Ruhig etwas höher stapeln
Man muss es ja nicht übertreiben, aber etwas weniger Bescheidenheit täte Berufstätigen manchmal gut. Denn sich selbst mit den eigenen Leistungen ins rechte Licht zu rücken, gehört zum kleinen Einmaleins der Karriereplanung.
Text: Andreas Pallenberg
Hochstaplerinnen und Hochstapler waren immer faszinierende Personen. Sie schafften es wie Thomas Manns Felix Krull in die hohe Literatur oder in die Schlagzeilen, wie der Postbote Gert Uwe Postel, der sich jahrelang völlig unbehelligt und erfolgreich als Psychiater und Chefarzt ausgab. Auch das Maler- und Kunstfälscherpaar Helene und Wolfgang Beltracchi, die mit Grandezza und handwerklich brillantem Können den Kunstmarkt täuschten, schmückten sich mit großen Namen, als sie ihre „verschollenen Werke“ der klassischen Moderne geschickt vermarkteten.
Was uns fasziniert, ist die Frechheit, mit der solche Leute ihre Umgebung täuschen, wie sie geradezu respektlos und hemmungslos mit Namen, Hierarchien und Dünkel jonglieren. Sie schwindeln sich in feste Gefüge, fälschen, bis es kracht und täuschen, indem sie die Gier, die Arglosigkeit und die Eitelkeit anderer schamlos für sich nutzen. Aber sie wollen nichts entlarven wie Undercover-Agentinnen oder investigative Journalisten. Sie arbeiten nur für ihren Vorteil. Werden sie enttarnt, geht es schon mal in den Knast. Quel dommage! Zeit, um Biografien zu schreiben. Manche wurden Bestseller.
Natürlich sind Betrüger und Hochstaplerinnen keine Vorbilder. Sie sind Kriminelle und werden entsprechend zur Rechenschaft gezogen. Aber man kann auch etwas von ihnen lernen.
„Bescheidenheit ist eine Zier …
… doch weiter kommt man ohne ihr“. Diese meist augenzwinkernd vorgetragene Weisheit drückt das Dilemma aus, in dem sich Berufstätige während ihrer Karriere befinden. Privat und persönlich vielleicht sogar zur Bescheidenheit erzogen – die alten Poesiealben waren voll mit entsprechenden Empfehlungen –, müssen viele Berufstätige erkennen, dass ihre Zurückhaltung für das berufliche Vorwärtskommen wie eine Bremse wirkt.
Die einen streifen sie ab und erschließen mit Selbstbewusstsein den Nutzen anderer „Tugenden“ in der Berufswelt, die anderen unterwerfen sich weiterhin den „guten Sitten“, denn sie wollen schließlich nicht Teil einer ethisch bedenklichen Ellenbogengesellschaft werden. Sie verachten die Rücksichtslosigkeit und das „fette“ Auftreten der Hochstaplerinnen und Hochstapler, die außer viel Getöse kaum etwas zu bieten haben. Sie wollen vielmehr mit ihrer Kompetenz wahrgenommen, mit tatsächlicher Leistung akzeptiert und als seriöse und fundierte Fachkräfte gesehen werden.
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Das Tragische dabei ist, dass ihre Kompetenz nicht immer und überall wahrgenommen wird, insbesondere, wenn es um die Vermarktung der eigenen Fähigkeiten im Rahmen von Bewerbungsverfahren oder der weiteren Karriere geht. Sich selbst ins rechte Licht zu rücken, gar die eigenen Fähigkeiten herauszustellen und schließlich stolz zu sein auf Geleistetes, fällt vielen schwer. Sie wollen sich auf keinen Fall besser darstellen, als sie sind und gefallen sich mitunter sogar mit Understatement. Sie machen sich kleiner, als sie sind.
Ein großer Fehler, der sich besonders im Berufsleben als fatal herausstellt. Wer sich eher zurücknimmt, macht Platz für die Hochstaplerinnen und Schaumschläger, die es verstehen, ihre bisweilen deutlich geringere Kompetenz laut lärmend durchzusetzen. Es ist falsche Bescheidenheit, dem nichts entgegenzusetzen, auch wenn es einem widerstrebt, sich auf solche Verhaltensweisen einzulassen.
Man muss ja nicht ins gleiche Horn tuten, aber man sollte sich darin üben, die eigenen Fähigkeiten in entscheidenden Momenten deutlich zu platzieren. Dazu muss man sich seiner eigenen Fähigkeiten bewusst werden und sie auch als wertig betrachten. Nur mit diesem Selbstbewusstsein gelingt es, sich gegenüber den Phrasendrescher/innnen zu behaupten. Dazu gehört auch die Strategie, die entscheidenden Personen zum richtigen Zeitpunkt einzubinden.
Tue Gutes und rede darüber
Wer dagegen passiv darauf wartet, irgendwann als Genius entdeckt zu werden, kann lange warten. Die eigenen Qualitäten mögen noch so brillant sein – sie sprechen nicht für sich, weil sie nicht sprechen können. Das muss man schon selbst machen. Etwas Marketing in eigener Sache ist noch lange keine Hochstapelei, sie ist viel eher notwendige Kommunikation, um im Berufsleben wahrgenommen zu werden.
Das wird auch von Arbeitgeberseite erwartet, denn Chefs und Personalleiterinnen können sich nicht auf Spekulationen und Ahnungen allein verlassen, wenn sie die Fähigkeiten ihrer Angestellten einschätzen wollen. Sie brauchen schon etwas mehr Input als bloße Fakten und Ergebnisse, nämlich deutliche Botschaften und Signale als Futter für die Beurteilung der Gesamtperformance ihrer Mitarbeiter/innen.
Arbeitgeber müssen es einem auch zutrauen, zum Beispiel mehr Verantwortung zu übernehmen. Deshalb gilt es, Hinweise auszusenden, mit denen man sich für neue Projekte – „gerne auch in leitender Funktion“ – ins Gespräch bringt. Wer sich dagegen lieber zurückhält und anderen den Vortritt lässt, sich also selbst nicht viel zutraut, wird auch von Vorgesetzten eher übersehen. Und es geht um mehr, als nur darum, wahrgenommen zu werden.
Das Ende der Bescheidenheit ist dann erreicht, wenn man aus der Passivität heraustritt und zum Beispiel aktiv um ein Mitarbeitergespräch bittet, in dem man sich – gezielt vorbereitet – für höhere Aufgaben empfiehlt oder neue Projektideen und Verbesserungsvorschläge unterbreitet. Aktuell erlebte Erfolge können auch zum Anlass genommen werden, bei dieser günstigen Gelegenheit noch einmal über das Gehalt zu verhandeln.
Hey Chef, ich brauch‘ mehr Geld
In Bewerbungsverfahren geht es oft um Gehaltspoker. Etwas Hochstapelei ist auch dabei nützlich, wenngleich den eigenen Gehaltsvorstellungen immer auch belastbare Fakten zugrunde liegen sollten. Nach einer alten Personaler-Weisheit ist es dabei bemerkenswert, dass Leute, die mit hohen Gehaltsforderungen einsteigen, auch im weiteren Verlauf ihrer Karriere steiler aufsteigen, während die Bescheidenen – wenn überhaupt – deutlich flachere Gehaltsteigerungen erleben.
Wie dick man dabei aufträgt, ist höchst individuell. Dass es aber etwas dicker sein darf, als uns die gut gemeinte Bescheidenheit von alters her mahnt, sollte allen Zurückhaltenden ins Poesiealbum geschrieben werden. Das ist nicht immer einfach, handelt es sich doch um Erziehungsideale, die noch aus der Kaiserzeit stammen und als nützliche Tugenden von Kirche und Staat gerne konserviert wurden.
Demut, Gehorsam und Zurückhaltung wurden besonders über die tradierte Frauenrolle befördert, die sich trotz aller emanzipatorischen Errungenschaften immer noch tief im moralischen Bewusstsein verankern kann. Sehr zum Vorteil derer, die auf Bescheidenheit pfeifen und ihre „Taten“ wie selbstverständlich ins rechte Licht rücken, Männer wie Frauen.