Der Weg zur Unterstützung: Regeln rund um Hartz 4
Hartz IV zu beantragen bedeutet jede Menge Papierkram und Auflagen. Doch gut vorbereitet und beraten, lässt sich der Bürokratie-Dschungel überwinden.
Text: Stefanie Schweizer
Einkommens- und Vermögensnachweise, Mietvertrag, Heiz- und Nebenkostennachweis: Das sind nur einige der Nachweise, die Antragsteller und Antragstellerinnen zur Hand haben müssen, wenn sie Arbeitslosengeld II (ALG II) erhalten möchten. Diese Unterstützung ist im Allgemeinen auch unter dem Ausdruck Hartz IV bekannt und bezeichnet die Grundsicherungsleistung für erwerbsfähige Leistungsberechtigte.
Seinen Spitznamen verdankt das ALG II dem Rahmen seiner Einführung: Es wurde im Zuge des vierten Reformpakets der sogenannten Hartz-Gesetze am 01. Januar 2005 etabliert. Seitdem vereint Hartz IV die frühere Arbeitslosenhilfe sowie die ehemalige Sozialhilfe in einer Leistung.
Wer kann Hartz IV beantragen?
Die gesetzliche Grundlage für Hartz IV bildet das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), in dem unter anderem festgelegt ist, wer ALG II erhält, woran sich die Leistungen bemessen und welche Auflagen Leistungsbeziehende erfüllen müssen. So müssen Menschen, die Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen haben, mindestens 15 Jahre alt sein, dürfen aber das Rentenalter noch nicht erreicht haben.
Darüber hinaus legt das SGB II die Attribute „erwerbsfähig“ und „hilfebedürftig“ für ALG-II-Leistungsempfänger/innen fest. Ersteres bedeutet, dass die Antragsteller/innen in der Lage sein müssen, mindestens drei Stunden am Tag zu arbeiten. Darüber hinaus liegt in der Regel eine Hilfebedürftigkeit vor, wenn Antragssteller/innen nicht in der Lage sind, den eigenen Lebensunterhalt sowie den ihrer Familie selbstständig zu erwirtschaften.
Regelbedarf und Mehrbedarf
Die Gesamtleistung Hartz IV setzt sich aus mehreren Teilen zusammen, die nach den einzelnen Finanzposten, auch „Bedarf“ genannt, unterschieden werden. Wie hoch die Zahlungen für einzelne Bedarfe ausfallen, hängt mitunter vom Alter sowie Familienstand der Leistungsbeziehenden ab. So deckt der sogenannte Regelbedarf unter anderem die täglichen Ausgaben für Nahrung und Kleidung. Seit dem 01. Januar 2019 liegt der aktuelle ALG-II-Regelbedarf für Alleinstehende beziehungsweise Alleinerziehende bei maximal 424 Euro.
Volljährige Partner und Partnerinnen einer Bedarfsgemeinschaft können bis zu 382 Euro erhalten. Eine solche Gemeinschaft liegt per Definition vor, wenn Leistungsbeziehende in einer Ehe, in einer eingetragenen, gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft leben. Auch Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und mit im Haushalt leben, werden mit in einer Bedarfsgemeinschaft erfasst. Die Kosten für Wohnen und Heizen werden bei der Berechnung des Bedarfs gesondert berücksichtigt und dabei regional unterschiedlich angesetzt.
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Während sogenannte Einmalbedarfe beispielsweise für die Erstausstattung einer Wohnung oder für die nötigen Anschaffungen im Rahmen einer Schwangerschaft gedacht sind, fallen unter die sogenannten Mehrbedarfe alle Kosten für besondere Lebenslagen. Berücksichtigt wird beispielsweise die Situation alleinerziehender Eltern oder die besondere, medizinische Ernährung von Leistungsbeziehenden.
Zusätzlich können Leistungen – bei Vorliegen der Voraussetzungen – für die Partizipation von Kindern an Schulausflügen, in Sportvereinen, am Musikunterricht oder für schulische Nachhilfe im Rahmen des sogenannten Bildungs- und Teilhabepakets gewährt werden. Laut der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales beträgt der Mehrbedarf beispielsweise für werdende Mütter ab der 13. Schwangerschaftswoche 17 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs.
Hartz IV beantragen
Wer ALG-II-Leistungen in Anspruch nehmen möchte, sollte möglichst zeitnah einen Antrag stellen. Dieser kann im ersten Schritt formlos, also persönlich, telefonisch oder per E-Mail, bei der Arbeitsagentur eingereicht werden. „Das kann wichtig sein, weil die Leistungen ab dem Monat der Antragstellung gezahlt werden und nicht rückwirkend“, erklärt Margret Böwe vom Sozialverband VdK Deutschland.
Der VdK umfasst zwei Millionen Mitglieder und ist damit die größte bundesweit tätige sozialpolitische sowie rechtliche Interessenorganisation für behinderte, chronisch kranke, ältere und sozial benachteiligte Menschen. Doch auch der formlose Antrag muss spezifische Angaben beinhalten, sodass Antragsteller/innen auf die passenden Vordrucke der Bundesagentur für Arbeit nicht verzichten sollten.
Im persönlichen Gespräch
Personen, die einen Hartz-IV-Antrag stellen möchten, müssen sich im ersten Schritt an das für sie zuständige Jobcenter wenden. Dieses kann auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit unkompliziert ermittelt werden. Anschließend sollte das Jobcenter persönlich aufgesucht und bereits ein anerkanntes Ausweisdokument sowie eine Sozialversicherungsnachweis vorgelegt werden.
Zwar stehen auch alle Anträge zum Download zur Verfügung, das persönliche Gespräch bringt aber vor allem den Vorteil mit sich, dass die individuelle Lage der hilfebedürftigen Person besser erfasst werden kann. Jedes Jobcenter verfügt über eine Antragsabgabe, an der die potenziellen Leistungsbezieher/innen ihre ausgefüllten Unterlagen persönlich abgeben können.
Den Antragsunterlagen auf ALG II sollten Nachweise beigefügt werden, die die geltend gemachte Hilfebedürftigkeit belegen wie beispielsweise Kontoauszüge der vergangenen sechs Monate. Welche Belege der Antrag im Detail enthalten sollte, klären Antragsteller/innen am besten mit dem für sie zuständigen Sachbearbeiter oder der für sie zuständigen Sachbearbeiterin. Im letzten Schritt erhalten Antragsteller/innen einen Bescheid, der ALG II-Leistungen bewilligt oder ablehnt.
Im Falle einer Bewilligung wird die Höhe der zustehenden Leistungen im angehängten Berechnungsbogen aufgeschlüsselt. Seine Zusammensetzung zu verstehen, fällt einigen Antragsteller/innen schwer. Die Bundesagentur für Arbeit bietet auf ihrer Internetseite ein aufschlussreiches Erklärvideo über die einzelnen Angaben im Bescheid sowie im Berechnungsbogen: www.tinyurl.com/BA-Video-Bewilligungsbescheid.
Hürden und Barrieren
Grundsätzlich verfügen alle Antragsformulare über sogenannte Ausfüllhilfen, die auch in mehreren Sprachen erhältlich sind. Doch die Kommunikationsbarriere ist auch bereits für Muttersprachler und Muttersprachlerinnen selbst mit akademischen Grad hoch. „Wir haben einerseits die Verwaltungssprache, die sich an der Rechtssprache orientiert. Auf der anderen Seite haben wir die Alltagssprachen der ALG II Beziehenden“, erklärt Dr. Ulrike Leistner.
Die Wissenschaftlerin hat Soziale Arbeit an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig studiert und beschäftigte sich in ihrer Promotion damit, „welche Probleme bei Personen in der Kommunikation mit Jobcentern auftreten, die Deutsch als Muttersprache sprechen“.
Zwar bieten die einzelnen Jobcenter Unterstützung beim Ausfüllen der Anträge, doch stehen ebenfalls die Vorwürfe schlechter Erreichbarkeit der Sachbearbeiter/innen und unzureichender Beratung im Raum. „Das liegt zum einen daran, dass die Jobcenter personell schwach besetzt sind und die Mitarbeiter/innen neben der Fallbearbeitung keine Ressourcen mehr für eine umfassende Beratung haben“, weiß Böwe. „Es herrscht eine hohe Fluktuation beim Personal, aber es braucht eigentlich eine gewisse Erfahrung, um die komplexe Materie des ALG II zu beherrschen“.
Keine Leistung ohne Pflichten
Auch nach Bewilligung der Leistung bleiben Hartz-IV-Empfangende mit den Beraterinnen und Beratern der BA in Kontakt. Denn die Leistungsungsbezieher/innen müssen eine Bandbreite von Pflichten erfüllen, damit ihr Anspruch erhalten bleibt und ihre Beiträge nicht gekürzt werden. Gemäß des Leitmottos „fördern und fordern“ müssen Leistungsbeziehende alles dafür tun, ihre Hilfsbedürftigkeit hinter sich zu lassen oder sie im Vorhinein zu vermeiden.
„Dazu gehören zum Beispiel Eigenbemühungen zur schnellen Beendigung des Leistungsbezugs, Bewerbungen auf Stellenangebote, Wahrnehmung der vereinbarten Termine beim Vermittler, die Teilnahme an notwendigen und zumutbaren (Weiterbildungs-)Maßnahmen“, erklärt Matthias Fischbach, Pressesprecher beim Jobcenter Halle (Saale). Auch die persönliche wie postalische Erreichbarkeit unter der beim Jobcenter angegebenen Anschrift ist Voraussetzung für den weiteren Erhalt der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Ebenso muss es möglich sein, dass Jobsuchende bei Bedarf das Jobcenter kurzfristig aufsuchen – sofern keine genehmigte Ortsabwesenheit vorliegt.
Darüber hinaus sind ALG-II-Leistungsempfänger/innen an gesetzliche Mitwirkungspflichten gebunden und müssen sich zum Beispiel – soweit für die Entscheidung über die Leistung erforderlich – auf Verlangen des Jobcenters ärztlichen sowie psychologischen Untersuchungen unterziehen.
Aber auch das Bewerben auf Vorschläge seitens der BA kann dazu gehören: „Die SGB II-Leistungsbezieher/-innen erhalten von ihrer Integrationsfachkraft passgenaue Vermittlungsvorschläge für eine im jeweiligen Einzelfall zumutbare Tätigkeit. Enthalten diese eine Rechtsfolgenbelehrung, sind die SGB-II-Leistungsbezieher/innen verpflichtet, sich auf solche Vermittlungsvorschläge zu bewerben. Ohne eine solche Rechtsfolgenbelehrung besteht dementsprechend keine Verpflichtung zur Bewerbung“, so Sabine Schölling von der Presseabteilung des Jobcenters Köln.
Außerdem müssen im Rahmen der Mitwirkungspflichten alle Änderungen, die Einfluss auf die Leistungsgewährung nehmen könnten, unverzüglich dem oder der Sachbearbeiter/in mitgeteilt werden. Bei Nichteinhaltung können unter anderem Leistungskürzungen oder -streichungen drohen. Im Merkblatt „Arbeitslosengeld II / Sozialgeld“ der Bundesagentur für Arbeit sind den Grundpflichten und Folgen im Speziellen ein ganzes Kapitel gewidmet. Das Übersichtsdokument steht auf der Internetseite der Arbeitsagentur zum Download zur Verfügung: www.arbeitsagentur.de/download-center.
Fehler bei der Antragsstellung
„Die häufigsten Hinderungsgründe, einen Antrag abschließend zu bearbeiten, sind ganz sicher, dass der Antrag einschließlich der erforderlichen Anlagen gar nicht, unvollständig oder fehlerhaft ausgefüllt bei uns eingereicht wird“, erklärt Matthias Fischbach. Das ziehe leider Nachfragen und damit Verzögerungen nach sich. Um Fehler zu vermeiden oder direkte Rückfragen klären zu können, sollten Antragsteller/innen den Service der Jobcenter nutzen.
„Die Unterstützung erfolgt entsprechend den Bedürfnissen der Kunden und kann von allgemeinen Erläuterungen zum Antrag bis hin zu ganz konkreten Hilfestellungen im Einzelfall, wie das gemeinsame Ausfüllen des Antrages, gehen. Die Hilfe ist direkt vor Ort oder telefonisch über die Service-Center möglich“, erläutert Fischbach weiter.
Allein neun Seiten umfassen die Ausfüllhinweise der BA zu den Antragsvordrucken für ALG II. Wer sich allein durch diesen Bürokratiewust kämpft, muss gegebenenfalls eine gewisse Zeit investieren. Darüber hinaus sollten bei der Antragstellung sowie beim Weiterbewilligungsantrag von Hartz IV die jeweiligen Fristen unbedingt beachtet werden. Zu den häufigsten Fehlern bei der Beantragung oder Verlängerung zählen nämlich laut Pressestelle der BA „dass Unterlagen zu spät oder erst auf Erinnerung nachgereicht werden“.
Das Jobcenter Köln nennt weiterhin „vergessene Unterschriften, fehlende oder unvollständige Nachweise wie zum Beispiel Gehaltsabrechnungen, Kontoauszüge, Nachweise zu Vermögenswerten sowie die Nichtvorlage von Identifikationsnachweisen oder aufenthaltsrechtlichen Dokumenten“ als Punkte, die einer erfolgreichen Beantragung im Weg stehen oder diese verzögern.
Doch Gründe für Fehler bei der Beantragung von Hartz IV entstehen nicht nur durch Irrtümer beim Ausfüllen oder eine zeitliche Überschreitung. Auch formale Missverständnisse, die durch die Anlage des Antrags an sich provoziert werden, können zu Problemen führen. „Es braucht korrekte Bescheide, die aktuelle Fehlerquote ist noch viel zu hoch. Darüber hinaus müssen Jobcenter deutlich besser für direkte Nachfragen erreichbar sein, beispielsweise, indem sie ihr Telefonverzeichnis veröffentlichen“, so Dr. Leistner.
Zwischen Schicksalen und Bürokratie
Neben der Annahme, ein Hartz-IV-Antrag sei kompliziert auszufüllen, halten sich auch andere Vorurteile hartnäckig, zum Beispiel, dass Antragsteller/innen im Jobcenter „getriezt“ und in sinnlose Maßnahmen gesteckt würden. In diesem Zuge betont Fischbach: „Die Kolleginnen und Kollegen der Jobcenter leisten einen sehr wichtigen Beitrag zur Erhaltung und Festigung des sozialen Friedens in unserer Gesellschaft. Dabei richten sie sich nach aktuellem Recht und Gesetz. Für eventuell notwendige Verbesserungen ist der Gesetzgeber, nicht die Ausführenden vor Ort, verantwortlich. Dies wird sehr häufig bei den teils sehr emotionalen Diskussionen zum Thema vergessen.“
Gerade bei Fragen zur beruflichen Wiedereingliederung ist jedoch die individuelle Situation der Antragsstellenden zu berücksichtigen, was durch die für die Allgemeinheit bestimmten Formulare nicht immer ganz so einfach möglich ist. So bewegt sich der Hartz-IV-Antrag zwischen offizieller Datenerfassung und persönlichem Schicksal, was sowohl für Antragsteller/innen als auch Sachbearbeiter/innen häufig einen Spagat zwischen Vorschrift und Realität bedeutet.
„Es ist immer etwas schwierig, eine vertrauensvolle und offene Gesprächssituation beim Jobcenter herzustellen, besonders wenn vielleicht auch gesundheitliche Einschränkungen oder persönliche Probleme bei den Antragstellenden vorhanden sind. Es spielt auch immer die Angst mit, dass das Jobcenter einen sanktionieren und die existenzsichernden Leistungen entziehen kann“, so Böwe.