"Die Energiewirtschaft wird komplett umgekrempelt"
Als "klare Zukunftstechnologie" sieht Professor Volker Quaschning die Erneuerbaren Energien. Wer den Quereinstieg schaffen will, braucht ihm zufolge vor allem ein gutes Timing.
Interview: Linda Gerner
In der Politik passiert zu wenig, gleichzeitig droht ein Fachkräftemangel: So schätzt Volker Quaschning (Foto: Silke Reents) den Arbeitsmarkt rund um die Erneuerbaren Energien ein. Der habilitierte Ingenieurwissenschaftler ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Sein Buch „Regenerative Energiesysteme“ ist eines der Standardwerke für Umweltingenieursstudiengänge.
WILA Arbeitsmarkt: Empfehlen Sie einen Job im Bereich der Erneuerbaren Energien?
Volker Quaschning: Es stellt sich natürlich die Frage, wer das machen sollte. Man sollte schon ein Faible für Technik haben. Es ist auf jeden Fall ein super spannendes Gebiet.
"Die klassische Energiewirtschaft wird in den nächsten zehn Jahren komplett umgekrempelt werden."
Früher wurde gesagt: Mach mal lieber was Klassisches, das ist sicherer. Heute sehen wir, dass eigentlich nichts mehr sicher ist. Die Automobilbranche wird in den nächsten zehn Jahren komplett umgekrempelt werden, die klassische Energiewirtschaft genauso.
Die Erneuerbaren Energien sind eine klare Zukunftstechnologie, weil wir wissen, dass wir da in zehn, zwanzig Jahren viel mehr von brauchen werden und die Branche weiterwachsen wird. Außerdem wissen die Menschen hier, dass sie etwas Sinnvolles, etwas Gutes machen und nicht etwas entwickeln, was der Menschheit Probleme bereitet.
Der Arbeitsmarkt der Erneuerbaren Energien wird stark von politischen Entscheidungen beeinflusst. Ist es trotzdem ein sicherer Bereich?
Die deutsche Politik steht dem Ausbau der Erneuerbaren Energien momentan ganz klar im Weg. Trotzdem verspricht Deutschland international, dass wir den Klimaschutz ernst meinen. Wenn wir nur ansatzweise die versprochenen Klimaschutzziele einhalten wollen, brauchen wir viel größere Ausbaumengen.
"Wir haben viel zu wenig Personal, um die Energiewende zu stemmen."
Früher oder später muss eine Regierung handeln, denn das Klimaproblem wird immer drängender. Dann werden wir feststellen, dass wir eigentlich viel zu wenig Personal haben, um die Energiewende stemmen zu können. Ich glaube, dass sich die Probleme bei der Energiewende nicht aufgrund irgendwelcher Technologien oder Netze ergeben werden, sondern, wenn wir es endlich ernst mit dem Zubau meinen, der Fachkräftemangel problematisch ist.
Wie könnte dem entgegengewirkt werden? Was müsste die Politik vorantreiben?
Der Politik würde ich wirklich empfehlen, mal kein Hü und Hott zu machen, sondern eine verlässliche Linie zu erarbeiten. Das wäre gut für Unternehmen und natürlich auch für Menschen, die einen Job suchen.
Wir hatten einfach ein „Hire and fire“: Es wurden 120.000 Arbeitsplätze in der Photovoltaik innerhalb von zehn Jahren aufgebaut und dann innerhalb von fünf Jahren wieder 80.000 abgebaut. Jetzt bauen wir wieder auf. Da ist keine Beständigkeit.
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Das Gleiche erleben wir jetzt in der Windbranche. Da haben wir in den letzten Jahren massiv zugelegt und erwarten im nächsten Jahr einen erheblichen Einbruch. Das ist sowohl für Unternehmen, als auch Menschen, die in der Branche arbeiten, katastrophal.
Was junge Leute angeht, die in den Erneuerbaren Energien arbeiten wollen, bin ich relativ entspannt, weil wir insgesamt einen Fachkräftemangel haben. Sollte alles schief gehen mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien, sind das trotzdem gut ausgebildete Ingenieure, die auch woanders Fuß fassen können.
Wie sehen Sie die Chancen für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger?
Bei der Planung von Windparks können sicher auch Biologen und Geologen gebraucht werden, da es dort häufig um Umweltgenehmigungen geht. Insgesamt sehen wir jedoch, dass wir durch die Politik in Deutschland aktuell einen rückläufigen Ausbau haben.
"Für Quereinsteiger ist das Timing entscheidend."
Der Fachkräftemangel ist vor allem gegeben, wenn wir die Energiewende schnell machen wollen. In den nächsten vier Jahren passiert da offensichtlich nicht viel. Für Quereinsteiger ist das Timing entscheidend. Es gibt manchmal Zeiten, wo die Branche boomt und in einer Wachstumsphase ist.
Es dauert circa fünf Jahre, um Ingenieure auszubilden. Wenn wir jetzt also im nächsten Jahr wieder einen Solarboom hätten, könnte das wieder eine gute Zeit für Quereinsteiger sein, weil das Fachpersonal noch studiert.Wenn es in einem Bereich gerade sehr schlecht läuft und Leute entlassen werden, haben Quereinsteiger weniger Chancen.
International sieht es dafür relativ gut aus. Im Gegensatz zu Deutschland boomt der Markt der Erneuerbaren im Ausland, da kann ich mir vorstellen, dass Quereinsteiger in internationalen Firmen andocken können.
Sie unterrichten im Fachbereich der regenerativen Energien. Aus welcher Motivation heraus entscheidet sich die Mehrheit ihrer Studierenden für diesen Bereich?
Ich unterrichte seit 2004 und frage die Studierenden zu Beginn immer, warum sie kommen. Anfang der 2000er waren viele Idealisten dabei, aber wir hatten auch die Boomphase, wo es eine Goldgräberstimmung gab und alle sagten: In der Solarenergie, da kannst du richtig gut Geld verdienen.
"Deutschland hat in den Punkten Erneuerbaren Energien und Energiewende noch einen guten Ruf."
Aktuell sind wieder viele Leute da, die das aus Überzeugung und Idealismus machen. Wir beobachten auch, dass wir zunehmend ausländische Studierende haben, weil Deutschland in den Punkten Erneuerbaren Energien und Energiewende noch einen guten Ruf hat. Die lassen sich hier ausbilden, um in ihrem Heimatland den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben.
Welche entscheidenden Vorteile bietet die Solarenergie?
Wenn man international schaut: Solarenergie ist eine der wenigen Stromerzeugungsarten, die kein Wasser braucht. Das klingt erst einmal banal, aber wir haben in vielen Gebieten der Erde schon eine große Trockenheit.
Das wird durch den Klimawandel noch problematischer werden, und Atom, Kohle- und Gaskraftwerke brauchen alle Kühlwasser. Solar- und Windenergie sind die einzigen Techniken, die ohne Wasser auskommen. Im Sommer sieht man dieses Problem in Europa bereits. Immer wenn wir eine große Dürreperiode haben, hat etwa Frankreich Engpässe in der Stromversorgung.
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Die Solarenergie ist außerdem mit eine der preiswerteste Arten der Stromerzeugung und eine sehr demokratische dazu. Da kann ganz klein angefangen werden mit fünf Euro für eine private Solaranlage bis hin zu einer großen Solaranlage für einen Energieversorger.
Den Charme hat keine andere Technologie: An und für sich kann jedes Kind Solarenergie nutzen und praktisch an der Energiewende teilhaben. Ein Kohlekraftwerk kann man sich nicht ins Kinderzimmer stellen oder über den Balkon hängen.
Worin sehen Sie die Stärke der Bioenergie?
Bioenergie hat einen großen Nachteil: Sie ist begrenzt. Mit Solar- und Windenergie könnte in Deutschland die gesamte Stromversorgung geschafft werden. Die Bioenergie könnte das nicht, weil es nicht genügend Flächen für den Anbau von Biotreibstoff gibt. Deshalb ist die Bioenergie immer nur eine ergänzende Technologie.
Ein großer Vorteil ist jedoch, dass sie immer verfügbar und der Energieträger speicherbar ist. Bioenergie ist enorm flexibel einsetzbar. Für Strom, Wärme, Verkehr. Deshalb wird sie weiter eine Rolle spielen in den Bereichen, wo man den Bedarf mit den anderen Technologien nicht so einfach abdecken kann.
Was machen andere Länder bei der Förderung von Erneuerbaren Energien besser?
Momentan ist die größte Entwicklung in China zu beobachten. Die schaffen gerade den Aufschwung vom Problemkind im Klimaschutz zum Treiber der Solar- und Windtechnologien und Elektromobilität.
China hat ein großes Problem mit der enormen Luftverschmutzung und macht aus der Not jetzt eine Tugend. Da wird die Luftverschmutzung bekämpft, indem sie gleichzeitig Weltmarktführer in den Zukunftstechnologien werden.
Es gibt da eine zielstrebige und verlässliche Politik und nicht so wie in Deutschland, ein System, wo alles, was aufgebaut wird, wieder kleingehauen wird und wir wieder bei null anfangen.
Haben Sie denn trotz der politischen Entscheidungen und häufigen Rückschlägen bei der Energiewende einen positiven Blick in die Zukunft?
John F. Kennedy hat 1963 gesagt: Wir Amerikaner wollen auf den Mond fliegen. Sechs Jahre später waren sie da, und das hat auch einige hundert Milliarden Dollar gekostet.
Wenn man es wirklich will, dann können wir in Deutschland in zehn Jahren 100 Prozent regenerativ sein. Das ist sowohl technisch als auch ökonomisch leistbar. Es ist natürlich eine enorme Anstrengung, aber es geht um die Zukunftsaussichten unserer Kinder.
"Wir haben aktuell politische Entscheidungsträger, die alles aussitzen."
Deswegen hoffe ich, dass irgendwer den Elan aufbringt, den John F. Kennedy damals mit dem Mondprogramm aufgebracht hat. Das fehlt momentan. Wir haben leider aktuell politische Entscheidungsträger, die am liebsten gar nichts entscheiden würden und alles aussitzen. Das ist kontraproduktiv.
Leider ist der Druck aus der Bevölkerung noch nicht da, weil der Klimawandel immer noch eine Sache ist, die gefühlt weit weg ist. Wir brauchen eine Politik, die vorausschauend die Probleme angeht und keine Verhinderungspolitik macht. Es steht und fällt mit den Personen, die an den entscheidenden Stellen sind.