Ringen um Nachwuchs im Mediensektor
Arbeiten im Radio oder bei großen Verlagen: Journalismus ist immer noch ein Traumberuf von vielen Absolvent/innen der Geisteswissenschaften – aber nicht mehr zu jedem Preis.

Ringen um Nachwuchs im Mediensektor

Der Nachwuchsmangel hat jetzt auch die Medienbranche erfasst. Das verbessert die Chancen von Bewerber/innen – vor allem, wenn sie Vielfalt in die Redaktionen bringen.

Kommentar: Annika Schneider

Vor 15 Jahren hätte damit noch niemand gerechnet, inzwischen ist es nüchterne Realität: Den Redaktionen in Deutschland geht der Nachwuchs aus. Eine qualitative Studie der Universitäten Oxford und Mainz hat jetzt noch einmal untermauert, was Chefredaktionen schon seit einiger Zeit beklagen.

Beim Lesen der Studienergebnisse schleicht sich fast so etwas wie Schadenfreude ein – denn lange ist die Branche mit jungen Interessentinnen und Interessenten nicht gerade pfleglich umgegangen.Grundlage der Erhebung sind qualitative Interviews mit Führungskräften aus deutschen, britischen und schwedischen Medienhäusern. Außerdem befragten die Forscherinnen und Forscher Journalistikstudierende.

Das Ergebnis: Für Medienunternehmen wird es immer schwieriger, journalistischen Nachwuchs zu gewinnen. Grundsätzlich unterscheidet sich die Branche damit nicht grundlegend von anderen – aber für den Mediensektor muss das Gefühl besonders bitter sein, weil es so ungewohnt ist.

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Schluss mit Klinken putzen

Jahrelang standen Kandidatinnen und Kandidaten, die „was mit Medien“ machen wollten, in den Redaktionen Schlange. Sie absolvierten kostenlose Praktika und leisteten freie Mitarbeit für lachhafte Zeilenhonorare.

Nach dem Studienabschluss ackerten sie im Volontariat knapp über Mindestlohnniveau – alles, um vielleicht den Einstieg zu schaffen und eine der begehrten Festanstellungen zu ergattern. Die Verlage und Rundfunksender wiederum konnten sich in zeitintensiven Assessment-Centern die Besten der Besten herauspicken.

Doch diese Zeiten – das belegt die Studie – sind größtenteils vorbei. Denn die prekären Arbeitsbedingungen und fragwürdigen Perspektiven haben sich inzwischen herumgesprochen. Außerdem gibt es mittlerweile andere Möglichkeiten, im Medienbereich zu arbeiten, nicht zuletzt in der oftmals besser bezahlten PR. Hinzu kommt das viel beschrieene Zeitungssterben – wer steigt schon gerne in eine Branche ein, die sich selbst seit Jahren den Untergang prophezeit?

Nicht mehr um jeden Preis

Es gibt also gute Gründe, warum der journalistische Nachwuchs wegbleibt. In Schweden mussten schon Journalistenschulen schließen, weil ihnen die Bewerberinnen und Bewerber fehlten. Das ist ein Ergebnis der Studie. Aber auch in Deutschland spitzt sich die Situation zu.

Der Ausbildungsleiter einer süddeutschen Lokalzeitung berichtete kürzlich von Kollegen anderer Zeitungshäuser, die ihn anriefen und um seine aussortierten Bewerbungen baten – weil sie selbst keine einzige bekommen hatten. Die großen Zeitungshäuser und Rundfunkanstalten leiden noch nicht so sehr unter dem Nachwuchsmangel, aber auch sie merken, dass sie sich mehr anstrengen müssen – auch, weil die Jungen es sich inzwischen leisten können, Fragen zu stellen.

Wie groß ist die Chance auf eine unbefristete Übernahme? Bezahlt das Unternehmen nach Tarif? Und wie sieht es eigentlich mit der Work-Life-Balance aus?

Die Studie rückt noch ein weiteres Problem in den Fokus: Die Redaktionen sind zu homogen. Um weiterhin alle Teile der Bevölkerung zu erreichen, brauchen die Medien mehr Vielfalt in ihren Teams. Nur so steigern sie die Diversität in ihrer Berichterstattung. Dieser Herausforderung sind sich die Verantwortlichen inzwischen bewusst, auch wenn die Studie zeigt, dass sie bislang nur wenige konkrete Maßnahmen ergriffen haben.

Abseits gängiger Karrierewege

Für angehende Medienprofis birgt diese Situation eine große Chance. Eine Stelle im Medienbereich entspricht nicht länger dem Sechser im Lotto, als der sie viele Jahre lang angepriesen wurde. Gerade in kleinen Lokalzeitungen stehen Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern inzwischen viele Türen offen. Und wer in der Bewerbung etwas anführen kann, was vom Standardweg der deutschstämmigen Akademikerkinder abweicht, wird damit in einigen Häusern besonders willkommen sein.

Auch wer bereit ist, aus den großen Metropolen in ländlichere Regionen zu ziehen, vervielfacht die eigenen Chancen. In den Stellenanzeigen ist diese Veränderung bereits deutlich sichtbar. Auf der Suche nach Volontärinnen und Volontären werben Redaktionen inzwischen mit Extras wie Fitnessangeboten und einem „tollen Arbeitsklima“. Die Ära der „Generation Praktikum“ ist damit hoffentlich bald vorbei.

Wer in den Journalismus will, muss sich nicht mehr als Bittstellerin oder Bittsteller behandeln lassen, sondern kann selbstbewusst die eigenen Kompetenzen anführen. Reich werden die allermeisten Journalistinnen und Journalisten mit ihrer Arbeit zwar wohl auch in Zukunft nicht. Aber wenn sie für einen Job, der oft großen Spaß macht und einige Privilegien bietet, von Anfang an anständig bezahlt werden, ist schon viel gewonnen.

Die Studienergebnisse stehen unter folgendem Link zum Download bereit: www.tinyurl.com/Nachwuchs-Journalismus
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