Assessment-Center: Zeig, was du kannst!
Vielen Arbeitgebern reicht es nicht, wenn Bewerber/innen im Vorstellungsgespräch erzählen, was sie können – sie wollen sich im Assessment-Center selbst ein Bild davon machen.
Yasmin Noel-Schütt hatte sich in ihrem Pädagogikstudium auf das Thema E-Learning spezialisiert und anschließend einige Jahre lang als Autorin in diesem Bereich gearbeitet. Dann brach der neue Markt zusammen, sodass viele E-Learning-Agenturen sich nicht mehr über Wasser halten konnten und sie sich etwas Neues suchen musste. Ihr Mann, der im Vertrieb tätig war, erzählte ihr von einer vakanten Stelle im IT-Bereich, und Yasmin Noel-Schütt bewarb sich mehr oder weniger ins Blaue. „Ich war zwar skeptisch, weil es nicht mein Fachgebiet war. Aber weil ich eine Arbeit suchte, gab ich der Sache einfach mal eine Chance, schrieb eine Bewerbung und wurde eingeladen – zu einem Assessment-Center“, erinnert sie sich.
Da Assessment-Center zu dieser Zeit noch wenig verbreitet waren und es auch noch nicht viel Literatur dazu gab, wusste sie nur, dass an diesem Auswahlverfahren verschiedene Bewerber/innen teilnehmen würden, die diverse Aufgabenstellungen absolvieren mussten. Darüber hinaus hatte Yasmin Noel-Schütt vorab nur spärliche Informationen. „Der Vertrieb war absolutes Neuland für mich. Und ich wusste auch nicht, welche Aufgaben mich erwarten würden. Ich sah mir also zur Vorbereitung die Homepage des Unternehmens an, recherchierte den Namen meines Ansprechpartners und informierte mich allgemein über das Thema Vertrieb. Insgesamt stand ich der Sache aber sehr kritisch gegenüber, denn ich rechnete damit, dass da viele Leute mit Ellbogen unterwegs sein würden“, erzählt die Pädagogin.
Unter Beobachtung
Vor Ort bestätigten sich dann ihre Befürchtungen: Yasmin Noel-Schütt musste sich im Assessment-Center des IT-Unternehmens zunächst in einer Vorstellungsrunde präsentieren, anschließend eine Kurzpräsentation halten – das war sie aus dem Studium gewohnt – und sich schließlich in einem Verkaufsgespräch behaupten. „Da saß mir jemand aus dem Unternehmen gegenüber und spielte einen toughen Kunden, der keine Lust hatte, ein bestimmtes Produkt zu kaufen. Und ich musste versuchen, ihn auf galante Art und Weise davon zu überzeugen, dass er nun doch Interesse an dem Produkt hat“, erzählt sie.
Anschließend sollte Yasmin Noel-Schütt in einer acht- bis zehnköpfigen Gruppe eine Lösung für ein vertriebliches Problem finden. Dabei ging es darum, verschiedene Teilaufgaben zu priorisieren. Mehrere Fachleute der Firma beobachteten die Situation und bewerteten das Verhalten der einzelnen Kandidat/innen. Yasmin Noel-Schütt merkte dabei schnell, dass sie sich in diesem Rahmen unwohl fühlte: „Da waren zwei Mitbewerber, die sich in der Gruppenarbeit ziemlich profilieren und in den Vordergrund rücken wollten. Ich musste darüber lachen. Mein Sitznachbar fragte mich leise, was los ist, und es stellte sich heraus, dass er meine Meinung teilte. Diese Form des Konkurrenzverhaltens ist einfach nicht für jeden das Richtige.“
Nach Abschluss des siebenstündigen Auswahltages war für Yasmin Noel-Schütt klar, dass sie kein Freund von Assessment-Centern ist und weder im Vertrieb noch in der Firma arbeiten möchte: „Ich empfand den Druck als sehr stark und fand es unangenehm, von den Aufgaben überrumpelt zu werden. Ich kann auch spontan sein und mich in neue Themen einarbeiten, bereite mich aber lieber auf neue Aufgaben vor. Die Erwartungshaltung, dass ich von null auf hundert ohne Eingewöhnungszeit zeigen sollte, was ich kann, war mir zuwider. Der Vertrieb und die Firma waren mir zu tough.“
Die Personalverantwortlichen sahen das offenbar ähnlich und gaben ihr die Rückmeldung, sie sei „zu lieb“ für den Vertrieb. Heute, sagt Noel-Schütt, die letztlich dann doch noch eine Stelle im vertrauten E-Learning-Bereich fand, würde sie sich gut überlegen, ob sie noch einmal an einem Assessment-Center teilnimmt – und wenn ja, würde sie sich besser vorbereiten. „Wenn es um den absoluten Traumjob geht, würde ich es nicht ausschließen, mich der Herausforderung nochmal zu stellen. Dann würde ich mir aber im Vorfeld Literatur dazu durchlesen und die typischen Aufgabenformate vorab üben, vielleicht sogar mithilfe eines Coaches.“
Assessment-Center im öffentlichen Dienst
Auch Simone Flachmann ging recht unbedarft in ihr erstes Assessment-Center. Heute ist sie Personalberaterin, Trainerin und Coach. Aber nach ihrem Studienabschluss bewarb sich die Geografin als Gutachterin beim Landesumweltamt auf eine Teilzeitstelle und bekam eine Einladung zu einem Assessment-Center. „Ich wusste nur, dass ich mir einen Tag freihalten musste. Doch ich hatte keine Ahnung, welche Bausteine mich da erwarten würden“, erzählt sie. Sie las also Literatur zum Thema Assessment-Center, fragte im Freundeskreis herum und ging dann einfach hin.
Vor Ort musste sie zuerst alleine in einer bestimmten Zeit eine bodenkundliche Aufgabe lösen und sich anschließend in einem Rollenspiel behaupten. „Mein Gegenüber spielte die Person, mit der ich mir die Stelle hätte teilen sollen. Ich sollte gemeinsam mit ihr überlegen, wie wir es schaffen, dass keine Informationen verloren gehen – obwohl wir uns am Arbeitsplatz nie sehen. Meine Gesprächspartnerin war sehr hartnäckig und blockte auch Informationen. Es war eine Herausforderung für mich, da einen reibungslosen Informationsaustausch hinzubekommen“, erinnert sich Simone Flachmann. Auch vom Recruiterteam bekam sie später die Rückmeldung, in dieser Aufgabe sei deutlich geworden, dass sie noch keine Berufserfahrung habe.
Anschließend sollte Simone Flachmann in einer Diskussionsrunde mit sechs anderen Bewerber/innen ihren Standpunkt zu einer konkreten Aufgabe verteidigen. Und schließlich stand noch ein Einzelinterview auf dem Programm. Insgesamt war Simone Flachmann mit ihrer Performance im Assessment-Center zufrieden: „Die haben das nett durchgeführt, das war in Ordnung für mich.“ Die Stelle allerdings bekam sie nicht: „Ich rief später an und bat um ein Feedback. Da sagte man mir, ich hätte das super gemacht. Aber man habe sich letztlich für einen anderen Kandidaten mit mehr Berufserfahrung entschieden. Das konnte ich gut akzeptieren.“
„Erzählen plus zeigen“
Viele Arbeitgeber ergänzen die Bewerbungsgespräche inzwischen mit Assessment-Centern und machen sich so ein eigenes Bild davon, wie sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation verhält. „Ein Interview heißt Erzählen, ein Assessment-Center heißt immer Erzählen plus Zeigen. Das heißt, in einem Assessment-Center reichert man das Interview durch bestimmte kleinere Arbeitsproben an“, erklärt Michael Paschen, Geschäftsführer der Beratungsfirma Profil M. Beratungsunternehmen sind besonders bekannt dafür, bei der Personalauswahl auf Assessment-Center zu setzen. Doch auch andere Firmen sowie öffentliche Arbeitgeber und NGOs, die zum Beispiel in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, setzen Assessment-Center zur Personalauswahl ein.
Große Beratungsunternehmen, die bewusst divers auswählen, suchen auch immer mal wieder nach Quereinsteiger/innen. „Strategieberatungen suchen oftmals Mitarbeiter mit stark ausgeprägten analytischen Fähigkeiten; hier werden zum Beispiel auch Philosophen und Physiker angesprochen“, erklärt Anke Terörde-Wilde, die in der Geschäftsleitung des Beratungsunternehmens ITB Consulting arbeitet.
„Wer sich für eine solche Stelle interessiert, muss aber in der Regel mit den gleichen hohen Einstiegshürden rechnen wie Bewerberinnen und Bewerber aus anderen Fachrichtungen: Da werden Leute mit sehr guten Noten oder einem Stipendium im Hintergrund gesucht und weiterführenden Qualifikationen wie etwas Auslandserfahrungen.“
Anke Terörde-Wilde hat selbst zunächst Vergleichende Religionswissenschaft und Philosophie studiert, anschließend ein Psychologiestudium draufgesetzt. „Leider kursiert oftmals der Mythos, dass in Assessment-Centern Bewerber extra unter Druck gesetzt werden“, moniert sie und stellt klar:
„Egal, für welche Stelle ein Assessment-Center durchgeführt wird: Ein wertschätzender Umgang mit den Teilnehmern ist für uns ganz wichtig. Teilnehmer künstlich unter Druck zu setzen, hilft zudem nicht dabei, das Potenzial treffend einzuschätzen. Unter Stress zeigen Menschen ein sehr eingeschränktes Verhalten, und man erfährt wenig darüber, ob jemand zum Beispiel kreative Ideen entwickeln kann oder sich empathisch auf andere Menschen einstellt. Wichtig ist auch ein transparentes Feedback, da der Bewerber schließlich auch viel von sich preisgibt.“
Mit dem eigene Können überzeugen
Gute Chancen auf einen Quereinstieg haben Geistes- und Sozialwissenschaftler/innen, wenn es um Einstiegs- und Förderprogramme wie zum Beispiel Traineeships geht: „Da spielen häufig Auslandserfahrungen, Praktika und andere Dinge, die die Leute vorzuweisen haben, eine größere Rolle“, sagt Anke Terörde-Wilde. Unabhängig vom Studienhintergrund müssen sich Bewerber vorab in der Vorauswahl durchzusetzen.
„Für Stellen in der Wirtschaft haben Bewerber mit einschlägigen Studienhintergründen zunächst einmal einen Vorteil gegenüber Geistes- und Sozialwissenschaftlern. Damit sie eine Chance haben, ihr Können zu zeigen, gilt es für Generalisten, sich erst einmal interessant zu machen. Es werden aus Effizienzgründen in der Regel nicht 40 Bewerber zu einem Assessment-Center eingeladen, sondern nur vier oder fünf, die sich im Rahmen von Vorinterviews als die geeignetesten Kandidaten bewährt haben. Meiner Erfahrung nach gelingt Geistes- und Sozialwissenschaftlern der Einstieg am leichtesten, wenn sie auf anderem Wege berufsrelevante Qualifikationen erwerben. Ich kenne zum Beispiel Theologen, die nebenbei eine Trainer-Ausbildung und Supervisionserfahrungen gemacht haben und heute im Personalbereich tätig sind“, erklärt Anke Terörde-Wilde.
Allerdings sprechen einige Konzerne in Zeiten des „War of Talents“ gerade mit ihren Traineeprogrammen Bewerberinnen und Bewerber aus Studienfächern an, die für die jeweiligen Tätigkeiten eher untypisch sind. Diese Kandidaten können ihr Potential häufig nicht durch spezielle Fachqualifikationen nachweisen.
Ein Assessment-Center bietet den Arbeitgebern die Gelegenheit, Menschen ganzheitlicher und persönlicher kennenzulernen. „Bei Leuten, die nicht im engeren Sinne vom Fach sind, werden die Arbeitsproben zwangsläufig ein klein wenig allgemeiner gehalten: Man simuliert dann zum Beispiel ein Konfliktgespräch in einem Rollenspiel, um zu sehen, wie geschickt, smart, diplomatisch und durchsetzungsstark sich der jeweilige Kandidat in der schwierigen Situation zeigt“, erklärt Unternehmensberater Michael Paschen.
„In Präsentationen können Bewerber zeigen, dass sie in der Lage sind, sich in ein Thema einzudenken, es inhaltlich zu strukturieren und überzeugend zu vermitteln. Und in Fallstudien geht es darum, Zusammenhänge zu analysieren. All das sind Kompetenzen, die Führungskräfte benötigen, und man kann sie nicht nur an betriebswirtschaftlichen, sondern auch an fachfremden Themen aufziehen, ohne dass Vorwissen benötigt wird.“
Digitale Testverfahren
Während Assessment-Center sich vor einigen Jahren durchaus auch mal über zwei oder drei Tage erstreckten, nehmen sie heute laut der Karriereberaterin und Coachin Susanne Senft in der Regel weniger Zeit in Anspruch. Und immer häufiger finden dabei auch digitale Testverfahren Anwendung: „Viele Unternehmen nutzen digitale Testverfahren zur Vorauswahl der Bewerber. Persönlichkeitstests wie das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung etwa werden online an die Kandidaten verschickt, die Bewerber füllen sie aus. Anschließend werden sie automatisch ausgewertet, sodass die Personaler eine Einschätzung der Persönlichkeit des jeweiligen Kandidaten bekommen.
Manche Unternehmen schalten auch analytische Tests oder Englischtests vor – und nur diejenigen Bewerber, die darin eine bestimmte Punktzahl erreichen, dürfen am weiteren Auswahlverfahren teilnehmen“, erklärt Senft. Im Internet gibt es zahlreiche Möglichkeiten, solche digitalen Testverfahren auszuprobieren und den Umgang mit diesen Formaten zu üben.
Simone Flachmann war nach einiger Zeit beim Umweltamt als Jobcoach sowie als Niederlassungsleiterin für einen Personaldienstleister tätig. Sie hat auch selbst für einen Großkonzern in Köln als Moderatorin bei Assessment-Centern gearbeitet, wo sie Young Professionals durch den Tag des Assessment-Centers begleitete. Jetzt arbeitet sie als Senior-Personalberaterin sowie als Trainerin und Coach. Sie weiß, dass Assessment-Center immer noch so ähnlich ablaufen, wie sie es damals selbst als Teilnehmerin erlebt hat:
„Häufig gibt es eine fachliche Aufgabe, die die Teilnehmenden innerhalb einer bestimmten Zeit lösen müssen. Auch Rollenspiele sowie Gruppendiskussionen, die von mehreren Assessoren beobachtet werden, sind typisch. Meist werden Situationen simuliert, die etwas mit der zu besetzenden Position zu tun haben. In der Diskussion geht es meist darum, dass jeder einen bestimmten Part in einer Gruppe mit bestimmten Argumenten vertritt. Die Frage ist dann, inwieweit sich die Person durchsetzt oder auch Kompromisse eingeht – etwa aus ökonomischen oder ökologischen Gründen oder weil ein anderer einfach überzeugender ist. In der Regel schließen Assessment-Center dann mit einem Einzelinterview ab.“
Aufgepasst – auch in der Pause!
Wichtig findet Simone Flachmann, dass Teilnehmende von Assessment-Centern sich auch in der Mittagspause nicht gehen lassen: „Da guckt man noch einmal, wie sich jemand im informellen Kontext bewegt und welche Tischmanieren die Person an den Tag legt. Gerade junge Bewerber, die gerade von der Universität kommen, so etwas noch nie gemacht haben und vielleicht noch sehr aufgeregt sind, sollten sich vorab mit Entspannungstechniken auseinandersetzen, um eine innere Balance zu finden und so möglichst ruhig durch den Tag zu gehen.“ Wichtig findet Simone Flachmann aber auch, dass sich Bewerber/innen auf das Einzelinterview gut vorbereiten – genauso sorgfältig wie auf jedes andere Vorstellungsgespräch.
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