtschaft in Theorie und Praxis. Gefangene können zwei verschiedene Kurse in der JVA München belegen.
Jeden Herbst startet ein Kurs, in dem sie einen Mittelschulabschluss absolvieren können, jeden Sommer haben sie die Möglichkeit, einen qualifizierenden Mittelschulabschluss zu erreichen. In einigen Justizvollzugsanstalten gibt es auch die Möglichkeit, Realschulabschluss und Abitur nachzuholen.
Von acht bis elf Uhr unterrichtet Ursula Franz. Nachmittags steht Nachhilfe auf dem Stundenplan. Regelmäßig finden Tests statt, die benotet werden – das Zeugnis für die Schüler und Abschlussprüfungen werden in einer Partnerschule, einer ‚normalen‘ Mittelschule, ausgestellt. Ein Kurs mit höchstens 12 Schülern dauert vier Monate, der Lehrplan entspricht dem Lehrplan des allgemeinen Schulsystems. „Die Klassen sind sehr heterogen, sowohl von der Leistung als auch vom Alter.“
Genau darin sieht Ursula Franz die größte Herausforderung – aus einer heterogenen Gruppe einen gut funktionierenden Kurs zu entwickeln. Darüber hinaus macht für die Lehrerin der Mix die Spannung in dem Beruf aus – es steht nicht nur der Unterricht an, sondern auch die Zusammenarbeit mit vielen verschiedenen Bereichen wie mit den Justizvollzugsbeamten, Fachdiensten, Gerichten, Anwält/innen und der Verwaltung.
Ein Job wie jeder andere
In der JVA München gibt es außerdem Berufsschulunterricht für die Lehrlinge unter den Gefangenen. Franz gibt neben diesen Kursen auch speziell Deutsch – und Seminare für Analphabeten, berät die Gefangenen in beruflichen, schulischen Anliegen, betreut Praktikanten, führt Vollzugspläne fort und dokumentiert darin, wie sich die Gefangenen entwickeln und welche Maßnahmen und Behandlungen in Zukunft notwendig sind. Zusätzlich organisiert die Lehrerin Gesellenprüfungen, Schulabschlüsse und versucht auch, es den Gefangenen zu ermöglichen, eine in Freiheit begonnene Prüfung im Gefängnis fortzuführen beziehungsweise abzuschließen.
Dass ihre Arbeitsstelle ein Gefängnis ist, blendet die Münchnerin nach mittlerweile 13 Jahren aus. „Man macht sich darüber keinerlei Gedanken mehr.“ Im Alltag muss sich Ursula Franz zwar mit Verzweiflung, Gewalt und Verbrechen auseinandersetzen. Die 56-Jährige lässt das allerdings nicht so nahe an sich heran, indem sie versucht, das Positive zu sehen. „Durch viele positive Erlebnisse hier bekommt man die Kraft für alles andere. Es sind außerdem immer Kollegen da, die bereit für ein Gespräch sind.“
Alle paar Wochen geht Ursula Franz privat in eine Supervision, um sich über Konflikte, Probleme und den ganz normalen Alltag auszutauschen. Dass der ungewöhnliche Arbeitsort für das private Umfeld allerdings ein Problem sein kann, hat Ursula Franz auch bereits erlebt: „Mein damaliger Lebensgefährte war sehr dagegen, ansonsten hat sich der Freundeskreis schnell damit abgefunden.“
„Meine Buben“
Ursula Franz steht selbstsicher vor ihren Schülern an der Tafel. Nur, wenn viele junge Schüler einen Kurs belegen, ist es für Franz schwieriger, für Ruhe zu sorgen. „Man muss dann sehr viel mehr Didaktik anwenden als bei einem Erwachsenenkurs. Leider muss ich sagen, dass ich das Gefühl habe, bei Erwachsenen mehr verändern zu können.“ Franz beschreibt sie als reflektierter.
„Sie verstehen, dass das Gefängnis nicht der Wunschort für eine Lebensplanung ist. Die Jugendlichen sehen den Gefängnisaufenthalt noch sehr als Abenteuer.“ Die Schüler sieht Ursula Franz als „ihre Buben“. Dass es sich um Kriminelle handelt, blendet sie während des Unterrichts aus. „Für mich sind es Schüler, meine Buben. Außerhalb der Arbeit denke ich natürlich über viele Delikte nach und auch über die Geschädigten, das ist nicht immer leicht.“
Als Sozialpädagoge im Gefängnis
Eine weitere wichtige Anlaufstelle für die Insassen der JVA München ist Lothar Hackling. Der Sozialpädagoge ist in erster Linie beratend tätig. Er gibt den Gefangenen Informationen und Orientierung zum Vollzug mit all seinen eigenen Abläufen, Regeln und Vorgängen. Außerdem hilft er den Häftlingen, sich im strafrechtlichen Verfahren besser orientieren zu können. Gesprächsbereitschaft und ein offenes Ohr für die Straftäter, der Wille zur Kooperation sowie die Empathie für Gefangene und gegenüber den Kollegen sind dabei Grundvoraussetzungen.
„Jeder, der diesen beruflichen Weg einschlagen möchte, sollte den Willen haben, den Menschen auf Augenhöhe und mit Respekt gegenüber zu treten,“ erklärt der 59-Jährige. Schon seit 21 Jahren arbeitet Lothar Hackling in der JVA München. Für ihn wurde es im Laufe der Zeit normal, dass der ganze Arbeitsbereich mit Videoüberwachung, Alarmanlagen und Notfallknöpfen ausgestattet ist. „Auch diese Arbeit hat eine Routine, die wichtig und entlastend ist“, erklärt der Sozialpädagoge.
Der Münchner hat Katholische Theologie an der Universität Passau studiert, arbeitete fünf Jahre in der Seelsorge Köln und studierte daraufhin Soziale Arbeit an der katholischen Stiftungsfachhochschule München. Ein solches Studium sowie Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, Gruppenarbeit und Gesprächsführung zählen für Hackling zu den wichtigen Qualifikationen für diesen Beruf. Dabei braucht man aber auch ein grundsätzliches Interesse, mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen arbeiten zu wollen.
Arbeit mit Effekt
Die Bezahlung allerdings sei bei gleicher Arbeit sehr ungleich und unterschiedlich im Vergleich zu den verbeamteten Mitarbeiter/innen geregelt. Als Tarifangestellter wird der Sozialpädagoge nach der Entgeltgruppe 10 sowie nach Lebensaltersstufen bezahlt. So würden berufliche Qualifikationen nicht angemessen entlohnt werden.
Statt der Bezahlung hat jedoch Sinnhaftigkeit und Spaß an der Arbeit für Hackling Priorität. „Ich möchte, dass meine Arbeit sinnvoll ist und einen Effekt hat. Dies kann ich in diesem Beruf auf jeden Fall bejahen – auch wenn die Effekte nicht immer sichtbar und erkennbar sind“, erklärt Hackling. „Was mich zudem interessiert und herausfordert, ist die persönliche Begegnung mit Menschen aus aller Welt.
Der vollzugliche Arbeitsbereich hat außerdem den Vorteil, dass die Gefangenen nicht alkoholisiert oder unter Drogen stehen, sondern in der Regel einen ‚klaren Kopf‘ haben, wenn man mit ihnen arbeitet und sie berät.“ Zwar muss sich der Sozialpädagoge an den Ablauf der JVA halten, hat aber trotzdem einige Spielräume, wie er seine Arbeit gestalten und organisieren kann. Allerdings erhielten reine Beratungstätigkeiten und bürokratische Abläufe immer mehr Raum. Behandlung und Betreuung sei nur noch sehr begrenzt möglich.
Qualifikationen im Blick behalten
In diesem Beruf gibt es intern einige Entwicklungsmöglichkeiten wie Fortbildungen in der eigenen Justizvollzugsakademie sowie jährliche Fachdiensttreffen. Allerdings merkt Hackling auch an, dass Supervision und kollegiale Beratung nicht selbstverständlich angeboten werden.
„Ich habe meist mit Untersuchungsgefangenen zu tun, mit denen ich aufgrund hoher Fluktuation in der JVA leider nur kurze und wenige Kontakte habe.Die ersten Gespräche und Begegnungen sind meist Entlastungsgespräche und das Beantworten wichtiger Fragen zur aktuellen Haftsituation.“ Lothar Hackling warnt, dass man bei der Vielzahl an Zu- und Abgängen von Gefangenen sehr darauf achten muss, seine menschlichen und fachlichen Schwerpunkte und Prioritäten nicht zu verlieren:
„Da ich mit besonders vielen Menschen nur sehr kurz zu tun habe, ist es wichtig in den Gesprächen und Begegnungen, in denen es immer wieder um gravierende und existentielle Dinge geht, wach und aufmerksam zu bleiben.“ Denn laut Lothar Hackling wollen einige Gefangene etwas ändern. „Dazu bräuchten sie aber viel intensivere und individuelle Hilfen, die der Vollzug nicht leistet beziehungsweise leisten kann.“
Verzehrtes Bild in den Medien
Familie und Freunde waren anfangs besorgt über Lothar Hacklings Arbeitsplatz. Doch mit der Zeit gab es immer mehr Interesse und neugierige Fragen zu seinem Alltag. „Die Filme und Bilder aus den Medien geben oft ein falsches und verzerrtes Bild vom Strafvollzug wieder. Zudem ist die Situation von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Die Frage, ob es hier gefährlich sei, habe ich immer so beantwortet, dass es draußen oft viel gefährlicher ist und dort ja auch die Straftaten passieren.“
Auf die Frage, ob der Sozialpädagoge das Gefühl hat, dass er den Gefangenen helfen kann, antwortet er ganz klar: „Da müsste man erst definieren, was helfen ist.“ Denn nur, weil er mit Gefangenen arbeitet, werden diese nicht zu einem anderen Menschen. Sozialtherapien in Haft und im Rahmen der Entlassungsvorbereitung können zwar helfen, doch davon können laut dem Pädagogen nur wenige profitieren.
„Für die allermeisten wird viel zu spät und zu wenig an therapeutischen und sozialen Hilfen getan“, erklärt Hackling. „Resozialisierung braucht viel menschlichen Einsatz und Engagement. Leider werden erst dann, wenn ein schweres Verbrechen vorliegt, mehr Angebote und intensivere Hilfe ermöglicht.“ In den ersten acht Jahren als Sozialpädagoge hat Hackling als pädagogischer Leiter der Jugendabteilung viel mit Heranwachsenden zusammengearbeitet. „Bei Jugendlichen ist die Justiz eher bereit, ihre Entwicklung zu unterstützen und in eine straffreie Richtung zu führen.“
Doch auch das sei oft nicht ausreichend, denn die Probleme liegen bei Jugendlichen oft im sozialen Umfeld, aus dem sie kommen – und in das sie nach der Haftstrafe oft auch wieder zurückgehen. „Insofern ist der Strafvollzug auch ein Spiegelfeld unserer Gesellschaft, in der zu viele Menschen nicht zurechtkommen. Es braucht mehr Orte, wo Selbstbewusstsein, soziale Kompetenzen und Frustrationstoleranz erlernt werden können.“