„Jobchancen in der Energiewende ausgezeichnet“
"Nach wie vor gibt es den Erneuerbaren Energien viele offene Stellen für Menschen mit branchenspezifischen Berufserfahrungen, aber auch für Quereinsteiger", sagt die Energieökonomien Claudia Kemfert (Foto: Oliver Betke).

„Jobchancen in der Energiewende ausgezeichnet“

Arbeiten mit Erneuerbaren Energien? Unbedingt, sagt die Energieökonomin Claudia Kemfert. Obwohl die Politik hinterhinkt, bietet die Zukunftsbranche nachhaltige Jobs mit positiver Unternehmenskultur.

Interview: Linda Gerner

Claudia Kemfert leitet die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Außerdem ist die 49-Jährige Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance. Neben ihren wissenschaftlichen Abhandlungen hat sie vier Bücher zum Thema Energiewende veröffentlicht – und kennt sich auch mit Jobs in Erneuerbaren Energien aus.

WILA Arbeitsmarkt: Sie haben vergangenes Jahr ein Buch veröffentlicht mit dem Titel „Das fossile Imperium schlägt zurück. Warum wir die Energiewende jetzt verteidigen müssen“. Wodurch sehen Sie die Energiewende gefährdet?
Claudia Kemfert: Die Energiewende ist sehr erfolgreich. Leider zu erfolgreich für ihre Kritiker. Denn die Kosten der Erneuerbaren Energien sinken immer weiter. Das hat zur Folge, dass die Investitionen in die Erneuerbaren zugenommen haben – in Deutschland aber auch international. Die Struktur des Marktes hat sich komplett geändert. Vorher haben die konventionellen Anbieter den Markt dominiert, jetzt kamen durch die Energiewende und die Förderungen von Erneuerbaren Energien immer mehr Anbieter hinzu: Mittelständische Unternehmen, kleine Unternehmen, aber vor allem auch Bürger­energien. Der Anteil von privaten Investoren ist nach wie vor sehr hoch. Das gefährdet vor allem die Geschäftsmodelle der konventionellen Energieanbieter. Die haben nicht rechtzeitig Antworten gefunden, bleiben sehr stark in der Vergangenheit hängen und haben immer wieder versucht, die Energiewende schlecht zu reden, PR-Kampagnen zu starten, um Mythen zu verbreiten.

"Die Energiewende stellt eine Gefährdung für die Geschäftsmodelle der konventionellen Energieanbieter dar, die in der Vergangenheit sehr viel Geld verdient haben."

Welche Mythen?
Die Erneuerbaren Energien seien teuer, ineffizient, könnten gar nicht funktionieren; es drohten Blackouts oder Kostenlawinen. Da werden dann gigantische Zahlen aufgelistet, ohne zu sagen, welche hohen Kosten es gibt, wenn wir keine Energiewende haben. Etwa durch die Kosten im Bereich der Atomenergie, durch Umweltschäden im Kohleabbau und allgemein den Klimaschäden. Daran erkennt man, dass es eine interessengeleitete Kommunikation gibt. Die Energiewende stellt eine Gefährdung für die Geschäftsmodelle der konventionellen Energieanbieter dar, also diejenigen, die in der Vergangenheit sehr viel Geld verdient haben. Solchen Mythen muss man entgegen treten und die Energiewende verteidigen. Sie bringt viele Vorteile: Die Kosten sinken und werden im Zeitverlauf immer weiter zurückgehen, sie macht uns unabhängig von Energieexporten, von Preisschocks und vor allem können wir dadurch weitere Klimaschäden vermeiden.

Für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien braucht es viele Fachkräfte. Die Aussichten für den Arbeitsmarkt der Branche waren vor ein paar Jahren sehr gut. Die Zahlen sind jedoch unter den Erwartungen geblieben. Woran liegt das?
Weil die Energiewende gezielt politisch ausgebremst wurde. Hätte man die damals angekündigten Chancen, die man auch heute noch durchaus für realistisch erachten kann, weiter verfolgt und nicht gezielt die Energiewende abgebremst, würde man diese Jobchancen tatsächlich erreichen. Jetzt ist es so, dass man gerade in der Solarenergie einen herben Einbruch hat. Die Windenergie wird folgen aufgrund der aktuellen politischen Entscheidung, den Ausbau massiv zu deckeln. Man sieht an den jüngsten Zahlen des Arbeitsmarktes einen deutlichen Rückgang. In der Vergangenheit lag die Zahl der Beschäftigten in den Erneuerbaren Energien bei 350.000 bis 380.000. Sie ist in den letzten Jahren auf zirka 330.000 gesunken. Das kommt durch gezielte politische Deckelungen der Erneuerbaren Energien. Dies sollte so schnell wie möglich geändert werden. Die Fachkräfte sind da, es gibt gute Qualifikationsmöglichkeiten, und gerade die volkswirtschaftlichen Chancen sollte man nicht einfach so vergeben.

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In welchem Bereich der Erneuerbaren Energien sehen Sie die besten Zukunftschancen?
Im Prinzip ist die gesamte Branche der Erneuerbaren Energien interessant. Im starken internationalen Wettbewerb steht aktuell die Solarenergie, dort gibt es große Veränderungen in der Struktur des Marktes. Die Windenergiebranche ist nach wie vor sehr gut aufgestellt und orientiert sich gerade auch auf dem internationalen Markt. Insgesamt wird die Nachfrage nach Erneuerbaren Energien in allen Weltregionen massiv zunehmen. Das heißt, dass diese Jobs auch dauerhaft und nachhaltig sind, vor allem, wenn es den Unternehmen gelingt, sich sowohl im deutschen als auch europäischen und internationalen Markt zu etablieren. Zahlreiche Firmen bekommen das bereits gut hin. Wenn Arbeitskräfte außerdem in ihrer Lokalität flexibel sind, gibt es sehr gute Jobmöglichkeiten.

Welche Fachkräfte werden benötigt?
Es sind natürlich viele Ingenieure gefragt und Fachleute mit technischer Ausbildung, aber auch naturwissenschaftlich und kaufmännisch ausgebildete Fachkräfte. Nach wie vor gibt es in diesem Bereich viele offene Stellen für qualifizierte Arbeitskräfte. Für Menschen mit branchenspezifischen Berufserfahrungen, aber auch für Quereinsteiger.

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Wie bewerten Sie den Koalitionsvertrag hinsichtlich der Energiewende?
Die Aufgabe des Klimaschutzziels 2020 ist ein Desaster. Das ist klimapolitisch ein völlig falsches Signal, welches in Deutschland und in die Welt gesendet wird. Viele Länder fragen nun: Wenn Deutschland es nicht schafft, die Klimaziele zu erreichen, was erwartet ihr von uns? Das einzig Gute an dem Koalitionsvertrag ist, dass man den Deckel für den Ausbau der Erneuerbaren Energien deutlich angehoben hat. Das ist sehr sinnvoll, so können mehr Emissionsminderungen erreicht werden. Aber ohne einen Kohleausstieg wird das Klimaziel nicht erreicht werden können. Der Stromsektor steht jetzt vor einem fundamentalen Umbruch, den man entsprechend begleiten muss.

Haben Sie den Eindruck, dass es – sei es auf Länder- oder auf Bundesebene – eine klare Strategie gibt, den Umbau der Energiewirtschaft für den Arbeitsmarkt klug zu gestalten?
Es gibt einige Bundesländer, die sich Klimaziele setzen und einen konkreten Ausbauplan haben. Aber leider ist es so, dass nachfolgende Regierungen – wie beispielsweise jetzt in NRW – alles wieder kaputt machen. Die heben dann alles wieder auf – von der Energieeinsparverordnung (EnEV) bis zu den Ausbauzielen in der Windenergie. Das viele Vor und Zurück ist im höchsten Maße problematisch. Da wäre es sinnvoll, wenn man auf der Bundesebene langfristige Ziele festschreibt, einen Monitoring-Prozess macht, wo man sagt: „Ihr seid verpflichtet diese Ausbauziele umzusetzen.“ Dann hätte man deutlich bessere Möglichkeiten, die Energiewende strukturiert anzugehen.

"Junge Frauen haben große Chancen. Alle Unternehmen suchen händeringend weibliche Fachkräfte."

Politische Entscheidungen nehmen häufig einen großen Einfluss auf die Branche. Sollte man jungen Menschen dennoch empfehlen in diesem Bereich einzusteigen oder eine Weiterbildung in dieser Branche zu machen?
Unbedingt! Man muss natürlich etwas schauen, wie sich das Unternehmen ausrichtet, bei dem man unterkommt. Aber die Branche boomt nach wie vor, es ist eine Zukunftsbranche. Besonders weibliche Fachkräfte sind enorm gefragt, da sie bisher noch unterrepräsentiert sind. Junge Frauen haben hier große Chancen, wenn sie sich für dieses Feld interessieren. Alle Unternehmen suchen händeringend weibliche Fachkräfte, weil sie nachhaltig ausgerichtet sind und häufig eine positive Unternehmenskultur haben. Die Energiewende-Branche wächst weiter, die Jobchancen sind ausgezeichnet.

Gelegentlich werden jedoch unter dem Stichwort „Bruttobeschäftigungseffekt“ der Abbau von Arbeitsplätzen in der konventionellen Energiewirtschaft gegen den Beschäftigungsaufbau in den Erneuerbaren Energien ausgespielt.
Aktuell ist es so, dass in der konventionellen Energie genauso viele Menschen arbeiten wie in den Erneuerbaren Energien. Es ist wichtig, dass man Menschen, die in konventionellen Energieunternehmen arbeiten, durch Umschulungen und Weiterbildungen die Möglichkeit bietet, dass sie auch in der neuen Energiewende-Welt und den Erneuerbaren Energien tätig sein können. Bei den Unternehmen passiert da bereits sehr viel, das zeigen Befragungen. Mittlerweile hat auch die Bundespolitik zur Umschulung und Weiterbildung gezielt Förderprogramme in diesem Bereich aufgelegt. Aber das könnte noch deutlich mehr sein. Man könnte es strukturierter angehen, vor allem im Bildungsbereich. Etwa die Schulpläne in den Gymnasien, Realschulen darauf ausrichten und in Berufsschulen ein verpflichtendes Fach einführen wie „Klimaschutz und Energiewende.“ So könnte man den Bildungsaspekt flächendeckend in die Energiewende mit einbeziehen.

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