Arbeiten im Mittelstand
Egal ob Führungskraft oder Angestellte: Bei mittelständischen Unternehmen steht die familiäre Atmosphäre im Fokus – und hier packt jede/r mit an.

Arbeiten im Mittelstand

Große Unternehmen bieten bessere Gehälter, kleinere dagegen mehr Gestaltungsfreiraum. Was besser zu einem passt, hängt von den eigenen Prioritäten ab. Jobsuchende sollten sich während der Bewerbungsphase damit beschäftigen.

Text: Janna Degener-Storr

Ein Berufseinstieg in der Wirtschaft? Viele denken da zunächst einmal an große Arbeitgeber wie Bertelsmann oder Bayer, RWE oder Münchener Rück, adidas oder Deutsche Post. Aber was ist mit dem „German Mittelstand“, den mittelständischen Unternehmen, unter denen sich auch viele „Hidden Champions“ befinden? Das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn zählt hierzu alle Unternehmen, bei denen Eigentum und Leitung in Hand von maximal zwei natürlichen Personen oder deren Familienangehörigen liegen.

„Dies trifft auf die Mehrzahl der kleinen und mittleren Unternehmen zu, sofern sie nicht in Abhängigkeit zu einem anderen Unternehmen stehen“, erklärt Dr. Annette Icks, die als Projektleiterin am IfM unter anderem über die Rekrutierung von Fach- und Führungskräften im Mittelstand forscht. Auch Unternehmen mit über 500 Beschäftigten gehören nach dieser Definition dem Mittelstand an, wenn die Familienangehörigen noch mindestens 50 Prozent der Unternehmensanteile halten und aktiv in der Geschäftsführung tätig sind.

Die Studie „Berufseinsteiger im Fokus“, die Stepstone Anfang 2018 unter 3.500 Studierenden durchführte, kommt zu dem Ergebnis, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) einen guten Ruf unter Berufseinsteiger/innen haben. Demnach können sich die meisten Studierenden gut vorstellen, ihre Berufslaufbahn bei einem Arbeitgeber mit weniger als fünfhundert Mitarbeiter/innen zu starten. Statt hohem Gehalt erhoffen sich diese Bewerber/innen von einem Arbeitsplatz im Mittelstand häufig ein familiäres Arbeitsklima, Sinnhaftigkeit, Gestaltungsspielraum und Flexibilität. Stimmt das?

Nachteile: Gehälter, Sicherheit und Aufstiegschancen

Zu Recht setzen Berufseinsteiger/innen nicht auf ein hohes Gehalt wie der Mittelstandsreport 2019 der Jobplattform Step­stone zeigt. Dieser berücksichtigt allerdings ausschließlich Unternehmen, die nicht mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen und 50 Milliarden Euro Jahresumsatz generieren. Im Report heißt es: „Das Thema Geld ist eine Herausforderung für kleinere Arbeitgeber.“

In Zahlen ausgedrückt: 45 Prozent der Unternehmen geben an, dass ihre Gehälter ähnlich zu denen von Wettbewerbern sind. 37 Prozent räumen ein, dass sie niedriger sind. Und nur 18 Prozent antworten, dass sie höher sind. Natürlich ist es immer abhängig von der Position, wieviel man verdient. Auf der obersten Managementebene kann man durchaus zu den „Top-Verdienern in Deutschland“ gehören, so der Report.

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Die Kandidat/innen wiederum wünschen sich laut der Studie in erster Linie Zusatzleistungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld, die allerdings von weniger als der Hälfte der Unternehmen angeboten werden. Rund ein Drittel der Befragten gibt an, in einem großen Unternehmen bessere Verdienstmöglichkeiten zu haben. Ebenfalls etwa ein Drittel erwartet dort eine höhere Jobsicherheit und bessere Zusatzleistungen.

Ein Nachteil von KMU sind die schlechten Aufstiegschancen dort. Sie sind – nach dem Gehalt – der zweithäufigste Grund dafür, dass Mitarbeiter/innen diese Unternehmen verlassen. Zwar geben 61 Prozent der Arbeitgeber an, Personal- und Entwicklungsgespräche durchzuführen. Und 51 Prozent bieten regelmäßige außerbetriebliche oder interne Weiterbildungen an.

44 Prozent geben ihren Mitarbeiter/innen die Möglichkeit, an Fachkonferenzen und -seminaren teilzunehmen. Doch trotzdem fühlen sich Dreiviertel der befragten Arbeitnehmer/innen nicht hinreichend in ihrer Karriereplanung unterstützt. Ebenfalls rund Dreiviertel der befragten Fach- und Führungskräfte im Mittelstand können sich nicht vorstellen, bis zur Rente in ihrem Unternehmen zu bleiben. Und 68 Prozent sind der Meinung, dass sie ihr Karriereziel nicht bei ihrem aktuellen Arbeitgeber erreichen können.

Rundum glücklich beim Mittelständler

Doch es gibt durchaus auch andere Beispiele. Politikwissenschaftler Benjamin Werner etwa ist als Head of Group Marketing bei der Agenturgruppe fischerAppelt tätig, die zwar inzwischen siebenhundert Mitarbeiter/innen beschäftigt, aber inhabergeführt ist. Der Sozialwissenschaftler, der sich im Studium auf CSR-Strategien von Unternehmen spezialisiert hatte, hat sich hier vom Trainee über den Unternehmens- und Managementberater und Assistenten des Vorstands bis zum Leiter des Marketing- und Kommunikationsteams hochgearbeitet.

Politikwissenschaftler Benjamin Werner schätzt es, dass er bei seiner Agentur selbst Themen setzen kann. Foto: fA Pressebild

Sein Aufgabenspektrum umfasst nun alle Tätigkeiten, die die Agentur und ihre Marke sichtbarer machen und in Kontakt zu Kund/innen sowie potentiellen Bewerber/innen bringen: „Ich bin zuständig für alles, was wir in Richtung potenzieller Bewerber oder Kunden kommunizieren, aber auch dafür, welche Produkte und Themen wir am Markt platzieren und wie wir mit Journalisten und Medien kommunizieren. Dazu gehören auch Content-Formate oder Events in Deutschland oder im Ausland“, erklärt er.

Eine bewusste Entscheidung dafür, im Mittelstand zu arbeiten, hat Benjamin Werner nie gefällt – wenn er woanders eine inhaltlich passende Stelle gefunden hätte, wäre die für ihn nach dem Studium ebenso interessant gewesen. Im Nachhinein zeigt er sich aber glücklich darüber, eine Stelle bei einem mittelständischen Arbeitgeber gefunden zu haben. „Viele meiner ehemaligen Kommilitonen sind im politischen Umfeld oder bei NGOs gelandet und hangeln sich dort mit befristeten Arbeitsverträgen von Job zu Job. Sie müssten eigentlich mehr verdienen und haben keine Aussicht auf einen Aufstieg oder eine Gehaltssteigerung“, erzählt der Politikwissenschaftler, der seit Abschluss seines Traineeships einen unbefristeten Arbeitsvertrag hat.

Seitdem er durch seine Beratungstätigkeit Einblicke in die Arbeit vieler Konzerne gewinnen durfte, ist auch eine Tätigkeit in einem Großunternehmen für ihn zwar denkbar, aber nicht sehr attraktiv – obwohl er dort nach eigener Einschätzung mehr Geld verdienen würde: „Ich habe manchmal den Eindruck, dass es in vielen Konzernen eine Kultur der Absicherung gibt, sodass es oft sehr lange dauert, bis eine Entscheidung gefällt und ein Prozess angestoßen wird. Bei uns dagegen haben die Inhaber die Zügel in der Hand. Und da ich direkt an diese berichte, kann ich leicht Vorschläge machen und eigene Themen setzen, die auch kurzfristig sichtbare Veränderungen herbeiführen. Bei einem Konzern hat man dieses Gefühl, die Agenda mitbestimmen zu können, wahrscheinlich erst ab einem sehr hohen Level.“

Allerdings, gibt Benjamin Werner zu, sei bei seinem Arbeitgeber auch ein gewisser Mut zum Risiko gefragt – und die Bereitschaft, für eigene Fehler geradezustehen: „Ich glaube, dass viele Mitarbeiter von großen Unternehmen dankbar dafür sind, dass sie sich Freigaben einholen müssen, um die Verantwortung nicht selbst zu tragen. Bei uns wird anders gearbeitet.“

Hidden Champions – auch bei Bewerber/innen

Dr. Annette Icks vom IfM sieht zahlreiche Vorzüge in einer Tätigkeit im Mittelstand: „Da sind zum einen die höhere Krisensicherheit der Arbeitsplätze, die Ausrichtung auf langfristige Unternehmensziele und die persönlichere Vernetzung. Zum anderen sind in einem mittelständischen Unternehmen häufig auch die Arbeitsaufgaben spannender als bei den Weltkonzernen.“ Oftmals werde übersehen, dass viele Mittelständler weltweit auf interessanten Märkten agieren. 

KMU sind tatsächlich attraktive Arbeitgeber – obwohl sie in Sachen Finanzen, Sicherheit und Aufstiegschancen im Schnitt nicht unbedingt den Erwartungen der Bewerber/innen entsprechen. Gemäß der Mittelstandsstudie von Stepstone, bei der 19.000 Fach- und Führungskräfte in Deutschland sowie 3.500 Recruiter/innen und Manager/innen befragt wurden, würden 59 Prozent aller Befragten am liebsten bei einem KMU arbeiten, während nur 12 Prozent einen Job bei einem Großkonzern mit mehr als fünftausend Angestellten vorziehen. 81 Prozent der Befragten geben an, sich bereits bei einem KMU beworben zu haben.

Besonders beliebt sind diese demnach vor allem bei zwei Bewerbergruppen: Erstens bei Fachkräften mit langjähriger Berufserfahrung. Und zweitens bei jungen Fachkräften. Über die Hälfte der Befragten hat sich tatsächlich für ein KMU entschieden, weil der Standort attraktiv, also zum Beispiel in Wohnortnähe, war. 49 Prozent war es wichtig, einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen und das Gefühl zu haben, etwas zu bewirken. 44 Prozent wünschten sich flache Hierarchien und einen hohen individuellen Gestaltungsspielraum.

Sinn und Sicherheit beim Mittelständler

So ging es auch Stefanie Wentzel, als sie nach ihrem Studium der Agrarökologie und ihrer bodenbiologischen Promotion einen Arbeitgeber in der Nähe ihres Wohnorts suchte. „Die Situation im wissenschaftlichen Mittelbau fand ich unerträglich, weil man dort immer wieder Anträge schreiben muss, um dann auf drei Jahre befristeten Stellen zu sitzen. Deshalb habe ich ein Unternehmen gesucht, in dem ich draußen und körperlich an einer sinnvollen Sache arbeiten kann“, erinnert sich die junge Frau, die in Cottbus lebt.

Agrarökologin Stefanie Wentzel gefällt die Bandbreite an Aufgaben, die sie regelmäßig übernimmt. Foto: privat

Auf ihren jetzigen Arbeitgeber Nagola Re machte sie schließlich ihre Sachbearbeiterin beim Jobcenter aufmerksam. Das mittelständische Unternehmen stellt vor allem Saatgut auf der Basis von regionalen Wildpflanzen her, setzt aber auch den gesetzlich vorgeschriebenen Artenschutz im Rahmen von Bauprojekten um. Stefanie Wentzel betreut Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die darauf abzielen, den Anbau effizienter und ökonomischer zu gestalten. Und sie siedelt Tiere wie Eidechsen, Ringelnattern oder Waldameisen um, wenn in deren Heimatgebieten zum Beispiel Bahngleise oder Autobahnen gebaut werden sollen.

„Schon im Studium hat mich geärgert, dass die Agrarindustrie einen großen Beitrag zu Klimaveränderung, Artensterben und Biodiversitätsverlust leistet. In diesem Beruf kann ich mein Wissen nutzen, um teilweise wieder geradezurücken, was die Menschen zum größten Teil schon zerstört haben“, erklärt die Agrarökologin ihre Motivation.

Ihren Berufsalltag beschreibt sie als teilweise körperlich sehr anstrengend: „Im Sommer beginnt mein Arbeitstag oft schon morgens um drei, wenn die Aktivität der Ameisen noch gering ist, und er dauert nicht selten zwölf Stunden. Ameisenhügel nehmen wir meist mit der Hand und mit Spaten ab, und dann buddeln wir uns bis in eine Tiefe, die die eigene Körperhöhe haben kann, bis wir den Großteil des Volkes entnommen haben. Zusätzlich kommen zwei bis drei Nachsorgetermine und eine Erfolgskontrolle hinzu“.

Dass sie sich trotz ihres Doktortitels für keine Aufgabe zu schade ist, ist für die Agrarökologin selbstverständlich. Deshalb findet sie es bedauerlich, dass die Politik ihrer Arbeit wenig Aufmerksamkeit entgegenbringt. Deutlich wird das ihrer Meinung nach auch bei der Bezahlung.

Familiäre Atmosphäre

Etwa sechzehn Mitarbeiter/innen hat das Nagola Re-Team, die Hierarchien sind – wie bei vielen KMU – flach, der Umgangston ist persönlich. Stefanie Wentzel fühlt sich hier wohl, sieht aber sowohl Vor- als auch Nachteile der Strukturen: „Wir sind eine lustige Truppe, wir duzen uns alle, unsere Chefin ist extrovertiert. Wenn Probleme auftreten, wird das anders geregelt als in größeren Unternehmen, wo alles anonymer und distanzierter ist. Manchmal ist es leichter, in einem kleinen Rahmen Dinge anzusprechen, als wenn man über mehrere Instanzen gehen müsste. Aber vielleicht ist es in größeren Strukturen auch leichter, Dinge anzusprechen, Forderungen zu stellen und sich für die persönliche Entwicklung einzusetzen.“

Aber man könne sich im mittelständischen Unternehmen, so Stefanie Wentzel, individuell und aus eigener Kraft entwickeln, wenn man es will: „Wenn ich mich entscheiden würde, mich in Zukunft auch um den Schutz weiterer Tierarten zu kümmern, wäre meine Chefin begeistert. Aber sie würde auch erwarten, dass ich mir die dafür notwendigen Kenntnisse selbstständig aneigne.“

Darüber hinaus betont die Agrarökologin, dass das vielfältige Aufgabenspektrum bei einem Mittelständler durchaus besondere Herausforderungen mit sich bringt: „Man muss sich damit auseinandersetzen, dass man die eierlegende Wollmilchsau ist. Man muss zum Beispiel sehr kommunikativ sein, um sich mit den unterschiedlichsten Menschen auseinandersetzen zu können. Mal haben wir mit einem Gärtner zu tun, mal mit einer Landwirtin, mal mit einem Unternehmer und mal mit einem Universitätsprofessor. Mal ruft eine Kundin an, die sich einfach für Wildpflanzen interessiert. Auf der Baustelle haben wir mit dem Leiter der Baustelle und der Bauleitung zu tun. Und mit der Naturschutzbehörde setzen wir uns auch auseinander. Ich persönlich finde das toll, aber ich weiß, dass das nicht jedermanns Sache ist.“

Einmal Mittelstand, immer Mittelstand

Bei weitem nicht alle Arbeitnehmer/innen äußern sich so positiv wie Stefanie Wentzel. Etwas mehr als jede/r Zweite der im Mittelstand tätigen Fach- und Führungskräfte ist laut dem Stepstone Mittelstandsreport unzufrieden. Der Grund für diese Unzufriedenheit? Insbesondere viele KMU erfüllen nicht, was sie versprechen beziehungsweise, was die Arbeitnehmer/innen von ihnen erwartet haben.

Die Studie zeichnet bei den typischen Mittelstands-Merkmalen folgendes Bild: Nicht ganz die Hälfte (44 Prozent) ist mit den flexiblen Arbeitszeiten zufrieden. Positiv äußerten sich außerdem 40 Prozent zum familiären Arbeitsklima, 38 Prozent zu den flachen Hierarchien sowie 33 Prozent zum Punkt spannende und sinnhafte Tätigkeit.

Insgesamt möchten rund Dreiviertel derjenigen, die bereits im Mittelstand beschäftigt sind, auch in Zukunft dort arbeiten. Nur fünf Prozent wollen künftig lieber in einen Großkonzern wechseln. Positiv fällt auch das Fazit des Stepstone Mittelstandsreport zu den Zukunftsaussichten der KMU aus: Über zwei Drittel der Beschäftigten schätzen die aktuelle Geschäftslage und deren zukünftige Entwicklung demnach positiv ein. Auch die digitalen Technologien werden als Chance wahrgenommen.

Offene Stellen

Eine weitere gute Nachricht für Bewerber/innen und Berufseinsteiger/innen ist, dass der Mittelstand Nachwuchskräfte sucht. Mehr als zwei Drittel der Recruiter/innen sehen die größte Schwierigkeit im Recruiting darin, genügend Kandidat/innen für die offenen Stellen zu finden. Und fast die Hälfte ist der Meinung, dass der Mangel an qualifizierten Fachkräften der Hauptgrund für die schlechte Geschäftslage des Unternehmens ist.

Allerdings sollten Bewerber/innen bedenken, dass Standorte mittelständischer Unternehmen sich häufig im ländlichen Raum befinden. Dort gibt es natürlich weniger Freizeitangebote und Jobalternativen, etwa für den Partner oder die Partnerin. Auf der anderen Seite können niedrigere Lebenshaltungskosten und kürzere Anfahrtswege sowie mehr Natur auch Argumente für einen Umzug in die Provinz sein.

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