Jobsuche mit Digital Humanities
Digital Humanities verstehen sich als Bindeglied zwischen verschiedenen Disziplinen wie Informatik und Geisteswissenschaften.

Jobsuche mit Digital Humanities

Wer einen Abschluss in digitalen Geisteswissenschaften hat, kennt sich nicht nur mit Geschichte, Kunst oder Philosophie aus, sondern kann auch programmieren und mit Datenbanken umgehen.

Text: Annika Schneider

Alles begann mit 10.000 Karteikarten und einem Mönch. Der Jesuit Roberto Busa erforschte 1940 für seine Doktorarbeit den Präsenzbegriff bei Thomas von Aquin. Tausende Seiten musste er dafür nach relevanten Textstellen durchforsten. Eine Schlagwortsuche mit dem Begriff „praesentia“ machte wenig Sinn: In den meisten Fällen versteckten sich die Aussagen zum Thema in indirekten Formulierungen mit der Präposition „in“.

Dieses Wörtchen wiederum war natürlich in keinem der Schlagwortregister verzeichnet. Busa löste die Aufgabe deswegen mit Fleiß und Zeit: Er ging die Texte von Thomas von Aquin Seite für Seite durch und notierte seine Ergebnisse auf Tausenden Karteikarten. Das Beispiel zeigt, wie sehr die Geisteswissenschaften von den digitalen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte profitieren können: Mit Computern, Datenbanken und Informatikwerkzeugen lassen sich Texte heute ganz anders erfassen und auswerten – ohne mühsame Handarbeit.

  • Infodienst-Trainee-Stellen Der Artikel ist im WILA Arbeitsmarkt erschienen. Neben den Artikeln im Online-Magazin bietet das Abo-Produkt mehrere hundert ausgewählte aktuelle Stellen pro Wochen – von Montag bis Freitag aktualisiert und handverlesen speziell für Akademiker*innen mit einem generalistischen Studienhintergrund.
  • Die Abonnentinnen und Abonnenten erhalten durch den redaktionellen Teil und die Stellen-Datenbank einen breiten und dennoch konkreten Überblick über derzeitige Entwicklungen in Berufsfeldern und Branchen, können sich anhand der ausgewählten Jobs beruflich orientieren und bleiben so bei der Jobsuche am Ball. Unsere Erfahrung: Viele Abonnent*innen stoßen auf Tätigkeiten, die sie gar nicht auf dem Schirm hatten.

Eine ähnliche Idee hatte auch der Jesuit Busa. Nachdem er seine Doktorarbeit erfolgreich verteidigt hatte, fasste er den ehrgeizigen Plan, ein Aquin-Verzeichnis mit allen in seinen Texten vorkommenden Wörtern und ihrem jeweiligen Kontext zu erstellen.

Der umtriebige Mönch konnte 1949 den Tech-Konzern IBM davon überzeugen, ihn mit moderner Computertechnologie zu unterstützen. Mit dem Projekt legte er einen wichtigen Grundstein für die digitalen Geisteswissenschaften – nachzulesen in dem Buch „Digital Humanities. Eine Einführung“ von Fotis Jannidis, Hubertus Kohle und Malte Rehbein.

Virtuelle Barockschlösser

Inzwischen gibt es eine Vielzahl weiterer Ansätze, die zeigen, wie sich Methoden aus der Informatik für geisteswissenschaftliche Forschung nutzen lassen. Das Bonner Projekt „Beethovens Werkstatt“ zum Beispiel untersucht, wie Beethoven beim Komponieren gearbeitet hat, indem es verschiedene Versionen von Stücken mit Erkenntnissen aus anderen Dokumenten digital zusammenführt.

An der Freien Universität Berlin arbeiten Wissenschaftler an einem Analysetool, dass die rhythmischen Strukturen in moderner Lyrik erkennen soll. Ein anderes digitales Verbundprojekt rekonstruierte virtuell zerstörte Schlösser im ehemaligen Ostpreußen.

Die Möglichkeiten der digitalen Geisteswissenschaften sind vielfältig: Kunst und historische Dokumente werden in Datenbanken erfasst und so für Öffentlichkeit und Forschung zugänglich gemacht. Netzwerke können visualisiert werden, Sprachaufnahmen lassen sich analysieren. Analoge Materialien können dank Digitalisierung in ganz neuer Form verarbeitet und ausgewertet werden, und historische Zustände lassen sich digital in 3D rekonstruieren.

Methode oder Disziplin?

Alle diese Projekte laufen unter dem Schlagwort Digital Humanities, kurz DH, zusammen – einem Begriff, dessen Bedeutung selbst vielen Geisteswissenschaftler/innen nicht klar ist. „In den Digital Humanities ist es gewissermaßen Sport, dass jeder DH-Spezialist mindestens eine eigene Definition hat“, schreibt der DH-Wissenschaftler Patrick Sahle in einem Einführungstext zum Thema.

Nicht einmal bei grundlegenden Fragen ist man sich einig: Die Meinungen gehen auseinander, ob es sich bei den digitalen Geisteswissenschaften um eine Methode, einen Forschungsgegenstand oder eine eigene Disziplin handelt.

Die Digital Humanities bilden ein Bindeglied zwischen Informatik und Geisteswissenschaften. Sie beschäftigen sich inhaltlich mit geisteswissenschaftlichen Themen aus der Linguistik, Kunstgeschichte, Archäologie, Linguistik, Literatur- und Musikwissenschaft – um nur einige Beispiele zu nennen. Gleichzeitig greifen sie auf Werkzeuge aus der Informatik zurück, vor allem zum Verarbeiten, Analysieren und Visualisieren von Daten. Manche sprechen von „enhanced humanities“, kurz eHumanities, andere von digitalen Geisteswissenschaften.

Das Fach hat in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Deutschlandweit richteten Hochschulen Lehrstühle ein, und 2013 gründete sich der Verband für Digital Humanities im deutschsprachigen Raum. Gleichzeitig entstanden Studiengänge mit allen möglichen Bezeichnungen, zum Beispiel der Bachelor Digitale Geistes- und Sozialwissenschaften in Bielefeld oder der Master Computing in the Humanities in Bamberg.

Viele Fachdisziplinen gibt es schon seit einiger Zeit, darunter auch die Medieninformatik und die Computerlinguistik. Dass sie sich unter dem Label der Digital Humanities zusammentun und in der Welt der Geisteswissenschaften zunehmend behaupten, ist allerdings eine jüngere Entwicklung.

Das heißt auch: Erst seit einigen Jahren versuchen Studierende mit einem Abschluss in Digital Humanities ihr Glück auf dem Arbeitsmarkt. Auf der einen Seite haben sie gute Chancen: IT-Kenntnisse sind bei Arbeitgebern gefragt wie nie. Viele der Studiengänge vermitteln Grundkenntnisse im Programmieren, Wissen zu Datenbanken und statistische Methoden.

Hinzu kommt das analytische und strukturierende Denken, das den Geisteswissenschaften eigen ist. In Zeiten, in denen viele Prozesse technologisch aufwendiger, komplexer und kleinteiliger werden, ist das eine wichtige Kompetenz.

Früher Kontakt zu Arbeitgebern

Andererseits ist kaum zu erwarten, dass Arbeitgeber um diese Fähigkeiten wissen, wenn sie in einem Lebenslauf einen Abschluss in Digital Humanities sehen. Schon Germanisten, Philologinnen und Philosophen haben Mühe, ihre Kompetenzen in Bewerbungsverfahren darzustellen – und diese Disziplinen sind seit Jahrhunderten etabliert. Umso notwendiger ist es für Studierende der Digital Humanities, möglichst früh den Kontakt zu potenziellen Arbeitgebern zu suchen.

Wie gut das klappen kann, zeigt das Beispiel von Martin Kocula: Noch bevor er sein Masterstudium beenden konnte, hatte er einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Dafür musste der Geisteswissenschaftler nur eine einzige Bewerbung schreiben – und die war für ein Praktikum bei einem Verlagsdienstleister in Tübingen. In dem kleinen Unternehmen war Martin Kocula sechs Monate Praktikant, anschließend arbeitete er einige Monate als Werkstudent von Trier aus und trat im Februar 2018 schließlich eine Stelle als „Application Engineer“ an.

Hinter dem englischen Titel verbirgt sich eine Stelle im Entwicklungsbereich: Der 27-Jährige betreut gemeinsam mit fünf Kollegen ein Content Management System für Verlage und andere Kunden, mit dem sich beispielsweise Kataloge automatisiert erstellen lassen. „Ich lerne hier viel und habe viele Freiheiten“, erzählt Martin Kocula. Auch mit dem Gehalt ist er zufrieden.

Attraktiv für den Arbeitsmarkt

Das Unternehmen, in dem er arbeitet, hat zusätzlich den Vorteil, selbst eine DH-Abteilung zu haben. Auf diese Weise war seinen Arbeitgebern klar, was sich hinter der englischen Studienfachbezeichnung verbirgt.

Noch vor seinem Masterabschluss konnte Martin Kocula einen Arbeitsvertrag unterzeichnen. Foto: privat

Ursprünglich hatte Martin Kocula in Trier Germanistik und Philosophie auf Lehramt studiert. Nach dem Bachelorabschluss war ihm klar, dass der Lehrerberuf nicht zu ihm passte. Für den Master schrieb er sich in den neu gegründeten Studiengang Digital Humanities ein und kaufte damit „die Katze im Sack“, wie er selbst sagte – wie die Arbeitsmarktchancen der Absolvent/innen aussehen würden, wusste noch niemand. „Ich war schon immer computeraffin“, berichtet Martin Kocula. Im Master lernte er unter anderem den Umgang mit XML-Technologien, mit denen er in seinem heutigen Job täglich arbeitet.

Die Jobchancen seien mit einem Abschluss in den Digital Humanities gut, findet Martin Kocula: „Als DH-Absolvent kann man sich bei allen Unternehmen bewerben, die etwas mit Entwicklung machen.“ Vor allem in der Verlags- und Medienbranche gebe es passende Stellen.

Dafür müsse man im Programmieren weniger versiert sein als jemand mit einem Abschluss in Informatik – gleichzeitig sei man für die Arbeitgeber attraktiv, weil man als Geisteswissenschaftlerin oder Geisteswissenschaftler weniger Gehalt bekomme. Bei Stellen, die für Informatikabsolvent/innen mit Bachelorabschluss ausgeschrieben würden, hätten auch DH-Masterstudierende gute Chancen.

„Viele kannten das nicht“

Isabella Reger hat den Berufseinstieg ebenfalls problemlos gemeistert – auch deshalb, weil sie dabei sehr strategisch vorgegangen ist. Für einen Bachelor in Digital Humanities hatte sie sich eigentlich aus reiner Neugier eingeschrieben, weil sie zu ihrem Erstwunsch Anglistik ein Zweitfach brauchte. Anschließend entschied sie sich für einen DH-Masterstudiengang in Würzburg und blieb danach für ein Drittmittelprojekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni.

Noch während ihr Vertrag lief, orientierte sie sich in Richtung der freien Wirtschaft. Sie begann damit, sich durch Stellenportale zu klicken, und recherchierte außerdem nach passenden Arbeitgebern. Dafür suchte sie Firmen im näheren Umkreis, die Interesse an Datenanalyse- und Programmierfähigkeiten hatten, und verschickte Initiativbewerbungen.

Die Bezeichnung weckt Neugier

„Den Begriff Digital Humanities kannte eigentlich niemand“, berichtet Isabella Reger. „Viele hatten das noch nie gehört.“ Manche Einladungen zu Bewerbungsgesprächen habe sie nur bekommen, weil Arbeitgeber neugierig gewesen seien. Um ihren Abschluss zu veranschaulichen, habe sie meist von ihrer Masterarbeit erzählt, für die sie literarische Figurenkonstellationen mit computergestützten Methoden ausgewertet hatte.

Auf diese Weise konnte sie zeigen, welche Kompetenzen sie aus dem Studium mitgenommen hat: Sie kann programmieren mit der Programmiersprache Python, hat Grundkenntnisse in HTML und Machine Learning, außerdem Erfahrungen mit Datenbanken und Datenvisualisierung.

Isabella Reger hatte sich für ein Traineeship beworben, bekam stattdessen aber eine volle Stelle angeboten. Foto: privat

Ein halbes Jahr dauerte die Bewerbungsphase, dann kam die erhoffte Zusage: Eine Unternehmensfamilie aus der Verlagsbranche, bei der Isabella Reger sich eigentlich für ein Traineeship beworben hatte, bot ihr eine Stelle in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung an. In einem kleinen Team arbeitet die 27-Jährige heute daran, die Prozesse in den Bereichen App-Entwicklung, E-Commerce und Online-Marketing zu digitalisieren. Zu ihren Aufgaben gehört es, Daten auszuwerten, Prototypen zu programmieren und Prozesse zu analysieren.

Dabei kann sie ihre Erfahrungen aus dem Studium gut nutzen. „Im Studium der Digital Humanities hat man viele Kurse aus ganz unterschiedlichen Bereichen und muss sich immer wieder in neue Themen reindenken“, erklärt Isabella Reger. Sie habe Übung darin, sich von unbekannten und komplexen Projekten nicht abschrecken zu lassen. Auch ihre Fähigkeit, sich über anstehende Aufgaben einen Überblick zu verschaffen, sei wertvoll.

Inhalte sind Nebensache

„Die meisten meiner Kollegen sind Software-Entwickler“, berichtet die Geisteswissenschaftlerin. Diese haben mehr Erfahrung im Programmieren und beherrschen zum Teil auch mehr Programmiersprachen. Ihre eigene Stärke liege vor allem darin, Daten zu analysieren und daraus Arbeitsstrukturen zu entwickeln.

Das Fachwissen im Bereich Anglistik und Literaturwissenschaften spielt in ihrem Berufsalltag hingegen keine Rolle mehr. „Das ist etwas, womit ich mich in der Freizeit beschäftige“, sagt Isabella Reger – sie liest gerne und nutzt weiterhin ihre Englischkenntnisse.

Martin Kocula braucht sein geisteswissenschaftliches Fachwissen ebenfalls nicht für seinen Beruf. Er hat seine Masterarbeit bis heute nicht geschrieben und ist derzeit noch auf der Suche nach einem Thema. Um seine berufliche Zukunft macht er sich keine Sorgen: In seinem Bereich laufe es gut, und das Team würde perspektivisch wohl eher noch wachsen, berichtet er.

Inzwischen ist er auch nicht mehr der einzige DH-Studierende im Unternehmen: In einer anderen Abteilung hat jüngst eine weitere Absolventin der Digital Humanities angefangen. Die Kombination aus geisteswissenschaftlichen und informatischen Kompetenzen sei zunehmend gefragt, berichtet der Entwickler. Die Inhalte spielten dabei aber kaum eine Rolle: In vielen Stellen gehe es vor allem um die technischen Fähigkeiten.

Zum Weiterlesen
  • Der Verband Digital Humanities im deutschsprachigen Raum bietet allgemeine Informationen zur Disziplin und listet Beispielprojekte: www.dig-hum.de
  • Die Artikel der „Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften“ bieten einen Einblick in aktuelle Diskurse und sind kostenlos zugänglich: www.zfdg.de
  • Der Band „Digital Humanities. Eine Einführung“ von Fotis Jannidis, Hubertus Kohle und Malte Rehbein ist 2017 erschienen und bietet einen Überblick über das Fach.
  • Eine Übersicht über das weltweite Studienangebot in den Digital Humanities bietet eine Datenbank: registries.clarin-dariah.eu/courses
Weitere WILA-Angebote