Eine Promotion bringt mehr als einen Titel
Arbeitgeber wissen häufig nicht, welche Kompetenzen Promovierte mitbringen. Doch um sie zu vermitteln, müssen Bewerber/innen ihre Stärken erst einmal selbst kennen.
Interview: Nicole Kretschmer
Dr. Anne Löchte ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und Karriereberaterin. Gemeinsam mit Dr. Regina von Schmeling leitete sie eine Arbeitsgruppe, die Arbeitgeber darüber befragte, welche Relevanz die Promotion bei der Stellenbesetzung hat. Herausgeber der Studie ist der Universitätsverband zur Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland (UniWiND).
WILA Arbeitsmarkt: Wie wichtig ist die Promotion für Arbeitgeber?
Anne Löchte: Wir haben für unsere Studie 41 Arbeitgeber aus sechs Bereichen interviewt. Ihre Aussagen reichen von „irrelevant“ über „nice-to-have“ bis hin zur „Einstellungsvoraussetzung“. Es lassen sich sechs Gründe identifizieren, warum die Promotion für Arbeitgeber relevant sein kann. Erstens: Der Doktortitel gilt als Regelabschluss, wie in der Biologie und Chemie. Arbeitgeber aus dem LifeScience und Biotech-Bereich erwarten von Absolventinnen und Absolventen dieser Fächer oft eine Promotion, insbesondere in den Abteilungen Forschung und Entwicklung. Auch für Führungspositionen kann er in diesen Bereichen wichtig sein.
Zweitens: Eine Promotion ist relevant, wenn die Fachexpertise von Interesse ist. Eine Archivarin, die in einer Stiftung im Archiv arbeitet, braucht Fachwissen. Mit der Promotion weist sie das nach. Drittens: Die Promotion ist von Bedeutung, wenn Organisationen mit der Zielgruppe der Wissenschaftler zu tun haben, wie zum Beispiel Wissenschaftsförderorganisationen oder die Begabtenförderwerke. Sie wünschen sich promovierte Personen, die über Feldkenntnisse in der Wissenschaft verfügen, so dass es Kommunikation auf Augenhöhe ist.
"Viele Arbeitgeber haben gerade die Kompetenzen nicht auf dem Schirm."
Aber auch das Netzwerk von Promovierten kann für diese Organisationen interessant sein.
Genau, das ist der vierte Grund. Es gibt Arbeitgeber, für die das Kontaktnetz der Promovierten in der Wissenschaft interessant ist, beispielsweise für neue Projekte oder Kooperationen. Fünftens: Auch das Renommee des Titels kann wichtig für Unternehmen sein. Und zu guter Letzt werden mit der Promotion auch überfachliche Kompetenzen verbunden. Dazu gehören zum Beispiel Kommunikationsfähigkeit, Kenntnisse im Projektmanagement und Analyse-Fähigkeit.
Wobei viele Arbeitgeber gerade diese Kompetenzen nicht auf dem Schirm haben. Eine Ausnahme sind die Unternehmensberatungen, die gezielt Promovierte rekrutieren. Häufig assoziieren die Arbeitgeber aber eher fehlende Kompetenzen mit der Promotion.
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Sollten dann nicht auch die Arbeitgeber ihren Blick noch einmal schärfen?
Absolut, unsere Arbeitsgruppe hat den Eindruck, dass die Promovierten auf dem Arbeitsmarkt unterschätzt werden. Viele Arbeitgeber, die wir interviewt haben, meinten, dass ihnen die Promotion egal sei. Sie bräuchten diesen Abschluss nicht. Das ist natürlich auf der einen Seite wahr.
Aber auf der anderen Seite haben diese Arbeitgeber teilweise viele Promovierte auf der Führungsebene, auf leitenden Positionen. Das ist doch bemerkenswert! Eine Hypothese unserer Arbeitsgruppe ist, dass auf dieser Ebene die Arbeitsweise und die überfachlichen Kompetenzen von Promovierten eben doch relevant sind.
"90 Prozent der Promovierten landen auf dem außeruniversitären Arbeitsmarkt."
Müssen die Universitäten früher aufklären, damit der Einstieg leichter fällt?
Promovierte sind sehr gut in den außeruniversitären Arbeitsmarkt integriert. Ich meine damit Bereiche wie Wirtschaft, Kultur, Politik und Gesellschaft. Die Arbeitslosenquote liegt bei unter zwei Prozent. Der Berufseinstieg ist häufig jedoch steinig. Das liegt natürlich auch daran, dass die Universitäten immer noch das Selbstverständnis haben: „Wir bilden Wissenschaftler aus“. Das tun sie natürlich auch, aber 90 Prozent der Promovierten landen eben auf dem außeruniversitären Arbeitsmarkt. Das hatten die Universitäten lange Zeit nicht im Blick. Viele Universitäten bieten jetzt aber Karriereveranstaltungen oder Alumni-Talks an, um die Leute früher dafür zu sensibilisieren, dass sie wahrscheinlich nicht in der Forschung und Lehre bleiben werden.
"Erfahrungsgemäß dauert die Orientierungs- und Bewerbungsphase vier bis sechs Monate."
Und wie funktioniert der Berufseinstieg?
Es braucht schon ein bisschen Zeit, um herauszufinden, wohin man möchte. Es hängt davon ab, was mich als Person interessiert, was ich für ein Qualifikationsprofil mitbringe und wie ich gerne arbeite. Als promovierte Psychologin kann ich beispielsweise als Data-Scientist in einem Start-up arbeiten, ich kann ins Wissenschaftsmanagement gehen oder in die Unternehmensberatung. Da gibt es eine große Bandbreite.
Es ist hilfreich, wenn Promovierende bereits ab dem Beginn der Promotion reflektieren, was sie sich beruflich vorstellen können, und damit nicht erst nach dem Abschluss anfangen, wenn die große Panik kommt, weil die Finanzierung ausläuft. Erfahrungsgemäß braucht es vier bis sechs Monate für diese Orientierungs- und Bewerbungsphase, das muss man einplanen.
Es gibt jedoch Promovierte, die bis zum Abschluss kein einziges Vorstellungsgespräch hatten.
Genau, es fehlt oft die Übung. Erst kommt das Studium, und dann folgen die Promotion und vielleicht noch ein Postdoc. Das heißt, die Personen sind unheimlich lange im Wissenschaftssystem und lernen, sich als Fachexpertin oder -experte darzustellen. Sie haben ein großes Bedürfnis, diese Fachexpertise nach außen zu tragen. Die kann natürlich relevant sein, wenn sie sich auf Stellen bewerben, bei denen es genau auf dieses Wissen ankommt. Das ist aber häufig nicht der Fall.
Es geht nicht so sehr um die Frage: Sind die Promovierten überqualifiziert? Sondern es geht darum, ob Promovierte ein Verständnis davon haben, was sie wissen, können und wollen und wo sie damit andocken können. Und ob sie das dann auch schlüssig darlegen können, so dass der Arbeitgeber eine Vorstellung bekommt, was die Person mitbringt und wo sie gut eingesetzt werden könnte. Dann spielen die negativen Konnotationen zur Promotion keine große Rolle.
"Promovierte bilden eine ganze Menge Kompetenzen während der Promotion aus."
Promovierte müssen also in ihrer Bewerbung „Übersetzungsarbeit“ leisten.
Richtig. Der Kompetenzerwerb wird in der Wissenschaft oft nicht thematisiert, das läuft so nebenbei. Deshalb haben viele Promovierte Schwierigkeiten, ihre Kompetenzen zu identifizieren, obwohl sie eine ganze Menge während der Promotion ausbilden. Es gibt eine UniWiND-Arbeitsgruppe, die ein Kompetenzcluster für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler entwickelt hat.
Es enthält zehn Kompetenzbereiche, wie zum Beispiel Projektmanagement, Selbstmanagement, mündliche und schriftliche Kommunikation, Lehre und so weiter. Jede dieser Kompetenzen hat noch zahlreiche Teilkompetenzen. Es ist wichtig für Promovierte zu sehen, dass sie eine ganze Reihe überfachlicher Fähigkeiten mitbringen, die auf dem Arbeitsmarkt außerhalb der Wissenschaft relevant sind.